Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 5. Berlin, 1843.

Bild:
<< vorherige Seite

Zehntes Buch. Achtes Capitel.
wohl als die eigene nationale Vorzeit an: -- daß ein ursprüng-
lich verschiedener Geist, der germanische, an der Erneuerung der
alten Cultur lebendigen Antheil nahm, nicht allein lernend,
sich aneignend, sondern mithervorbringend, und zwar im
Reiche der positiven Wissenschaften, die von nun an unauf-
hörlich fortschritten, trug erst recht dazu bei, sie zu einem Ge-
meingut der Menschheit zu machen.

Wie dadurch eigentlich erst ausgeführt wurde was Carl
der Große bei seinen scholastischen Gründungen beabsichtigt
hatte, so war auch dieser Standpunct wieder nur eine Stufe.

Es bedurfte noch geraumer Zeit, ehe die erwachten Ideen
sich durcharbeiten, bewähren konnten: -- auf Copernicus
mußte erst Kepler folgen; -- die Einwirkungen der mitstreben-
den Nationen der europäischen Gemeinschaft mußten erst wo
sie fördernd waren aufgenommen, wo aber das Gegentheil,
was doch auch geschah, überwunden werden. Die Wissen-
schaften waren noch zu streng an den Gebrauch der lateini-
schen Sprache gebunden, als daß der Geist der Nationen
neuerer Zeit sich mit voller Freiheit darin hätte bewegen
können. Die Tiefe und Ursprünglichkeit der eigenthümlich
germanischen Anschauungen war gleichsam zu stark zurück-
gedrängt. Es ist eine Zeit gekommen, wo der deutsche Geist
das Alterthum noch lebendiger begriffen hat, dem Geheimniß
der Natur noch einen Schritt näher getreten und zugleich zu
eigner und doch allgemein gültiger Darstellung gelangt ist.

Dazu gehörte aber freilich -- denn auch der wissen-
schaftliche Fortschritt beruht auf dem langsam reifenden all-
gemeinen Leben -- eine Entwickelung der politischen Verhält-
nisse, die es möglich machte.


Zehntes Buch. Achtes Capitel.
wohl als die eigene nationale Vorzeit an: — daß ein urſprüng-
lich verſchiedener Geiſt, der germaniſche, an der Erneuerung der
alten Cultur lebendigen Antheil nahm, nicht allein lernend,
ſich aneignend, ſondern mithervorbringend, und zwar im
Reiche der poſitiven Wiſſenſchaften, die von nun an unauf-
hörlich fortſchritten, trug erſt recht dazu bei, ſie zu einem Ge-
meingut der Menſchheit zu machen.

Wie dadurch eigentlich erſt ausgeführt wurde was Carl
der Große bei ſeinen ſcholaſtiſchen Gründungen beabſichtigt
hatte, ſo war auch dieſer Standpunct wieder nur eine Stufe.

Es bedurfte noch geraumer Zeit, ehe die erwachten Ideen
ſich durcharbeiten, bewähren konnten: — auf Copernicus
mußte erſt Kepler folgen; — die Einwirkungen der mitſtreben-
den Nationen der europäiſchen Gemeinſchaft mußten erſt wo
ſie fördernd waren aufgenommen, wo aber das Gegentheil,
was doch auch geſchah, überwunden werden. Die Wiſſen-
ſchaften waren noch zu ſtreng an den Gebrauch der lateini-
ſchen Sprache gebunden, als daß der Geiſt der Nationen
neuerer Zeit ſich mit voller Freiheit darin hätte bewegen
können. Die Tiefe und Urſprünglichkeit der eigenthümlich
germaniſchen Anſchauungen war gleichſam zu ſtark zurück-
gedrängt. Es iſt eine Zeit gekommen, wo der deutſche Geiſt
das Alterthum noch lebendiger begriffen hat, dem Geheimniß
der Natur noch einen Schritt näher getreten und zugleich zu
eigner und doch allgemein gültiger Darſtellung gelangt iſt.

