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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 5. Berlin, 1843.

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Letzte Tage Carls V.
Mensch noch athmet und lebt, kann er sich dem Kampfe der
Elemente nicht entziehen, welcher die Welt bewegt. Auch
in dieser Abgeschiedenheit ward Carl V von den ihm, seit
sie den Umsturz seines Glückes veranlaßt, erst recht verhaß-
ten neuen Meinungen erreicht. Plötzlich entdeckte man kleine
Gemeinen protestantischer Tendenz in Valladolid und Se-
villa. 1 Augustin Cazalla, der während des schmalkaldischen
Krieges um ihn gewesen und noch in Juste vor ihm gepre-
digt, wies sich selbst als ein Lutherisch-gläubiger aus. Der
Kaiser war darüber betroffen, ja erschüttert. Am Ende sei-
ner Tage mußte er erleben, daß ein Mann der sein Gewis-
sen eine Zeitlang geleitet, die Meinungen bekannte, mit de-
nen er sein ganzes Leben gekämpft hatte. In seinem letzten
Codicill, nur zwölf Tage vor seinem Tode, ermahnt er noch
seinen Sohn und die spanische Regierung auf das dringendste,
die Ketzereien in ihrem Keime zu unterdrücken. Doch scheint
es fast als habe er an menschlichen Mitteln verzweifelt. Er
betete nur noch für die Einheit der Kirche: "in deine Hände,
o Herr," hörte man ihn sagen, "habe ich deine Kirche über-
geben." 2 Er starb in dem Gedanken der sein Leben aus-
gemacht: 21 Sept. 1558.

Für eine Kirche von politisch-religiöser Einheit, die ganze
abendländische Welt umfassend, wie er sie gedacht, war kein
Raum mehr in Europa. Der Gedanke selbst ist niemals wie-
der so lebendig in die Seele eines Menschen gekommen, wie
Carl V ihn hegte. Schon genug, wenn die südlichen Na-
tionen sich der vordringenden Bewegung nur selber erwehr-

1 MCrie Geschichte der Reformation in Spanien p. 252.
2 In manus tuas tradidi ecclesiam tuam. Sandoval II, 834.

Letzte Tage Carls V.
Menſch noch athmet und lebt, kann er ſich dem Kampfe der
Elemente nicht entziehen, welcher die Welt bewegt. Auch
in dieſer Abgeſchiedenheit ward Carl V von den ihm, ſeit
ſie den Umſturz ſeines Glückes veranlaßt, erſt recht verhaß-
ten neuen Meinungen erreicht. Plötzlich entdeckte man kleine
Gemeinen proteſtantiſcher Tendenz in Valladolid und Se-
villa. 1 Auguſtin Cazalla, der während des ſchmalkaldiſchen
Krieges um ihn geweſen und noch in Juſte vor ihm gepre-
digt, wies ſich ſelbſt als ein Lutheriſch-gläubiger aus. Der
Kaiſer war darüber betroffen, ja erſchüttert. Am Ende ſei-
ner Tage mußte er erleben, daß ein Mann der ſein Gewiſ-
ſen eine Zeitlang geleitet, die Meinungen bekannte, mit de-
nen er ſein ganzes Leben gekämpft hatte. In ſeinem letzten
Codicill, nur zwölf Tage vor ſeinem Tode, ermahnt er noch
ſeinen Sohn und die ſpaniſche Regierung auf das dringendſte,
die Ketzereien in ihrem Keime zu unterdrücken. Doch ſcheint
es faſt als habe er an menſchlichen Mitteln verzweifelt. Er
betete nur noch für die Einheit der Kirche: „in deine Hände,
o Herr,“ hörte man ihn ſagen, „habe ich deine Kirche über-
geben.“ 2 Er ſtarb in dem Gedanken der ſein Leben aus-
gemacht: 21 Sept. 1558.

Für eine Kirche von politiſch-religiöſer Einheit, die ganze
abendländiſche Welt umfaſſend, wie er ſie gedacht, war kein
Raum mehr in Europa. Der Gedanke ſelbſt iſt niemals wie-
der ſo lebendig in die Seele eines Menſchen gekommen, wie
Carl V ihn hegte. Schon genug, wenn die ſüdlichen Na-
tionen ſich der vordringenden Bewegung nur ſelber erwehr-

1 MCrie Geſchichte der Reformation in Spanien p. 252.
2 In manus tuas tradidi ecclesiam tuam. Sandoval II, 834.
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[425/0437] Letzte Tage Carls V. Menſch noch athmet und lebt, kann er ſich dem Kampfe der Elemente nicht entziehen, welcher die Welt bewegt. Auch in dieſer Abgeſchiedenheit ward Carl V von den ihm, ſeit ſie den Umſturz ſeines Glückes veranlaßt, erſt recht verhaß- ten neuen Meinungen erreicht. Plötzlich entdeckte man kleine Gemeinen proteſtantiſcher Tendenz in Valladolid und Se- villa. 1 Auguſtin Cazalla, der während des ſchmalkaldiſchen Krieges um ihn geweſen und noch in Juſte vor ihm gepre- digt, wies ſich ſelbſt als ein Lutheriſch-gläubiger aus. Der Kaiſer war darüber betroffen, ja erſchüttert. Am Ende ſei- ner Tage mußte er erleben, daß ein Mann der ſein Gewiſ- ſen eine Zeitlang geleitet, die Meinungen bekannte, mit de- nen er ſein ganzes Leben gekämpft hatte. In ſeinem letzten Codicill, nur zwölf Tage vor ſeinem Tode, ermahnt er noch ſeinen Sohn und die ſpaniſche Regierung auf das dringendſte, die Ketzereien in ihrem Keime zu unterdrücken. Doch ſcheint es faſt als habe er an menſchlichen Mitteln verzweifelt. Er betete nur noch für die Einheit der Kirche: „in deine Hände, o Herr,“ hörte man ihn ſagen, „habe ich deine Kirche über- geben.“ 2 Er ſtarb in dem Gedanken der ſein Leben aus- gemacht: 21 Sept. 1558. Für eine Kirche von politiſch-religiöſer Einheit, die ganze abendländiſche Welt umfaſſend, wie er ſie gedacht, war kein Raum mehr in Europa. Der Gedanke ſelbſt iſt niemals wie- der ſo lebendig in die Seele eines Menſchen gekommen, wie Carl V ihn hegte. Schon genug, wenn die ſüdlichen Na- tionen ſich der vordringenden Bewegung nur ſelber erwehr- 1 MCrie Geſchichte der Reformation in Spanien p. 252. 2 In manus tuas tradidi ecclesiam tuam. Sandoval II, 834.

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 5. Berlin, 1843, S. 425. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation05_1843/437>, abgerufen am 24.11.2024.