Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803.

Bild:
<< vorherige Seite

beine. Die Kette ist im Gehirn durch Fäden des
fünften und sechsten Paars geschlossen, dann gehn
die Schenkel des Bogens auf jeder Seite des Rück-
grats am Halse, in der Brust und dem Bauch
fort, bilden überall Knoten, anastomosiren über
die Wirbelbeine hin von beiden Seiten, erzeugen
die splanchnischen Nerven, beschreiben überall
kleine Bogen mit den Rückenmarksnerven, ver-
weben sich mit den grossen Geflechten der Brust-
und Bauchhöhle und enden endlich auf eine merk-
würdige Art, theils durch anastomosirende Aeste
von beiden Seiten, theils durch das Steissknöt-
chen
auf dem Steissbeine, in welchem beide
sympathische Nerven am entgegengesetzten Pol der
Organisation in der Axe des Körpers zusammen
stossen. Von dem Steissknoten gehn dann noch
einige Fäden aus, die strahlenförmig gegen die
Grenze divergiren.

Wenn in diesem vasten Umfang des Nerven-
systems, sofern es sich in die Theile des Körpers
verliert, und dem Gemeingefühl zum Organe
dient, kranke Theile auf dasselbe wirken oder
die Nerven selbst, einzeln oder in ihrem Inbegriff,
erkranken; so entstehn davon die seltsamsten Er-
schütterungen des Gehirns, mancherley Störun-
gen der Seelen-Funktionen, ein unangenehmes
Lebensgefühl und Geneigtheit zur Verrücktheit.
Sind die Nerven selbst krank, so stellen sie nicht
mehr den Zustand des Körpers, sondern ihre
eigene Krankheit vor. Die Seele wird betrogen,

beine. Die Kette iſt im Gehirn durch Fäden des
fünften und ſechsten Paars geſchloſſen, dann gehn
die Schenkel des Bogens auf jeder Seite des Rück-
grats am Halſe, in der Bruſt und dem Bauch
fort, bilden überall Knoten, anaſtomoſiren über
die Wirbelbeine hin von beiden Seiten, erzeugen
die ſplanchniſchen Nerven, beſchreiben überall
kleine Bogen mit den Rückenmarksnerven, ver-
weben ſich mit den groſsen Geflechten der Bruſt-
und Bauchhöhle und enden endlich auf eine merk-
würdige Art, theils durch anaſtomoſirende Aeſte
von beiden Seiten, theils durch das Steiſsknöt-
chen
auf dem Steiſsbeine, in welchem beide
ſympathiſche Nerven am entgegengeſetzten Pol der
Organiſation in der Axe des Körpers zuſammen
ſtoſsen. Von dem Steiſsknoten gehn dann noch
einige Fäden aus, die ſtrahlenförmig gegen die
Grenze divergiren.

