standes begegnen, und durch sie die verschied- nen Naturen des Menschen in ihre natürlichen Verhältnisse einsetzen. Man soll die Ideale der Vollkommenheit zum Muster, nicht zum Ziele setzen, und seine Vermögen innerhalb der Gren- zen anbaun, die die Natur ihnen anwies. Man soll sie in richtigen Verhältnissen anbaun, damit keins auf Unkosten des andern zurückbleibe. Man soll die vorhandenen Begriffe berichtigen, sie mit neuen Erkenntnissen vermehren, beides mit Rücksicht ihres nächsten Einflusses auf unser praktisches Leben. Man soll endlich alles vor den Richterstuhl der eignen Vernunft ziehn, nichts auf Auktoritäten glauben, die Lüsternheit des Körpers durch Arbeit und Nüchternheit ab- stumpfen, den Trieb zu geistigen Genüssen we- cken, und in sinnlichen Vergnügungen Maasse halten, als der Bedingung, unter welcher ein dauerhafter Genuss derselben stattfinden kann. Allein von allen diesen Vorschriften lässt sich keine auf Wahnsinnige anwenden. Sie müssen un- terjocht, beschäfftiget und nach und nach durch Zwang zu leichten Verstandesübungen angehalten werden. Endlich erst, in der Rekonvalescenz und zur Verhütung der Rückfälle, kann der Kranke, wenn er seine Spontaneität wieder er- langt hat, zum eignen Anbau des Verstandes ge- leitet werden.
Ein bedeutender Gegenstand, an welchem der Verstand so leicht scheitert, ist die Reli-
ſtandes begegnen, und durch ſie die verſchied- nen Naturen des Menſchen in ihre natürlichen Verhältniſſe einſetzen. Man ſoll die Ideale der Vollkommenheit zum Muſter, nicht zum Ziele ſetzen, und ſeine Vermögen innerhalb der Gren- zen anbaun, die die Natur ihnen anwies. Man ſoll ſie in richtigen Verhältniſſen anbaun, damit keins auf Unkoſten des andern zurückbleibe. Man ſoll die vorhandenen Begriffe berichtigen, ſie mit neuen Erkenntniſſen vermehren, beides mit Rückſicht ihres nächſten Einfluſſes auf unſer praktiſches Leben. Man ſoll endlich alles vor den Richterſtuhl der eignen Vernunft ziehn, nichts auf Auktoritäten glauben, die Lüſternheit des Körpers durch Arbeit und Nüchternheit ab- ſtumpfen, den Trieb zu geiſtigen Genüſſen we- cken, und in ſinnlichen Vergnügungen Maaſse halten, als der Bedingung, unter welcher ein dauerhafter Genuſs derſelben ſtattfinden kann. Allein von allen dieſen Vorſchriften läſst ſich keine auf Wahnſinnige anwenden. Sie müſſen un- terjocht, beſchäfftiget und nach und nach durch Zwang zu leichten Verſtandesübungen angehalten werden. Endlich erſt, in der Rekonvaleſcenz und zur Verhütung der Rückfälle, kann der Kranke, wenn er ſeine Spontaneität wieder er- langt hat, zum eignen Anbau des Verſtandes ge- leitet werden.
Ein bedeutender Gegenſtand, an welchem der Verſtand ſo leicht ſcheitert, iſt die Reli-
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ſtandes begegnen, und durch ſie die verſchied-
nen Naturen des Menſchen in ihre natürlichen
Verhältniſſe einſetzen. Man ſoll die Ideale der
Vollkommenheit zum Muſter, nicht zum Ziele
ſetzen, und ſeine Vermögen innerhalb der Gren-
zen anbaun, die die Natur ihnen anwies. Man
ſoll ſie in richtigen Verhältniſſen anbaun, damit
keins auf Unkoſten des andern zurückbleibe.
Man ſoll die vorhandenen Begriffe berichtigen,
ſie mit neuen Erkenntniſſen vermehren, beides
mit Rückſicht ihres nächſten Einfluſſes auf unſer
praktiſches Leben. Man ſoll endlich alles vor
den Richterſtuhl der eignen Vernunft ziehn,
nichts auf Auktoritäten glauben, die Lüſternheit
des Körpers durch Arbeit und Nüchternheit ab-
ſtumpfen, den Trieb zu geiſtigen Genüſſen we-
cken, und in ſinnlichen Vergnügungen Maaſse
halten, als der Bedingung, unter welcher ein
dauerhafter Genuſs derſelben ſtattfinden kann.
Allein von allen dieſen Vorſchriften läſst ſich
keine auf Wahnſinnige anwenden. Sie müſſen un-
terjocht, beſchäfftiget und nach und nach durch
Zwang zu leichten Verſtandesübungen angehalten
werden. Endlich erſt, in der Rekonvaleſcenz
und zur Verhütung der Rückfälle, kann der
Kranke, wenn er ſeine Spontaneität wieder er-
langt hat, zum eignen Anbau des Verſtandes ge-
leitet werden.
Ein bedeutender Gegenſtand, an welchem
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Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803, S. 280. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/285>, abgerufen am 24.11.2024.
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