Dazu gehörte aber freilich — denn auch der wiſſen-
ſchaftliche Fortſchritt beruht auf dem langſam reifenden all-
gemeinen Leben — eine Entwickelung der politiſchen Verhält-
niſſe, die es möglich machte.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0512" n="500"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Zehntes Buch. Achtes Capitel</hi>.</fw><lb/>
wohl als die eigene nationale Vorzeit an: &#x2014; daß ein ur&#x017F;prüng-<lb/>
lich ver&#x017F;chiedener Gei&#x017F;t, der germani&#x017F;che, an der Erneuerung der<lb/>
alten Cultur lebendigen Antheil nahm, nicht allein lernend,<lb/>
&#x017F;ich aneignend, &#x017F;ondern mithervorbringend, und zwar im<lb/>
Reiche der po&#x017F;itiven Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften, die von nun an unauf-<lb/>
hörlich fort&#x017F;chritten, trug er&#x017F;t recht dazu bei, &#x017F;ie zu einem Ge-<lb/>
meingut der Men&#x017F;chheit zu machen.</p><lb/>
          <p>Wie dadurch eigentlich er&#x017F;t ausgeführt wurde was Carl<lb/>
der Große bei &#x017F;einen &#x017F;chola&#x017F;ti&#x017F;chen Gründungen beab&#x017F;ichtigt<lb/>
hatte, &#x017F;o war auch die&#x017F;er Standpunct wieder nur eine Stufe.</p><lb/>
          <p>Es bedurfte noch geraumer Zeit, ehe die erwachten Ideen<lb/>
&#x017F;ich durcharbeiten, bewähren konnten: &#x2014; auf Copernicus<lb/>
mußte er&#x017F;t Kepler folgen; &#x2014; die Einwirkungen der mit&#x017F;treben-<lb/>
den Nationen der europäi&#x017F;chen Gemein&#x017F;chaft mußten er&#x017F;t wo<lb/>
&#x017F;ie fördernd waren aufgenommen, wo aber das Gegentheil,<lb/>
was doch auch ge&#x017F;chah, überwunden werden. Die Wi&#x017F;&#x017F;en-<lb/>
&#x017F;chaften waren noch zu &#x017F;treng an den Gebrauch der lateini-<lb/>
&#x017F;chen Sprache gebunden, als daß der Gei&#x017F;t der Nationen<lb/>
neuerer Zeit &#x017F;ich mit voller Freiheit darin hätte bewegen<lb/>
können. Die Tiefe und Ur&#x017F;prünglichkeit der eigenthümlich<lb/>
germani&#x017F;chen An&#x017F;chauungen war gleich&#x017F;am zu &#x017F;tark zurück-<lb/>
gedrängt. Es i&#x017F;t eine Zeit gekommen, wo der deut&#x017F;che Gei&#x017F;t<lb/>
das Alterthum noch lebendiger begriffen hat, dem Geheimniß<lb/>
der Natur noch einen Schritt näher getreten und zugleich zu<lb/>
eigner und doch allgemein gültiger Dar&#x017F;tellung gelangt i&#x017F;t.</p><lb/>
          <p>Dazu gehörte aber freilich &#x2014; denn auch der wi&#x017F;&#x017F;en-<lb/>
&#x017F;chaftliche Fort&#x017F;chritt beruht auf dem lang&#x017F;am reifenden all-<lb/>
gemeinen Leben &#x2014; eine Entwickelung der politi&#x017F;chen Verhält-<lb/>
ni&#x017F;&#x017F;e, die es möglich machte.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[500/0512] Zehntes Buch. Achtes Capitel. wohl als die eigene nationale Vorzeit an: — daß ein urſprüng- lich verſchiedener Geiſt, der germaniſche, an der Erneuerung der alten Cultur lebendigen Antheil nahm, nicht allein lernend, ſich aneignend, ſondern mithervorbringend, und zwar im Reiche der poſitiven Wiſſenſchaften, die von nun an unauf- hörlich fortſchritten, trug erſt recht dazu bei, ſie zu einem Ge- meingut der Menſchheit zu machen. Wie dadurch eigentlich erſt ausgeführt wurde was Carl der Große bei ſeinen ſcholaſtiſchen Gründungen beabſichtigt hatte, ſo war auch dieſer Standpunct wieder nur eine Stufe. Es bedurfte noch geraumer Zeit, ehe die erwachten Ideen ſich durcharbeiten, bewähren konnten: — auf Copernicus mußte erſt Kepler folgen; — die Einwirkungen der mitſtreben- den Nationen der europäiſchen Gemeinſchaft mußten erſt wo ſie fördernd waren aufgenommen, wo aber das Gegentheil, was doch auch geſchah, überwunden werden. Die Wiſſen- ſchaften waren noch zu ſtreng an den Gebrauch der lateini- ſchen Sprache gebunden, als daß der Geiſt der Nationen neuerer Zeit ſich mit voller Freiheit darin hätte bewegen können. Die Tiefe und Urſprünglichkeit der eigenthümlich germaniſchen Anſchauungen war gleichſam zu ſtark zurück- gedrängt. Es iſt eine Zeit gekommen, wo der deutſche Geiſt das Alterthum noch lebendiger begriffen hat, dem Geheimniß der Natur noch einen Schritt näher getreten und zugleich zu eigner und doch allgemein gültiger Darſtellung gelangt iſt. Dazu gehörte aber freilich — denn auch der wiſſen- ſchaftliche Fortſchritt beruht auf dem langſam reifenden all- gemeinen Leben — eine Entwickelung der politiſchen Verhält- niſſe, die es möglich machte.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation05_1843
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation05_1843/512
Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 5. Berlin, 1843, S. 500. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation05_1843/512>, abgerufen am 24.11.2024.