beine. Die Kette ist im Gehirn durch Fäden des fünften und sechsten Paars geschlossen, dann gehn die Schenkel des Bogens auf jeder Seite des Rück- grats am Halse, in der Brust und dem Bauch fort, bilden überall Knoten, anastomosiren über die Wirbelbeine hin von beiden Seiten, erzeugen die splanchnischen Nerven, beschreiben überall kleine Bogen mit den Rückenmarksnerven, ver- weben sich mit den grossen Geflechten der Brust- und Bauchhöhle und enden endlich auf eine merk- würdige Art, theils durch anastomosirende Aeste von beiden Seiten, theils durch das Steissknöt- chen auf dem Steissbeine, in welchem beide sympathische Nerven am entgegengesetzten Pol der Organisation in der Axe des Körpers zusammen stossen. Von dem Steissknoten gehn dann noch einige Fäden aus, die strahlenförmig gegen die Grenze divergiren.
Wenn in diesem vasten Umfang des Nerven- systems, sofern es sich in die Theile des Körpers verliert, und dem Gemeingefühl zum Organe dient, kranke Theile auf dasselbe wirken oder die Nerven selbst, einzeln oder in ihrem Inbegriff, erkranken; so entstehn davon die seltsamsten Er- schütterungen des Gehirns, mancherley Störun- gen der Seelen-Funktionen, ein unangenehmes Lebensgefühl und Geneigtheit zur Verrücktheit. Sind die Nerven selbst krank, so stellen sie nicht mehr den Zustand des Körpers, sondern ihre eigene Krankheit vor. Die Seele wird betrogen,
beine. Die Kette iſt im Gehirn durch Fäden des fünften und ſechsten Paars geſchloſſen, dann gehn die Schenkel des Bogens auf jeder Seite des Rück- grats am Halſe, in der Bruſt und dem Bauch fort, bilden überall Knoten, anaſtomoſiren über die Wirbelbeine hin von beiden Seiten, erzeugen die ſplanchniſchen Nerven, beſchreiben überall kleine Bogen mit den Rückenmarksnerven, ver- weben ſich mit den groſsen Geflechten der Bruſt- und Bauchhöhle und enden endlich auf eine merk- würdige Art, theils durch anaſtomoſirende Aeſte von beiden Seiten, theils durch das Steiſsknöt- chen auf dem Steiſsbeine, in welchem beide ſympathiſche Nerven am entgegengeſetzten Pol der Organiſation in der Axe des Körpers zuſammen ſtoſsen. Von dem Steiſsknoten gehn dann noch einige Fäden aus, die ſtrahlenförmig gegen die Grenze divergiren.
Wenn in dieſem vaſten Umfang des Nerven- ſyſtems, ſofern es ſich in die Theile des Körpers verliert, und dem Gemeingefühl zum Organe dient, kranke Theile auf daſſelbe wirken oder die Nerven ſelbſt, einzeln oder in ihrem Inbegriff, erkranken; ſo entſtehn davon die ſeltſamſten Er- ſchütterungen des Gehirns, mancherley Störun- gen der Seelen-Funktionen, ein unangenehmes Lebensgefühl und Geneigtheit zur Verrücktheit. Sind die Nerven ſelbſt krank, ſo ſtellen ſie nicht mehr den Zuſtand des Körpers, ſondern ihre eigene Krankheit vor. Die Seele wird betrogen,
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beine. Die Kette iſt im Gehirn durch Fäden des
fünften und ſechsten Paars geſchloſſen, dann gehn
die Schenkel des Bogens auf jeder Seite des Rück-
grats am Halſe, in der Bruſt und dem Bauch
fort, bilden überall Knoten, anaſtomoſiren über
die Wirbelbeine hin von beiden Seiten, erzeugen
die ſplanchniſchen Nerven, beſchreiben überall
kleine Bogen mit den Rückenmarksnerven, ver-
weben ſich mit den groſsen Geflechten der Bruſt-
und Bauchhöhle und enden endlich auf eine merk-
würdige Art, theils durch anaſtomoſirende Aeſte
von beiden Seiten, theils durch das Steiſsknöt-
chen auf dem Steiſsbeine, in welchem beide
ſympathiſche Nerven am entgegengeſetzten Pol der
Organiſation in der Axe des Körpers zuſammen
ſtoſsen. Von dem Steiſsknoten gehn dann noch
einige Fäden aus, die ſtrahlenförmig gegen die
Grenze divergiren.
Wenn in dieſem vaſten Umfang des Nerven-
ſyſtems, ſofern es ſich in die Theile des Körpers
verliert, und dem Gemeingefühl zum Organe
dient, kranke Theile auf daſſelbe wirken oder
die Nerven ſelbſt, einzeln oder in ihrem Inbegriff,
erkranken; ſo entſtehn davon die ſeltſamſten Er-
ſchütterungen des Gehirns, mancherley Störun-
gen der Seelen-Funktionen, ein unangenehmes
Lebensgefühl und Geneigtheit zur Verrücktheit.
Sind die Nerven ſelbſt krank, ſo ſtellen ſie nicht
mehr den Zuſtand des Körpers, ſondern ihre
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Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803, S. 266. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/271>, abgerufen am 25.11.2024.
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