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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 5. Berlin, 1843.

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Rechtswissenschaft. (Haloander.)
Erasmus auch andere deutsche Philologen viel Verdienst er-
warben, kam den Abweichungen der Protestanten mächtig zu
Statten. Vor der ursprünglichen Auffassung des christlichen
Alterthums verschwanden die hierarchischen Satzungen.

Verwandter Natur, wenn auch lange nicht so weit aus-
sehend, ist, was in der Rechtsgelehrsamkeit geschah.

Bei weitem enger hatten sich die Glossatoren ihrer Ur-
kunde, den justinianeischen Rechtsbüchern angeschlossen, deren
Wiederbelebung und Verbreitung die Welt ihnen eigentlich
verdankt, als die scholastischen Theologen der heiligen Schrift.
Ihr Text beruht auf alten Handschriften, ihre Anmerkun-
gen sind nicht selten ganz treffend. Aber dabei ist doch un-
leugbar, daß diese besonders unter den Händen ihrer Nach-
folger sich immer mehr mit fremdartigen Elementen versetz-
ten und nur größere Dunkelheit hervorbrachten, 1 jener durch
willkührliche Eintheilungen und Zusätze entstellt, nichts weni-
ger als zuverläßig war. Und doch wurden diese Rechtsbü-
cher als die kaiserlichen, allgemein gültigen betrachtet, und
sollten practisch in Anwendung kommen. Die pisanische
Handschrift der Pandecten, wie hoch man ihren Werth auch
anschlug, so daß man sich ihr nur mit einer Art von aber-
gläubischer Verehrung näherte, war noch nicht zu öffentli-
chem Gebrauche benutzt. Da wollte nun die Gunst des
Zufalls, daß ein junger Deutscher, Gregor Hoffmann aus
Zwickau, genannt Haloander, der in Begleitung Julius
Pflugs eine Reise nach Italien machte, in Bologna eine

1 Bebel an Zasius: Creverunt Glossatorum commentaria
super omnes constitutiones, nec ullus finis est sperandus, nisi
Caesar - - verbositatem nodosissimam atque obscurissimam in
compendium reducat.

Rechtswiſſenſchaft. (Haloander.)
Erasmus auch andere deutſche Philologen viel Verdienſt er-
warben, kam den Abweichungen der Proteſtanten mächtig zu
Statten. Vor der urſprünglichen Auffaſſung des chriſtlichen
Alterthums verſchwanden die hierarchiſchen Satzungen.

Verwandter Natur, wenn auch lange nicht ſo weit aus-
ſehend, iſt, was in der Rechtsgelehrſamkeit geſchah.

Bei weitem enger hatten ſich die Gloſſatoren ihrer Ur-
kunde, den juſtinianeiſchen Rechtsbüchern angeſchloſſen, deren
Wiederbelebung und Verbreitung die Welt ihnen eigentlich
verdankt, als die ſcholaſtiſchen Theologen der heiligen Schrift.
Ihr Text beruht auf alten Handſchriften, ihre Anmerkun-
gen ſind nicht ſelten ganz treffend. Aber dabei iſt doch un-
leugbar, daß dieſe beſonders unter den Händen ihrer Nach-
folger ſich immer mehr mit fremdartigen Elementen verſetz-
ten und nur größere Dunkelheit hervorbrachten, 1 jener durch
willkührliche Eintheilungen und Zuſätze entſtellt, nichts weni-
ger als zuverläßig war. Und doch wurden dieſe Rechtsbü-
cher als die kaiſerlichen, allgemein gültigen betrachtet, und
ſollten practiſch in Anwendung kommen. Die piſaniſche
Handſchrift der Pandecten, wie hoch man ihren Werth auch
anſchlug, ſo daß man ſich ihr nur mit einer Art von aber-
gläubiſcher Verehrung näherte, war noch nicht zu öffentli-
chem Gebrauche benutzt. Da wollte nun die Gunſt des
Zufalls, daß ein junger Deutſcher, Gregor Hoffmann aus
Zwickau, genannt Haloander, der in Begleitung Julius
Pflugs eine Reiſe nach Italien machte, in Bologna eine

1 Bebel an Zaſius: Creverunt Glossatorum commentaria
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[471/0483] Rechtswiſſenſchaft. (Haloander.) Erasmus auch andere deutſche Philologen viel Verdienſt er- warben, kam den Abweichungen der Proteſtanten mächtig zu Statten. Vor der urſprünglichen Auffaſſung des chriſtlichen Alterthums verſchwanden die hierarchiſchen Satzungen. Verwandter Natur, wenn auch lange nicht ſo weit aus- ſehend, iſt, was in der Rechtsgelehrſamkeit geſchah. Bei weitem enger hatten ſich die Gloſſatoren ihrer Ur- kunde, den juſtinianeiſchen Rechtsbüchern angeſchloſſen, deren Wiederbelebung und Verbreitung die Welt ihnen eigentlich verdankt, als die ſcholaſtiſchen Theologen der heiligen Schrift. Ihr Text beruht auf alten Handſchriften, ihre Anmerkun- gen ſind nicht ſelten ganz treffend. Aber dabei iſt doch un- leugbar, daß dieſe beſonders unter den Händen ihrer Nach- folger ſich immer mehr mit fremdartigen Elementen verſetz- ten und nur größere Dunkelheit hervorbrachten, 1 jener durch willkührliche Eintheilungen und Zuſätze entſtellt, nichts weni- ger als zuverläßig war. Und doch wurden dieſe Rechtsbü- cher als die kaiſerlichen, allgemein gültigen betrachtet, und ſollten practiſch in Anwendung kommen. Die piſaniſche Handſchrift der Pandecten, wie hoch man ihren Werth auch anſchlug, ſo daß man ſich ihr nur mit einer Art von aber- gläubiſcher Verehrung näherte, war noch nicht zu öffentli- chem Gebrauche benutzt. Da wollte nun die Gunſt des Zufalls, daß ein junger Deutſcher, Gregor Hoffmann aus Zwickau, genannt Haloander, der in Begleitung Julius Pflugs eine Reiſe nach Italien machte, in Bologna eine 1 Bebel an Zaſius: Creverunt Glossatorum commentaria super omnes constitutiones, nec ullus finis est sperandus, nisi Caesar ‒ ‒ verbositatem nodosissimam atque obscurissimam in compendium reducat.

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 5. Berlin, 1843, S. 471. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation05_1843/483>, abgerufen am 22.11.2024.