Wenn in dieſem vaſten Umfang des Nerven-
ſyſtems, ſofern es ſich in die Theile des Körpers
verliert, und dem Gemeingefühl zum Organe
dient, kranke Theile auf daſſelbe wirken oder
die Nerven ſelbſt, einzeln oder in ihrem Inbegriff,
erkranken; ſo entſtehn davon die ſeltſamſten Er-
ſchütterungen des Gehirns, mancherley Störun-
gen der Seelen-Funktionen, ein unangenehmes
Lebensgefühl und Geneigtheit zur Verrücktheit.
Sind die Nerven ſelbſt krank, ſo ſtellen ſie nicht
mehr den Zuſtand des Körpers, ſondern ihre
eigene Krankheit vor. Die Seele wird betrogen,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0271" n="266"/>
beine. Die Kette i&#x017F;t im Gehirn durch Fäden des<lb/>
fünften und &#x017F;echsten Paars ge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en, dann gehn<lb/>
die Schenkel des Bogens auf jeder Seite des Rück-<lb/>
grats am Hal&#x017F;e, in der Bru&#x017F;t und dem Bauch<lb/>
fort, bilden überall Knoten, ana&#x017F;tomo&#x017F;iren über<lb/>
die Wirbelbeine hin von beiden Seiten, erzeugen<lb/>
die &#x017F;planchni&#x017F;chen Nerven, be&#x017F;chreiben überall<lb/>
kleine Bogen mit den Rückenmarksnerven, ver-<lb/>
weben &#x017F;ich mit den gro&#x017F;sen Geflechten der Bru&#x017F;t-<lb/>
und Bauchhöhle und enden endlich auf eine merk-<lb/>
würdige Art, theils durch ana&#x017F;tomo&#x017F;irende Ae&#x017F;te<lb/>
von beiden Seiten, theils durch das <hi rendition="#g">Stei&#x017F;sknöt-<lb/>
chen</hi> auf dem Stei&#x017F;sbeine, in welchem beide<lb/>
&#x017F;ympathi&#x017F;che Nerven am entgegenge&#x017F;etzten Pol der<lb/>
Organi&#x017F;ation in der Axe des Körpers zu&#x017F;ammen<lb/>
&#x017F;to&#x017F;sen. Von dem Stei&#x017F;sknoten gehn dann noch<lb/>
einige Fäden aus, die &#x017F;trahlenförmig gegen die<lb/>
Grenze divergiren.</p><lb/>
          <p>Wenn in die&#x017F;em va&#x017F;ten Umfang des Nerven-<lb/>
&#x017F;y&#x017F;tems, &#x017F;ofern es &#x017F;ich in die Theile des Körpers<lb/>
verliert, und dem Gemeingefühl zum Organe<lb/>
dient, kranke Theile auf da&#x017F;&#x017F;elbe wirken oder<lb/>
die Nerven &#x017F;elb&#x017F;t, einzeln oder in ihrem Inbegriff,<lb/>
erkranken; &#x017F;o ent&#x017F;tehn davon die &#x017F;elt&#x017F;am&#x017F;ten Er-<lb/>
&#x017F;chütterungen des Gehirns, mancherley Störun-<lb/>
gen der Seelen-Funktionen, ein unangenehmes<lb/>
Lebensgefühl und Geneigtheit zur Verrücktheit.<lb/>
Sind die Nerven &#x017F;elb&#x017F;t krank, &#x017F;o &#x017F;tellen &#x017F;ie nicht<lb/>
mehr den Zu&#x017F;tand des Körpers, &#x017F;ondern ihre<lb/>
eigene Krankheit vor. Die Seele wird betrogen,<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[266/0271] beine. Die Kette iſt im Gehirn durch Fäden des fünften und ſechsten Paars geſchloſſen, dann gehn die Schenkel des Bogens auf jeder Seite des Rück- grats am Halſe, in der Bruſt und dem Bauch fort, bilden überall Knoten, anaſtomoſiren über die Wirbelbeine hin von beiden Seiten, erzeugen die ſplanchniſchen Nerven, beſchreiben überall kleine Bogen mit den Rückenmarksnerven, ver- weben ſich mit den groſsen Geflechten der Bruſt- und Bauchhöhle und enden endlich auf eine merk- würdige Art, theils durch anaſtomoſirende Aeſte von beiden Seiten, theils durch das Steiſsknöt- chen auf dem Steiſsbeine, in welchem beide ſympathiſche Nerven am entgegengeſetzten Pol der Organiſation in der Axe des Körpers zuſammen ſtoſsen. Von dem Steiſsknoten gehn dann noch einige Fäden aus, die ſtrahlenförmig gegen die Grenze divergiren. Wenn in dieſem vaſten Umfang des Nerven- ſyſtems, ſofern es ſich in die Theile des Körpers verliert, und dem Gemeingefühl zum Organe dient, kranke Theile auf daſſelbe wirken oder die Nerven ſelbſt, einzeln oder in ihrem Inbegriff, erkranken; ſo entſtehn davon die ſeltſamſten Er- ſchütterungen des Gehirns, mancherley Störun- gen der Seelen-Funktionen, ein unangenehmes Lebensgefühl und Geneigtheit zur Verrücktheit. Sind die Nerven ſelbſt krank, ſo ſtellen ſie nicht mehr den Zuſtand des Körpers, ſondern ihre eigene Krankheit vor. Die Seele wird betrogen,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/271
Zitationshilfe: Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803, S. 266. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/271>, abgerufen am 25.11.2024.