Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803.

Bild:
<< vorherige Seite

einer Art von Wettstreit die Arbeiten, die jeder
Jahreszeit angemessen sind. Sie bauen Waizen,
Hülsenfrüchte, Kräuter, besorgen die Erndte,
das Dreschen, die Wein- und Olivenlese. Davon
haben sie den Vortheil, dass sie am Abend, in
ihrem glücklichen Asyl, der Ruhe und des
Schlafs geniessen, und viele sollen bloss durch
diese einfache Einrichtung wieder zur Vernunft
gelangen *). In der Nachbarschaft der Stadt
York ist eine Irrenanstalt auf die nemlichen
Grundsätze gegründet. Alle Kranke müssen,
sobald sie dazu hinlänglich vorbereitet sind, arbei-
ten. Die Weiber spinnen, die Männer machen
Geräthe von Stroh und Weidenruthen. Dann
versuchte der Oberaufseher es auch, ein zum Hause
gehöriges Feld durch seine Kranken bearbeiten
zu lassen, und legte jedem ein seinen Kräften
angemessenes Tagewerk auf. Er bemerkte, dass
sie an dieser Beschäfftigung Wohlgefallen hatten,
und sich nach derselben am Abend besser befan-
den, als wenn sie zu Hause geblieben wären.
Delarive sah sie arbeiten. Es waren deren
zwölfe bis funfzehn an der Zahl, die so vergnügt
und zufrieden zu seyn schienen, als es nach ihrem
Zustand möglich war **). Diese Idee, Verrückte
zum Feldbau anzuwenden, um sie dadurch zu

*) Pinel l. c. 240 S.
**) Pinel l. c. 406 S.
Q 2

einer Art von Wettſtreit die Arbeiten, die jeder
Jahreszeit angemeſſen ſind. Sie bauen Waizen,
Hülſenfrüchte, Kräuter, beſorgen die Erndte,
das Dreſchen, die Wein- und Olivenleſe. Davon
haben ſie den Vortheil, daſs ſie am Abend, in
ihrem glücklichen Aſyl, der Ruhe und des
Schlafs genieſsen, und viele ſollen bloſs durch
dieſe einfache Einrichtung wieder zur Vernunft
gelangen *). In der Nachbarſchaft der Stadt
York iſt eine Irrenanſtalt auf die nemlichen
Grundſätze gegründet. Alle Kranke müſſen,
ſobald ſie dazu hinlänglich vorbereitet ſind, arbei-
ten. Die Weiber ſpinnen, die Männer machen
Geräthe von Stroh und Weidenruthen. Dann
verſuchte der Oberaufſeher es auch, ein zum Hauſe
gehöriges Feld durch ſeine Kranken bearbeiten
zu laſſen, und legte jedem ein ſeinen Kräften
angemeſſenes Tagewerk auf. Er bemerkte, daſs
ſie an dieſer Beſchäfftigung Wohlgefallen hatten,
und ſich nach derſelben am Abend beſſer befan-
den, als wenn ſie zu Hauſe geblieben wären.
Delarive ſah ſie arbeiten. Es waren deren
zwölfe bis funfzehn an der Zahl, die ſo vergnügt
und zufrieden zu ſeyn ſchienen, als es nach ihrem
Zuſtand möglich war **). Dieſe Idee, Verrückte
zum Feldbau anzuwenden, um ſie dadurch zu

