durch den thierischen Magnetismus einen perio- dischen Wahnsinn. Die Kranke war ein Mäd- chen von zwanzig Jahren. Ihre Anfälle begannen mit einer glühenden Hitze auf dem Wirbel des Kopfs und mit Kälte in der Peripherie; dann sprach sie verwirrt, sang, schrie, lärmte und trieb läppische Possen. Nun magnetisirte Gme- lin sie, aber ausser den Paroxismen. In den Crisen sagte sie die Zahl der Anfälle, die Zeit ihrer Genesung voraus und bestimmte die Arz- neien, die ihrer Krankheit angemessen wären. Nur einmal magnetisirte er sie unmittelbar im Paroxis- mus. Ein artistischer Strich mit seiner Hand war hinlänglich, sie in einem Augenblick zum vollen Verstande zu bringen. Allein er versetzte sie gleich wieder durch ein entgegengesetztes Ma- növre in den Zustand der Verrücktheit. Sie sagte nachher in einer ihrer Crisen aus, dass die neulich mit Gewalt erzwungene Besonnenheit ihr das Leben gekostet haben würde, wenn sie nicht schnell wieder in ihre Krankheit zurückgeworfen wäre. Dann giebt es Anomalieen in der beharrlichen Materie, die auf die Funktion des Seelenorgans Einfluss haben. Entweder sie beharrt gleichsam in dem ursprünglichen Zustande ihres Entstehens, wo sie mit Wasser überladen ist; das Nervenmark ist zu weich, die Muskelfaser zu dehnbar, die Galle fade und das Generationssystem ohne Ener- gie. Oder sie ist von entgegengesetzter Beschaf- fenheit. Der Eiweiss- und Faser-Stoff sind zu
durch den thieriſchen Magnetiſmus einen perio- diſchen Wahnſinn. Die Kranke war ein Mäd- chen von zwanzig Jahren. Ihre Anfälle begannen mit einer glühenden Hitze auf dem Wirbel des Kopfs und mit Kälte in der Peripherie; dann ſprach ſie verwirrt, ſang, ſchrie, lärmte und trieb läppiſche Poſſen. Nun magnetiſirte Gme- lin ſie, aber auſser den Paroxiſmen. In den Criſen ſagte ſie die Zahl der Anfälle, die Zeit ihrer Geneſung voraus und beſtimmte die Arz- neien, die ihrer Krankheit angemeſſen wären. Nur einmal magnetiſirte er ſie unmittelbar im Paroxis- mus. Ein artiſtiſcher Strich mit ſeiner Hand war hinlänglich, ſie in einem Augenblick zum vollen Verſtande zu bringen. Allein er verſetzte ſie gleich wieder durch ein entgegengeſetztes Ma- növre in den Zuſtand der Verrücktheit. Sie ſagte nachher in einer ihrer Criſen aus, daſs die neulich mit Gewalt erzwungene Beſonnenheit ihr das Leben gekoſtet haben würde, wenn ſie nicht ſchnell wieder in ihre Krankheit zurückgeworfen wäre. Dann giebt es Anomalieen in der beharrlichen Materie, die auf die Funktion des Seelenorgans Einfluſs haben. Entweder ſie beharrt gleichſam in dem urſprünglichen Zuſtande ihres Entſtehens, wo ſie mit Waſſer überladen iſt; das Nervenmark iſt zu weich, die Muskelfaſer zu dehnbar, die Galle fade und das Generationsſyſtem ohne Ener- gie. Oder ſie iſt von entgegengeſetzter Beſchaf- fenheit. Der Eiweiſs- und Faſer-Stoff ſind zu
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durch den thieriſchen Magnetiſmus einen perio-
diſchen Wahnſinn. Die Kranke war ein Mäd-
chen von zwanzig Jahren. Ihre Anfälle begannen
mit einer glühenden Hitze auf dem Wirbel des
Kopfs und mit Kälte in der Peripherie; dann
ſprach ſie verwirrt, ſang, ſchrie, lärmte und
trieb läppiſche Poſſen. Nun magnetiſirte Gme-
lin ſie, aber auſser den Paroxiſmen. In den
Criſen ſagte ſie die Zahl der Anfälle, die Zeit
ihrer Geneſung voraus und beſtimmte die Arz-
neien, die ihrer Krankheit angemeſſen wären. Nur
einmal magnetiſirte er ſie unmittelbar im Paroxis-
mus. Ein artiſtiſcher Strich mit ſeiner Hand war
hinlänglich, ſie in einem Augenblick zum vollen
Verſtande zu bringen. Allein er verſetzte ſie
gleich wieder durch ein entgegengeſetztes Ma-
növre in den Zuſtand der Verrücktheit. Sie
ſagte nachher in einer ihrer Criſen aus, daſs die
neulich mit Gewalt erzwungene Beſonnenheit ihr
das Leben gekoſtet haben würde, wenn ſie nicht
ſchnell wieder in ihre Krankheit zurückgeworfen
wäre. Dann giebt es Anomalieen in der beharrlichen
Materie, die auf die Funktion des Seelenorgans
Einfluſs haben. Entweder ſie beharrt gleichſam
in dem urſprünglichen Zuſtande ihres Entſtehens,
wo ſie mit Waſſer überladen iſt; das Nervenmark
iſt zu weich, die Muskelfaſer zu dehnbar, die
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Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803, S. 141. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/146>, abgerufen am 23.11.2024.
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