Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 5. Berlin, 1843.

Bild:
<< vorherige Seite
Das Interim.

Wir sehen wohl: es ist die alte Kirche, was hier aufs
neue proclamirt ward: etwas weniger abhängig von dem
Papst, mit einer in einigen Artikeln dahin modificirten Doctrin,
daß die Abweichungen der Protestanten nicht geradezu ver-
dammt wurden, aber übrigens sie selbst mit ihrem Kirchen-
dienst und in ihrer alten Einheit, als deren Mitrepräsentan-
ten sich der Kaiser betrachtete. Es war ohne Zweifel der
kaiserliche Gedanke selbst der sich hier aussprach: und man
mußte nun sehen welchen Anklang er bei der Reichsversamm-
lung finden würde.

Der Kaiser legte den Entwurf zuvörderst den mächti-
gern der Augsburger Confession beigetretenen Fürsten zur An-
nahme vor.

Was auf diese Eindruck machte, war die Meinung daß
diese Formel für das ganze Reich, auch für den altgläubi-
gen Theil gelten sollte.

Auch war dieß ohne Zweifel der ursprüngliche Sinn
des Kaisers: was hätte sonst die Erklärung über das gött-
liche Recht der Bischöfe zu bedeuten gehabt? Nur gegen den
Papst war sie gerichtet. Churfürst Joachim II versichert, er
habe nicht anders gewußt, als daß dieß die Meinung sey:
eben darum ließ er sich so leicht bewegen die Formel an-
zunehmen. Er sah darin eine Bestätigung der von ihm
von jeher gehegten Meinungen über Justification, Sacra-
ment, Priesterehe und Messe, und glaubte daß diesen auf solche
Weise der Weg über ganz Deutschland hin eröffnet sey. So-
gar einen Fortschritt der evangelischen Lehre meinte er voraus-
sehen zu können. 1 Der Churfürst von der Pfalz trat ihm bei.


1 In dem Berliner Archiv findet sich ein Aufsatz zur Verthei-
Das Interim.

Wir ſehen wohl: es iſt die alte Kirche, was hier aufs
neue proclamirt ward: etwas weniger abhängig von dem
Papſt, mit einer in einigen Artikeln dahin modificirten Doctrin,
daß die Abweichungen der Proteſtanten nicht geradezu ver-
dammt wurden, aber übrigens ſie ſelbſt mit ihrem Kirchen-
dienſt und in ihrer alten Einheit, als deren Mitrepräſentan-
ten ſich der Kaiſer betrachtete. Es war ohne Zweifel der
kaiſerliche Gedanke ſelbſt der ſich hier ausſprach: und man
mußte nun ſehen welchen Anklang er bei der Reichsverſamm-
lung finden würde.

Der Kaiſer legte den Entwurf zuvörderſt den mächti-
gern der Augsburger Confeſſion beigetretenen Fürſten zur An-
nahme vor.

Was auf dieſe Eindruck machte, war die Meinung daß
dieſe Formel für das ganze Reich, auch für den altgläubi-
gen Theil gelten ſollte.

Auch war dieß ohne Zweifel der urſprüngliche Sinn
des Kaiſers: was hätte ſonſt die Erklärung über das gött-
liche Recht der Biſchöfe zu bedeuten gehabt? Nur gegen den
Papſt war ſie gerichtet. Churfürſt Joachim II verſichert, er
habe nicht anders gewußt, als daß dieß die Meinung ſey:
eben darum ließ er ſich ſo leicht bewegen die Formel an-
zunehmen. Er ſah darin eine Beſtätigung der von ihm
von jeher gehegten Meinungen über Juſtification, Sacra-
ment, Prieſterehe und Meſſe, und glaubte daß dieſen auf ſolche
Weiſe der Weg über ganz Deutſchland hin eröffnet ſey. So-
gar einen Fortſchritt der evangeliſchen Lehre meinte er voraus-
ſehen zu können. 1 Der Churfürſt von der Pfalz trat ihm bei.


