wohl als die eigene nationale Vorzeit an: -- daß ein ursprüng- lich verschiedener Geist, der germanische, an der Erneuerung der alten Cultur lebendigen Antheil nahm, nicht allein lernend, sich aneignend, sondern mithervorbringend, und zwar im Reiche der positiven Wissenschaften, die von nun an unauf- hörlich fortschritten, trug erst recht dazu bei, sie zu einem Ge- meingut der Menschheit zu machen.
Wie dadurch eigentlich erst ausgeführt wurde was Carl der Große bei seinen scholastischen Gründungen beabsichtigt hatte, so war auch dieser Standpunct wieder nur eine Stufe.
Es bedurfte noch geraumer Zeit, ehe die erwachten Ideen sich durcharbeiten, bewähren konnten: -- auf Copernicus mußte erst Kepler folgen; -- die Einwirkungen der mitstreben- den Nationen der europäischen Gemeinschaft mußten erst wo sie fördernd waren aufgenommen, wo aber das Gegentheil, was doch auch geschah, überwunden werden. Die Wissen- schaften waren noch zu streng an den Gebrauch der lateini- schen Sprache gebunden, als daß der Geist der Nationen neuerer Zeit sich mit voller Freiheit darin hätte bewegen können. Die Tiefe und Ursprünglichkeit der eigenthümlich germanischen Anschauungen war gleichsam zu stark zurück- gedrängt. Es ist eine Zeit gekommen, wo der deutsche Geist das Alterthum noch lebendiger begriffen hat, dem Geheimniß der Natur noch einen Schritt näher getreten und zugleich zu eigner und doch allgemein gültiger Darstellung gelangt ist.
Dazu gehörte aber freilich -- denn auch der wissen- schaftliche Fortschritt beruht auf dem langsam reifenden all- gemeinen Leben -- eine Entwickelung der politischen Verhält- nisse, die es möglich machte.
Zehntes Buch. Achtes Capitel.
wohl als die eigene nationale Vorzeit an: — daß ein urſprüng- lich verſchiedener Geiſt, der germaniſche, an der Erneuerung der alten Cultur lebendigen Antheil nahm, nicht allein lernend, ſich aneignend, ſondern mithervorbringend, und zwar im Reiche der poſitiven Wiſſenſchaften, die von nun an unauf- hörlich fortſchritten, trug erſt recht dazu bei, ſie zu einem Ge- meingut der Menſchheit zu machen.
Wie dadurch eigentlich erſt ausgeführt wurde was Carl der Große bei ſeinen ſcholaſtiſchen Gründungen beabſichtigt hatte, ſo war auch dieſer Standpunct wieder nur eine Stufe.
Es bedurfte noch geraumer Zeit, ehe die erwachten Ideen ſich durcharbeiten, bewähren konnten: — auf Copernicus mußte erſt Kepler folgen; — die Einwirkungen der mitſtreben- den Nationen der europäiſchen Gemeinſchaft mußten erſt wo ſie fördernd waren aufgenommen, wo aber das Gegentheil, was doch auch geſchah, überwunden werden. Die Wiſſen- ſchaften waren noch zu ſtreng an den Gebrauch der lateini- ſchen Sprache gebunden, als daß der Geiſt der Nationen neuerer Zeit ſich mit voller Freiheit darin hätte bewegen können. Die Tiefe und Urſprünglichkeit der eigenthümlich germaniſchen Anſchauungen war gleichſam zu ſtark zurück- gedrängt. Es iſt eine Zeit gekommen, wo der deutſche Geiſt das Alterthum noch lebendiger begriffen hat, dem Geheimniß der Natur noch einen Schritt näher getreten und zugleich zu eigner und doch allgemein gültiger Darſtellung gelangt iſt.
Dazu gehörte aber freilich — denn auch der wiſſen- ſchaftliche Fortſchritt beruht auf dem langſam reifenden all- gemeinen Leben — eine Entwickelung der politiſchen Verhält- niſſe, die es möglich machte.
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Zehntes Buch. Achtes Capitel.
wohl als die eigene nationale Vorzeit an: — daß ein urſprüng-
lich verſchiedener Geiſt, der germaniſche, an der Erneuerung der
alten Cultur lebendigen Antheil nahm, nicht allein lernend,
ſich aneignend, ſondern mithervorbringend, und zwar im
Reiche der poſitiven Wiſſenſchaften, die von nun an unauf-
hörlich fortſchritten, trug erſt recht dazu bei, ſie zu einem Ge-
meingut der Menſchheit zu machen.
Wie dadurch eigentlich erſt ausgeführt wurde was Carl
der Große bei ſeinen ſcholaſtiſchen Gründungen beabſichtigt
hatte, ſo war auch dieſer Standpunct wieder nur eine Stufe.
Es bedurfte noch geraumer Zeit, ehe die erwachten Ideen
ſich durcharbeiten, bewähren konnten: — auf Copernicus
mußte erſt Kepler folgen; — die Einwirkungen der mitſtreben-
den Nationen der europäiſchen Gemeinſchaft mußten erſt wo
ſie fördernd waren aufgenommen, wo aber das Gegentheil,
was doch auch geſchah, überwunden werden. Die Wiſſen-
ſchaften waren noch zu ſtreng an den Gebrauch der lateini-
ſchen Sprache gebunden, als daß der Geiſt der Nationen
neuerer Zeit ſich mit voller Freiheit darin hätte bewegen
können. Die Tiefe und Urſprünglichkeit der eigenthümlich
germaniſchen Anſchauungen war gleichſam zu ſtark zurück-
gedrängt. Es iſt eine Zeit gekommen, wo der deutſche Geiſt
das Alterthum noch lebendiger begriffen hat, dem Geheimniß
der Natur noch einen Schritt näher getreten und zugleich zu
eigner und doch allgemein gültiger Darſtellung gelangt iſt.
Dazu gehörte aber freilich — denn auch der wiſſen-
ſchaftliche Fortſchritt beruht auf dem langſam reifenden all-
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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 5. Berlin, 1843, S. 500. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation05_1843/512>, abgerufen am 24.11.2024.
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