Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 5. Berlin, 1843.

Bild:
<< vorherige Seite

Philologie. (Hier. Wolf.)
feres Eingehen, Kritik und ächtes Verständniß beweisen. Joa-
chim Camerarius hat für Plautus vielleicht von allen Her-
ausgebern das Meiste gethan; 1 er ist der Erste der die
Spuren einer doppelten Recension in dem vorliegenden Texte
der ciceronianischen Schriften, möge dieselbe nun stammen
woher sie wolle, bemerkt hat. 2 Ein entschiedenes philologi-
sches Talent war Hieronymus Wolf aus Öttingen: -- eine
zarte, schwächliche, leicht verletzbare Natur, der darüber er-
röthete wenn ein Andrer eine Unwahrheit sagte, der von der
Sohle bis zur Scheitel erzitterte, als er zuerst den berühm-
ten Melanchthon ansichtig wurde; immer voll Furcht vor
dem Hasse der Menschen und dem widrigen Einfluß gehei-
mer satanischer Kräfte; aber eben darum mit einsiedlerischem
Fleiße unter den ungünstigsten Umständen den Studien hin-
gegeben, und seiner Sache, obwohl er nie recht damit zu-
frieden war daß er sie ergriffen hatte, vollkommen Mei-
ster. Er wagte sich an die Übersetzung des Demosthenes,
eine Arbeit, vor der Erasmus und Budäus zurückgeschrocken
waren, und führte sie auf eine Weise durch, die seinen Na-
men mit dem seines Autors auf immer verknüpft hat. Er
ist auch in der Kritik des Textes 3 der Sospitator der Red-
ner, und hat sie den spätern Zeiten erst wieder zugänglich,
verständlich gemacht. Ohne seinen Fleiß würden die Byzan-
tiner wohl noch lange unbekannt geblieben seyn: er ist glück-

1 Vgl. Lessing Von dem Leben und den Werken des Plautus.
Sämmtliche Schriften herausgeg. von Lachmann III, 17.
2 "quam observationem fecit suam C. Stephanus." Literar-
notiz vor der Zweibrücker Ausgabe des Cicero I, p. LXXXV.
3 F. A. Wolf: saepe orator ibi etiam inoffensius legitur
quam in postrema Lipsiensi.
Vgl. Becker Literatur des Demosthe-
nes p. 96.

Philologie. (Hier. Wolf.)
feres Eingehen, Kritik und ächtes Verſtändniß beweiſen. Joa-
chim Camerarius hat für Plautus vielleicht von allen Her-
ausgebern das Meiſte gethan; 1 er iſt der Erſte der die
Spuren einer doppelten Recenſion in dem vorliegenden Texte
der ciceronianiſchen Schriften, möge dieſelbe nun ſtammen
woher ſie wolle, bemerkt hat. 2 Ein entſchiedenes philologi-
ſches Talent war Hieronymus Wolf aus Öttingen: — eine
zarte, ſchwächliche, leicht verletzbare Natur, der darüber er-
röthete wenn ein Andrer eine Unwahrheit ſagte, der von der
Sohle bis zur Scheitel erzitterte, als er zuerſt den berühm-
ten Melanchthon anſichtig wurde; immer voll Furcht vor
dem Haſſe der Menſchen und dem widrigen Einfluß gehei-
mer ſataniſcher Kräfte; aber eben darum mit einſiedleriſchem
Fleiße unter den ungünſtigſten Umſtänden den Studien hin-
gegeben, und ſeiner Sache, obwohl er nie recht damit zu-
frieden war daß er ſie ergriffen hatte, vollkommen Mei-
ſter. Er wagte ſich an die Überſetzung des Demoſthenes,
eine Arbeit, vor der Erasmus und Budäus zurückgeſchrocken
waren, und führte ſie auf eine Weiſe durch, die ſeinen Na-
men mit dem ſeines Autors auf immer verknüpft hat. Er
iſt auch in der Kritik des Textes 3 der Soſpitator der Red-
ner, und hat ſie den ſpätern Zeiten erſt wieder zugänglich,
verſtändlich gemacht. Ohne ſeinen Fleiß würden die Byzan-
tiner wohl noch lange unbekannt geblieben ſeyn: er iſt glück-