1 In dem Berliner Archiv findet ſich ein Aufſatz zur Verthei-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0057" n="45"/>
            <fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Das Interim</hi>.</fw><lb/>
            <p>Wir &#x017F;ehen wohl: es i&#x017F;t die alte Kirche, was hier aufs<lb/>
neue proclamirt ward: etwas weniger abhängig von dem<lb/>
Pap&#x017F;t, mit einer in einigen Artikeln dahin modificirten Doctrin,<lb/>
daß die Abweichungen der Prote&#x017F;tanten nicht geradezu ver-<lb/>
dammt wurden, aber übrigens &#x017F;ie &#x017F;elb&#x017F;t mit ihrem Kirchen-<lb/>
dien&#x017F;t und in ihrer alten Einheit, als deren Mitreprä&#x017F;entan-<lb/>
ten &#x017F;ich der Kai&#x017F;er betrachtete. Es war ohne Zweifel der<lb/>
kai&#x017F;erliche Gedanke &#x017F;elb&#x017F;t der &#x017F;ich hier aus&#x017F;prach: und man<lb/>
mußte nun &#x017F;ehen welchen Anklang er bei der Reichsver&#x017F;amm-<lb/>
lung finden würde.</p><lb/>
            <p>Der Kai&#x017F;er legte den Entwurf zuvörder&#x017F;t den mächti-<lb/>
gern der Augsburger Confe&#x017F;&#x017F;ion beigetretenen Für&#x017F;ten zur An-<lb/>
nahme vor.</p><lb/>
            <p>Was auf die&#x017F;e Eindruck machte, war die Meinung daß<lb/>
die&#x017F;e Formel für das ganze Reich, auch für den altgläubi-<lb/>
gen Theil gelten &#x017F;ollte.</p><lb/>
            <p>Auch war dieß ohne Zweifel der ur&#x017F;prüngliche Sinn<lb/>
des Kai&#x017F;ers: was hätte &#x017F;on&#x017F;t die Erklärung über das gött-<lb/>
liche Recht der Bi&#x017F;chöfe zu bedeuten gehabt? Nur gegen den<lb/>
Pap&#x017F;t war &#x017F;ie gerichtet. Churfür&#x017F;t Joachim <hi rendition="#aq">II</hi> ver&#x017F;ichert, er<lb/>
habe nicht anders gewußt, als daß dieß die Meinung &#x017F;ey:<lb/>
eben darum ließ er &#x017F;ich &#x017F;o leicht bewegen die Formel an-<lb/>
zunehmen. Er &#x017F;ah darin eine Be&#x017F;tätigung der von ihm<lb/>
von jeher gehegten Meinungen über Ju&#x017F;tification, Sacra-<lb/>
ment, Prie&#x017F;terehe und Me&#x017F;&#x017F;e, und glaubte daß die&#x017F;en auf &#x017F;olche<lb/>
Wei&#x017F;e der Weg über ganz Deut&#x017F;chland hin eröffnet &#x017F;ey. So-<lb/>
gar einen Fort&#x017F;chritt der evangeli&#x017F;chen Lehre meinte er voraus-<lb/>
&#x017F;ehen zu können. <note xml:id="seg2pn_5_1" next="#seg2pn_5_2" place="foot" n="1">In dem Berliner Archiv findet &#x017F;ich ein Auf&#x017F;atz zur Verthei-</note> Der Churfür&#x017F;t von der Pfalz trat ihm bei.</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[45/0057] Das Interim. Wir ſehen wohl: es iſt die alte Kirche, was hier aufs neue proclamirt ward: etwas weniger abhängig von dem Papſt, mit einer in einigen Artikeln dahin modificirten Doctrin, daß die Abweichungen der Proteſtanten nicht geradezu ver- dammt wurden, aber übrigens ſie ſelbſt mit ihrem Kirchen- dienſt und in ihrer alten Einheit, als deren Mitrepräſentan- ten ſich der Kaiſer betrachtete. Es war ohne Zweifel der kaiſerliche Gedanke ſelbſt der ſich hier ausſprach: und man mußte nun ſehen welchen Anklang er bei der Reichsverſamm- lung finden würde. Der Kaiſer legte den Entwurf zuvörderſt den mächti- gern der Augsburger Confeſſion beigetretenen Fürſten zur An- nahme vor. Was auf dieſe Eindruck machte, war die Meinung daß dieſe Formel für das ganze Reich, auch für den altgläubi- gen Theil gelten ſollte. Auch war dieß ohne Zweifel der urſprüngliche Sinn des Kaiſers: was hätte ſonſt die Erklärung über das gött- liche Recht der Biſchöfe zu bedeuten gehabt? Nur gegen den Papſt war ſie gerichtet. Churfürſt Joachim II verſichert, er habe nicht anders gewußt, als daß dieß die Meinung ſey: eben darum ließ er ſich ſo leicht bewegen die Formel an- zunehmen. Er ſah darin eine Beſtätigung der von ihm von jeher gehegten Meinungen über Juſtification, Sacra- ment, Prieſterehe und Meſſe, und glaubte daß dieſen auf ſolche Weiſe der Weg über ganz Deutſchland hin eröffnet ſey. So- gar einen Fortſchritt der evangeliſchen Lehre meinte er voraus- ſehen zu können. 1 Der Churfürſt von der Pfalz trat ihm bei. 1 In dem Berliner Archiv findet ſich ein Aufſatz zur Verthei-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation05_1843
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation05_1843/57
Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 5. Berlin, 1843, S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation05_1843/57>, abgerufen am 05.05.2024.