Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803.

Bild:
<< vorherige Seite

messen zu seyn scheinen. Man verzeihe es mir,
wenn ich in der Erfindung der Mittel für diesen
hypothetischen Fall der Phantasie freien Lauf
lasse. Das aufgestellte Gemählde soll eine blosse
Idee seyn, wie ohngefähr gehandelt werden könnte,
die in der Wirklichkeit unendlicher Variationen
fähig ist.

Um den Kranken zu unterjochen muss man
ihm zuförderst jede Stütze rauben, damit er sich
durchaus hülflos fühle. Man entferne ihn von
seinen Verwandten, dem Gesinde, das ihm ge-
horchen muss, von seinem Hause und aus seiner
Vaterstadt; bringe ihn in ein Tollhaus, in wel-
chem ihm weder das Lokal noch die Menschen
bekannt sind. Dies spannt seine Erwartung, und
um desto mehr, wenn seine Einführung in dasselbe
mit feierlichen und schauderhaften Scenen ver-
knüpft ist. Er hört bey seiner Annäherung
Trommelschlag, Kanonendonner, fährt über
Brücken, die in Ketten liegen, Mohren empfan-
gen ihn. Ein Eintritt unter so ominösen Vorbe-
deutungen kann auf der Stelle jeden Vorsatz zur
Widerspenstigkeit vernichten. In der Absicht
hat man es auch bereits wirklich vorgeschlagen,
die Kranken bey Nacht, oder in verdeckten Wagen,
und durch Umwege in die Irrenanstalt zu fahren,
um sie dadurch zu täuschen, als würden sie in
ferne Gegenden fortgeschafft. Man bringt sie in
ein Tollhaus, das sie als Gesunde nie gesehen
haben, und schneidet ihnen in demselben alle Ver-

P

meſſen zu ſeyn ſcheinen. Man verzeihe es mir,
wenn ich in der Erfindung der Mittel für dieſen
hypothetiſchen Fall der Phantaſie freien Lauf
laſſe. Das aufgeſtellte Gemählde ſoll eine bloſse
Idee ſeyn, wie ohngefähr gehandelt werden könnte,
die in der Wirklichkeit unendlicher Variationen
fähig iſt.

Um den Kranken zu unterjochen muſs man
ihm zuförderſt jede Stütze rauben, damit er ſich
durchaus hülflos fühle. Man entferne ihn von
ſeinen Verwandten, dem Geſinde, das ihm ge-
horchen muſs, von ſeinem Hauſe und aus ſeiner
Vaterſtadt; bringe ihn in ein Tollhaus, in wel-
chem ihm weder das Lokal noch die Menſchen
bekannt ſind. Dies ſpannt ſeine Erwartung, und
um deſto mehr, wenn ſeine Einführung in daſſelbe
mit feierlichen und ſchauderhaften Scenen ver-
knüpft iſt. Er hört bey ſeiner Annäherung
Trommelſchlag, Kanonendonner, fährt über
Brücken, die in Ketten liegen, Mohren empfan-
gen ihn. Ein Eintritt unter ſo ominöſen Vorbe-
deutungen kann auf der Stelle jeden Vorſatz zur
Widerſpenſtigkeit vernichten. In der Abſicht
hat man es auch bereits wirklich vorgeſchlagen,
die Kranken bey Nacht, oder in verdeckten Wagen,
und durch Umwege in die Irrenanſtalt zu fahren,
um ſie dadurch zu täuſchen, als würden ſie in
ferne Gegenden fortgeſchafft. Man bringt ſie in
ein Tollhaus, das ſie als Geſunde nie geſehen
haben, und ſchneidet ihnen in demſelben alle Ver-

