er hinstarrt. Die Eindrücke müssen in der Regel anfänglich aufs Gefühl wirken, weil dies Körper und Seele am innigsten verwebt und das meiste Interesse für den Menschen hat. Sie müssen ge- rade so stark seyn, dass sie den Kranken nöthigen, das durch sie erregte Gefühl und dessen Objekte zu beachten. Dadurch können wir die Seele eine Zeit lang auf eine neue Art beschäfftigen, und in ihr Ideenreihen erregen, die ganz ausser der Sphäre der Verrücktheit liegen. Und damit ist in der That schon viel gewonnen. Indem die zu reizbaren Hirnfasern zur Ruhe gebracht, die trä- gen erregt werden, kehrt die normale Proportion in der Dynamik des Seelenorgans zurück und der hervorstechende Wahn schwindet. Ist der Kranke beides, gehorsam und aufmerksam, so ist die Bahn gebrochen, zur Uebung der einzelnen Kräfte der Seele und ihrer höheren Vermögen. Einige der Mittel, die wir Behufs der Weckung der Besonnenheit und Aufmerksamkeit anwenden, sind unschädlich, z. B. angenehme Gefühle, gleich- gültige Sinnesanschauungen, Arbeiten, Beschäff- tigungen der Seele und des Körpers, aber in hartnäckigen Fällen nicht zureichend. Dann wählt man stärkere; die aber eben deswegen auch schaden können, und daher mit Vorsicht und nur am rechten Ort angewandt werden dürfen.
Wenn der Kranke auf den äussersten Grad sinnlos ist, so müssen erst einige rohe Züge durchs Nervensystem gewagt werden. Er werde durch
er hinſtarrt. Die Eindrücke müſſen in der Regel anfänglich aufs Gefühl wirken, weil dies Körper und Seele am innigſten verwebt und das meiſte Intereſſe für den Menſchen hat. Sie müſſen ge- rade ſo ſtark ſeyn, daſs ſie den Kranken nöthigen, das durch ſie erregte Gefühl und deſſen Objekte zu beachten. Dadurch können wir die Seele eine Zeit lang auf eine neue Art beſchäfftigen, und in ihr Ideenreihen erregen, die ganz auſser der Sphäre der Verrücktheit liegen. Und damit iſt in der That ſchon viel gewonnen. Indem die zu reizbaren Hirnfaſern zur Ruhe gebracht, die trä- gen erregt werden, kehrt die normale Proportion in der Dynamik des Seelenorgans zurück und der hervorſtechende Wahn ſchwindet. Iſt der Kranke beides, gehorſam und aufmerkſam, ſo iſt die Bahn gebrochen, zur Uebung der einzelnen Kräfte der Seele und ihrer höheren Vermögen. Einige der Mittel, die wir Behufs der Weckung der Beſonnenheit und Aufmerkſamkeit anwenden, ſind unſchädlich, z. B. angenehme Gefühle, gleich- gültige Sinnesanſchauungen, Arbeiten, Beſchäff- tigungen der Seele und des Körpers, aber in hartnäckigen Fällen nicht zureichend. Dann wählt man ſtärkere; die aber eben deswegen auch ſchaden können, und daher mit Vorſicht und nur am rechten Ort angewandt werden dürfen.
Wenn der Kranke auf den äuſserſten Grad ſinnlos iſt, ſo müſſen erſt einige rohe Züge durchs Nervenſyſtem gewagt werden. Er werde durch
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0240"n="235"/>
er hinſtarrt. Die Eindrücke müſſen in der Regel<lb/>
anfänglich aufs Gefühl wirken, weil dies Körper<lb/>
und Seele am innigſten verwebt und das meiſte<lb/>
Intereſſe für den Menſchen hat. Sie müſſen ge-<lb/>
rade ſo ſtark ſeyn, daſs ſie den Kranken nöthigen,<lb/>
das durch ſie erregte Gefühl und deſſen Objekte<lb/>
zu beachten. Dadurch können wir die Seele eine<lb/>
Zeit lang auf eine neue Art beſchäfftigen, und<lb/>
in ihr Ideenreihen erregen, die ganz auſser der<lb/>
Sphäre der Verrücktheit liegen. Und damit iſt<lb/>
in der That ſchon viel gewonnen. Indem die zu<lb/>
reizbaren Hirnfaſern zur Ruhe gebracht, die trä-<lb/>
gen erregt werden, kehrt die normale Proportion<lb/>
in der Dynamik des Seelenorgans zurück und<lb/>
der hervorſtechende Wahn ſchwindet. Iſt der<lb/>
Kranke beides, gehorſam und aufmerkſam, ſo<lb/>
iſt die Bahn gebrochen, zur Uebung der einzelnen<lb/>
Kräfte der Seele und ihrer höheren Vermögen.<lb/>
Einige der Mittel, die wir Behufs der Weckung<lb/>
der Beſonnenheit und Aufmerkſamkeit anwenden,<lb/>ſind unſchädlich, z. B. angenehme Gefühle, gleich-<lb/>
gültige Sinnesanſchauungen, Arbeiten, Beſchäff-<lb/>
tigungen der Seele und des Körpers, aber in<lb/>
hartnäckigen Fällen nicht zureichend. Dann<lb/>
wählt man ſtärkere; die aber eben deswegen auch<lb/>ſchaden können, und daher mit Vorſicht und nur<lb/>
am rechten Ort angewandt werden dürfen.</p><lb/><p>Wenn der Kranke auf den äuſserſten Grad<lb/>ſinnlos iſt, ſo müſſen erſt einige rohe Züge durchs<lb/>
Nervenſyſtem gewagt werden. Er werde durch<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[235/0240]
er hinſtarrt. Die Eindrücke müſſen in der Regel
anfänglich aufs Gefühl wirken, weil dies Körper
und Seele am innigſten verwebt und das meiſte
Intereſſe für den Menſchen hat. Sie müſſen ge-
rade ſo ſtark ſeyn, daſs ſie den Kranken nöthigen,
das durch ſie erregte Gefühl und deſſen Objekte
zu beachten. Dadurch können wir die Seele eine
Zeit lang auf eine neue Art beſchäfftigen, und
in ihr Ideenreihen erregen, die ganz auſser der
Sphäre der Verrücktheit liegen. Und damit iſt
in der That ſchon viel gewonnen. Indem die zu
reizbaren Hirnfaſern zur Ruhe gebracht, die trä-
gen erregt werden, kehrt die normale Proportion
in der Dynamik des Seelenorgans zurück und
der hervorſtechende Wahn ſchwindet. Iſt der
Kranke beides, gehorſam und aufmerkſam, ſo
iſt die Bahn gebrochen, zur Uebung der einzelnen
Kräfte der Seele und ihrer höheren Vermögen.
Einige der Mittel, die wir Behufs der Weckung
der Beſonnenheit und Aufmerkſamkeit anwenden,
ſind unſchädlich, z. B. angenehme Gefühle, gleich-
gültige Sinnesanſchauungen, Arbeiten, Beſchäff-
tigungen der Seele und des Körpers, aber in
hartnäckigen Fällen nicht zureichend. Dann
wählt man ſtärkere; die aber eben deswegen auch
ſchaden können, und daher mit Vorſicht und nur
am rechten Ort angewandt werden dürfen.
Wenn der Kranke auf den äuſserſten Grad
ſinnlos iſt, ſo müſſen erſt einige rohe Züge durchs
Nervenſyſtem gewagt werden. Er werde durch
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803, S. 235. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/240>, abgerufen am 26.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.