*) Pinel l. c. 240 S.
**) Pinel l. c. 406 S.
Q 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0248" n="243"/>
einer Art von Wett&#x017F;treit die Arbeiten, die jeder<lb/>
Jahreszeit angeme&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ind. Sie bauen Waizen,<lb/>
Hül&#x017F;enfrüchte, Kräuter, be&#x017F;orgen die Erndte,<lb/>
das Dre&#x017F;chen, die Wein- und Olivenle&#x017F;e. Davon<lb/>
haben &#x017F;ie den Vortheil, da&#x017F;s &#x017F;ie am Abend, in<lb/>
ihrem glücklichen A&#x017F;yl, der Ruhe und des<lb/>
Schlafs genie&#x017F;sen, und viele &#x017F;ollen blo&#x017F;s durch<lb/>
die&#x017F;e einfache Einrichtung wieder zur Vernunft<lb/>
gelangen <note place="foot" n="*)"><hi rendition="#g">Pinel</hi> l. c. 240 S.</note>. In der Nachbar&#x017F;chaft der Stadt<lb/><hi rendition="#g">York</hi> i&#x017F;t eine Irrenan&#x017F;talt auf die nemlichen<lb/>
Grund&#x017F;ätze gegründet. Alle Kranke mü&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
&#x017F;obald &#x017F;ie dazu hinlänglich vorbereitet &#x017F;ind, arbei-<lb/>
ten. Die Weiber &#x017F;pinnen, die Männer machen<lb/>
Geräthe von Stroh und Weidenruthen. Dann<lb/>
ver&#x017F;uchte der Oberauf&#x017F;eher es auch, ein zum Hau&#x017F;e<lb/>
gehöriges Feld durch &#x017F;eine Kranken bearbeiten<lb/>
zu la&#x017F;&#x017F;en, und legte jedem ein &#x017F;einen Kräften<lb/>
angeme&#x017F;&#x017F;enes Tagewerk auf. Er bemerkte, da&#x017F;s<lb/>
&#x017F;ie an die&#x017F;er Be&#x017F;chäfftigung Wohlgefallen hatten,<lb/>
und &#x017F;ich nach der&#x017F;elben am Abend be&#x017F;&#x017F;er befan-<lb/>
den, als wenn &#x017F;ie zu Hau&#x017F;e geblieben wären.<lb/><hi rendition="#g">Delarive</hi> &#x017F;ah &#x017F;ie arbeiten. Es waren deren<lb/>
zwölfe bis funfzehn an der Zahl, die &#x017F;o vergnügt<lb/>
und zufrieden zu &#x017F;eyn &#x017F;chienen, als es nach ihrem<lb/>
Zu&#x017F;tand möglich war <note place="foot" n="**)"><hi rendition="#g">Pinel</hi> l. c. 406 S.</note>. Die&#x017F;e Idee, Verrückte<lb/>
zum Feldbau anzuwenden, um &#x017F;ie dadurch zu<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">Q 2</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[243/0248] einer Art von Wettſtreit die Arbeiten, die jeder Jahreszeit angemeſſen ſind. Sie bauen Waizen, Hülſenfrüchte, Kräuter, beſorgen die Erndte, das Dreſchen, die Wein- und Olivenleſe. Davon haben ſie den Vortheil, daſs ſie am Abend, in ihrem glücklichen Aſyl, der Ruhe und des Schlafs genieſsen, und viele ſollen bloſs durch dieſe einfache Einrichtung wieder zur Vernunft gelangen *). In der Nachbarſchaft der Stadt York iſt eine Irrenanſtalt auf die nemlichen Grundſätze gegründet. Alle Kranke müſſen, ſobald ſie dazu hinlänglich vorbereitet ſind, arbei- ten. Die Weiber ſpinnen, die Männer machen Geräthe von Stroh und Weidenruthen. Dann verſuchte der Oberaufſeher es auch, ein zum Hauſe gehöriges Feld durch ſeine Kranken bearbeiten zu laſſen, und legte jedem ein ſeinen Kräften angemeſſenes Tagewerk auf. Er bemerkte, daſs ſie an dieſer Beſchäfftigung Wohlgefallen hatten, und ſich nach derſelben am Abend beſſer befan- den, als wenn ſie zu Hauſe geblieben wären. Delarive ſah ſie arbeiten. Es waren deren zwölfe bis funfzehn an der Zahl, die ſo vergnügt und zufrieden zu ſeyn ſchienen, als es nach ihrem Zuſtand möglich war **). Dieſe Idee, Verrückte zum Feldbau anzuwenden, um ſie dadurch zu *) Pinel l. c. 240 S. **) Pinel l. c. 406 S. Q 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/248
Zitationshilfe: Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803, S. 243. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/248>, abgerufen am 04.05.2024.