sofern sie gewöhnt ist, den Zustand ihres Körpers nach der Leitung des Gemeingefühls zu beurthei- len und kann unter günstigen Umständen in eine Geisteszerrüttung verfallen. Wenn ein Mensch eine Geschwulst im Unterleibe hat, so wirkt die- selbe als Reiz auf die splanchnischen Nerven und erregt auf diesem Wege im Gehirn irgend ein widriges Gefühl, von dem die Geschwulst Object ist. Allein das nemliche Gefühl kann auch von bloss kranken Nerven, ohne Geschwulst entstehn, wenn in ihnen durch Krankheit die nemlichen Zustände wirklich werden, durch welche eine Geschwulst im Gehirn angekündigt wird. In der Regel werden freilich dergleichen Vorgänge uns nicht immer und augenblicklich um den Verstand bringen, solange nur einzelne Reize aufs Gemein- gefühl wirken, oder einzelne Nerven krank sind, und die Seele nicht zu ängstlich auf alle Eindrücke des Körpers achtet. Wir sind im Stande, durch den Gebrauch der Sinne und des Verstandes, die kranken Spiele des Gemeingefühls zu berichtigen, seine Ursachen aufzuklären oder das Gefühl als et- was uns nicht Angehöriges bey Seite zu setzen und darüber zur Ordnung des Tages fortzuschreiten. Allein es giebt andere Verhältnisse, die die Ent- stehung der Geisteszerrüttungen durch ein kran- kes Gemeingefühl begünstigen. An sich stellt es die Objekte des Gefühls dunkel und verworren dar, weil sie verdeckt liegen, nicht nach Will- kühr verändert und durch die Beihülfe der Sinne
ſofern ſie gewöhnt iſt, den Zuſtand ihres Körpers nach der Leitung des Gemeingefühls zu beurthei- len und kann unter günſtigen Umſtänden in eine Geiſteszerrüttung verfallen. Wenn ein Menſch eine Geſchwulſt im Unterleibe hat, ſo wirkt die- ſelbe als Reiz auf die ſplanchniſchen Nerven und erregt auf dieſem Wege im Gehirn irgend ein widriges Gefühl, von dem die Geſchwulſt Object iſt. Allein das nemliche Gefühl kann auch von bloſs kranken Nerven, ohne Geſchwulſt entſtehn, wenn in ihnen durch Krankheit die nemlichen Zuſtände wirklich werden, durch welche eine Geſchwulſt im Gehirn angekündigt wird. In der Regel werden freilich dergleichen Vorgänge uns nicht immer und augenblicklich um den Verſtand bringen, ſolange nur einzelne Reize aufs Gemein- gefühl wirken, oder einzelne Nerven krank ſind, und die Seele nicht zu ängſtlich auf alle Eindrücke des Körpers achtet. Wir ſind im Stande, durch den Gebrauch der Sinne und des Verſtandes, die kranken Spiele des Gemeingefühls zu berichtigen, ſeine Urſachen aufzuklären oder das Gefühl als et- was uns nicht Angehöriges bey Seite zu ſetzen und darüber zur Ordnung des Tages fortzuſchreiten. Allein es giebt andere Verhältniſſe, die die Ent- ſtehung der Geiſteszerrüttungen durch ein kran- kes Gemeingefühl begünſtigen. An ſich ſtellt es die Objekte des Gefühls dunkel und verworren dar, weil ſie verdeckt liegen, nicht nach Will- kühr verändert und durch die Beihülfe der Sinne
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ſofern ſie gewöhnt iſt, den Zuſtand ihres Körpers
nach der Leitung des Gemeingefühls zu beurthei-
len und kann unter günſtigen Umſtänden in eine
Geiſteszerrüttung verfallen. Wenn ein Menſch
eine Geſchwulſt im Unterleibe hat, ſo wirkt die-
ſelbe als Reiz auf die ſplanchniſchen Nerven und
erregt auf dieſem Wege im Gehirn irgend ein
widriges Gefühl, von dem die Geſchwulſt Object
iſt. Allein das nemliche Gefühl kann auch von
bloſs kranken Nerven, ohne Geſchwulſt entſtehn,
wenn in ihnen durch Krankheit die nemlichen
Zuſtände wirklich werden, durch welche eine
Geſchwulſt im Gehirn angekündigt wird. In der
Regel werden freilich dergleichen Vorgänge uns
nicht immer und augenblicklich um den Verſtand
bringen, ſolange nur einzelne Reize aufs Gemein-
gefühl wirken, oder einzelne Nerven krank ſind,
und die Seele nicht zu ängſtlich auf alle Eindrücke
des Körpers achtet. Wir ſind im Stande, durch
den Gebrauch der Sinne und des Verſtandes, die
kranken Spiele des Gemeingefühls zu berichtigen,
ſeine Urſachen aufzuklären oder das Gefühl als et-
was uns nicht Angehöriges bey Seite zu ſetzen und
darüber zur Ordnung des Tages fortzuſchreiten.
Allein es giebt andere Verhältniſſe, die die Ent-
ſtehung der Geiſteszerrüttungen durch ein kran-
kes Gemeingefühl begünſtigen. An ſich ſtellt es
die Objekte des Gefühls dunkel und verworren
dar, weil ſie verdeckt liegen, nicht nach Will-
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Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803, S. 267. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/272>, abgerufen am 25.11.2024.
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