P
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0230" n="225"/>
me&#x017F;&#x017F;en zu &#x017F;eyn &#x017F;cheinen. Man verzeihe es mir,<lb/>
wenn ich in der Erfindung der Mittel für die&#x017F;en<lb/>
hypotheti&#x017F;chen Fall der Phanta&#x017F;ie freien Lauf<lb/>
la&#x017F;&#x017F;e. Das aufge&#x017F;tellte Gemählde &#x017F;oll eine blo&#x017F;se<lb/>
Idee &#x017F;eyn, wie ohngefähr gehandelt werden könnte,<lb/>
die in der Wirklichkeit unendlicher Variationen<lb/>
fähig i&#x017F;t.</p><lb/>
          <p>Um den Kranken zu unterjochen mu&#x017F;s man<lb/>
ihm zuförder&#x017F;t jede Stütze rauben, damit er &#x017F;ich<lb/>
durchaus hülflos fühle. Man entferne ihn von<lb/>
&#x017F;einen Verwandten, dem Ge&#x017F;inde, das ihm ge-<lb/>
horchen mu&#x017F;s, von &#x017F;einem Hau&#x017F;e und aus &#x017F;einer<lb/>
Vater&#x017F;tadt; bringe ihn in ein Tollhaus, in wel-<lb/>
chem ihm weder das Lokal noch die Men&#x017F;chen<lb/>
bekannt &#x017F;ind. Dies &#x017F;pannt &#x017F;eine Erwartung, und<lb/>
um de&#x017F;to mehr, wenn &#x017F;eine Einführung in da&#x017F;&#x017F;elbe<lb/>
mit feierlichen und &#x017F;chauderhaften Scenen ver-<lb/>
knüpft i&#x017F;t. Er hört bey &#x017F;einer Annäherung<lb/>
Trommel&#x017F;chlag, Kanonendonner, fährt über<lb/>
Brücken, die in Ketten liegen, Mohren empfan-<lb/>
gen ihn. Ein Eintritt unter &#x017F;o ominö&#x017F;en Vorbe-<lb/>
deutungen kann auf der Stelle jeden Vor&#x017F;atz zur<lb/>
Wider&#x017F;pen&#x017F;tigkeit vernichten. In der Ab&#x017F;icht<lb/>
hat man es auch bereits wirklich vorge&#x017F;chlagen,<lb/>
die Kranken bey Nacht, oder in verdeckten Wagen,<lb/>
und durch Umwege in die Irrenan&#x017F;talt zu fahren,<lb/>
um &#x017F;ie dadurch zu täu&#x017F;chen, als würden &#x017F;ie in<lb/>
ferne Gegenden fortge&#x017F;chafft. Man bringt &#x017F;ie in<lb/>
ein Tollhaus, das &#x017F;ie als Ge&#x017F;unde nie ge&#x017F;ehen<lb/>
haben, und &#x017F;chneidet ihnen in dem&#x017F;elben alle Ver-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">P</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[225/0230] meſſen zu ſeyn ſcheinen. Man verzeihe es mir, wenn ich in der Erfindung der Mittel für dieſen hypothetiſchen Fall der Phantaſie freien Lauf laſſe. Das aufgeſtellte Gemählde ſoll eine bloſse Idee ſeyn, wie ohngefähr gehandelt werden könnte, die in der Wirklichkeit unendlicher Variationen fähig iſt. Um den Kranken zu unterjochen muſs man ihm zuförderſt jede Stütze rauben, damit er ſich durchaus hülflos fühle. Man entferne ihn von ſeinen Verwandten, dem Geſinde, das ihm ge- horchen muſs, von ſeinem Hauſe und aus ſeiner Vaterſtadt; bringe ihn in ein Tollhaus, in wel- chem ihm weder das Lokal noch die Menſchen bekannt ſind. Dies ſpannt ſeine Erwartung, und um deſto mehr, wenn ſeine Einführung in daſſelbe mit feierlichen und ſchauderhaften Scenen ver- knüpft iſt. Er hört bey ſeiner Annäherung Trommelſchlag, Kanonendonner, fährt über Brücken, die in Ketten liegen, Mohren empfan- gen ihn. Ein Eintritt unter ſo ominöſen Vorbe- deutungen kann auf der Stelle jeden Vorſatz zur Widerſpenſtigkeit vernichten. In der Abſicht hat man es auch bereits wirklich vorgeſchlagen, die Kranken bey Nacht, oder in verdeckten Wagen, und durch Umwege in die Irrenanſtalt zu fahren, um ſie dadurch zu täuſchen, als würden ſie in ferne Gegenden fortgeſchafft. Man bringt ſie in ein Tollhaus, das ſie als Geſunde nie geſehen haben, und ſchneidet ihnen in demſelben alle Ver- P

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/230
Zitationshilfe: Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803, S. 225. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/230>, abgerufen am 04.05.2024.