1 Vgl. Leſſing Von dem Leben und den Werken des Plautus.
Saͤmmtliche Schriften herausgeg. von Lachmann III, 17.
2 „quam observationem fecit suam C. Stephanus.“ Literar-
notiz vor der Zweibruͤcker Ausgabe des Cicero I, p. LXXXV.
3 F. A. Wolf: saepe orator ibi etiam inoffensius legitur
quam in postrema Lipsiensi.
Vgl. Becker Literatur des Demoſthe-
nes p. 96.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0481" n="469"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Philologie. (Hier. Wolf.)</hi></fw><lb/>
feres Eingehen, Kritik und ächtes Ver&#x017F;tändniß bewei&#x017F;en. Joa-<lb/>
chim Camerarius hat für Plautus vielleicht von allen Her-<lb/>
ausgebern das Mei&#x017F;te gethan; <note place="foot" n="1">Vgl. Le&#x017F;&#x017F;ing Von dem Leben und den Werken des Plautus.<lb/>
Sa&#x0364;mmtliche Schriften herausgeg. von Lachmann <hi rendition="#aq">III,</hi> 17.</note> er i&#x017F;t der Er&#x017F;te der die<lb/>
Spuren einer doppelten Recen&#x017F;ion in dem vorliegenden Texte<lb/>
der ciceroniani&#x017F;chen Schriften, möge die&#x017F;elbe nun &#x017F;tammen<lb/>
woher &#x017F;ie wolle, bemerkt hat. <note place="foot" n="2"><hi rendition="#aq">&#x201E;quam observationem fecit suam C. Stephanus.&#x201C;</hi> Literar-<lb/>
notiz vor der Zweibru&#x0364;cker Ausgabe des Cicero <hi rendition="#aq">I, p. LXXXV.</hi></note> Ein ent&#x017F;chiedenes philologi-<lb/>
&#x017F;ches Talent war Hieronymus Wolf aus Öttingen: &#x2014; eine<lb/>
zarte, &#x017F;chwächliche, leicht verletzbare Natur, der darüber er-<lb/>
röthete wenn ein Andrer eine Unwahrheit &#x017F;agte, der von der<lb/>
Sohle bis zur Scheitel erzitterte, als er zuer&#x017F;t den berühm-<lb/>
ten Melanchthon an&#x017F;ichtig wurde; immer voll Furcht vor<lb/>
dem Ha&#x017F;&#x017F;e der Men&#x017F;chen und dem widrigen Einfluß gehei-<lb/>
mer &#x017F;atani&#x017F;cher Kräfte; aber eben darum mit ein&#x017F;iedleri&#x017F;chem<lb/>
Fleiße unter den ungün&#x017F;tig&#x017F;ten Um&#x017F;tänden den Studien hin-<lb/>
gegeben, und &#x017F;einer Sache, obwohl er nie recht damit zu-<lb/>
frieden war daß er &#x017F;ie ergriffen hatte, vollkommen Mei-<lb/>
&#x017F;ter. Er wagte &#x017F;ich an die Über&#x017F;etzung des Demo&#x017F;thenes,<lb/>
eine Arbeit, vor der Erasmus und Budäus zurückge&#x017F;chrocken<lb/>
waren, und führte &#x017F;ie auf eine Wei&#x017F;e durch, die &#x017F;einen Na-<lb/>
men mit dem &#x017F;eines Autors auf immer verknüpft hat. Er<lb/>
i&#x017F;t auch in der Kritik des Textes <note place="foot" n="3">F. A. Wolf: <hi rendition="#aq">saepe orator ibi etiam inoffensius legitur<lb/>
quam in postrema Lipsiensi.</hi> Vgl. Becker Literatur des Demo&#x017F;the-<lb/>
nes <hi rendition="#aq">p.</hi> 96.</note> der So&#x017F;pitator der Red-<lb/>
ner, und hat &#x017F;ie den &#x017F;pätern Zeiten er&#x017F;t wieder zugänglich,<lb/>
ver&#x017F;tändlich gemacht. Ohne &#x017F;einen Fleiß würden die Byzan-<lb/>
tiner wohl noch lange unbekannt geblieben &#x017F;eyn: er i&#x017F;t glück-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[469/0481] Philologie. (Hier. Wolf.) feres Eingehen, Kritik und ächtes Verſtändniß beweiſen. Joa- chim Camerarius hat für Plautus vielleicht von allen Her- ausgebern das Meiſte gethan; 1 er iſt der Erſte der die Spuren einer doppelten Recenſion in dem vorliegenden Texte der ciceronianiſchen Schriften, möge dieſelbe nun ſtammen woher ſie wolle, bemerkt hat. 2 Ein entſchiedenes philologi- ſches Talent war Hieronymus Wolf aus Öttingen: — eine zarte, ſchwächliche, leicht verletzbare Natur, der darüber er- röthete wenn ein Andrer eine Unwahrheit ſagte, der von der Sohle bis zur Scheitel erzitterte, als er zuerſt den berühm- ten Melanchthon anſichtig wurde; immer voll Furcht vor dem Haſſe der Menſchen und dem widrigen Einfluß gehei- mer ſataniſcher Kräfte; aber eben darum mit einſiedleriſchem Fleiße unter den ungünſtigſten Umſtänden den Studien hin- gegeben, und ſeiner Sache, obwohl er nie recht damit zu- frieden war daß er ſie ergriffen hatte, vollkommen Mei- ſter. Er wagte ſich an die Überſetzung des Demoſthenes, eine Arbeit, vor der Erasmus und Budäus zurückgeſchrocken waren, und führte ſie auf eine Weiſe durch, die ſeinen Na- men mit dem ſeines Autors auf immer verknüpft hat. Er iſt auch in der Kritik des Textes 3 der Soſpitator der Red- ner, und hat ſie den ſpätern Zeiten erſt wieder zugänglich, verſtändlich gemacht. Ohne ſeinen Fleiß würden die Byzan- tiner wohl noch lange unbekannt geblieben ſeyn: er iſt glück- 1 Vgl. Leſſing Von dem Leben und den Werken des Plautus. Saͤmmtliche Schriften herausgeg. von Lachmann III, 17. 2 „quam observationem fecit suam C. Stephanus.“ Literar- notiz vor der Zweibruͤcker Ausgabe des Cicero I, p. LXXXV. 3 F. A. Wolf: saepe orator ibi etiam inoffensius legitur quam in postrema Lipsiensi. Vgl. Becker Literatur des Demoſthe- nes p. 96.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation05_1843
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation05_1843/481
Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 5. Berlin, 1843, S. 469. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation05_1843/481>, abgerufen am 25.11.2024.