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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 5. Berlin, 1843.

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Abdankung des Kaisers. (Niederlande.)
unausführbar geworden sey; wie schwer es ihm gefallen,
selbst nur diese nächsten Feindseligkeiten zu bestehn; welche
Reisen und Feldzüge er dazu unternehmen müssen, nach dem
obern Deutschland, nach Italien, Frankreich, Spanien, Africa,
wie oft er das Mittelmeer und den Ocean durchschifft habe:
aber noch sehe er sich in gefährliche und heftige Kriege ver-
wickelt; er habe gethan was er gekonnt, seine Kraft sey er-
schöpft: er würde eine schwere Verantwortung vor Gott auf
sich laden, wenn er nicht die Regierung dem kräftigeren
Manne, seinem Sohne überlasse, den er ihnen hiemit als
ihren Herrn vorstelle. Sein Sinn war noch nicht, demsel-
ben Alles abzutreten, er wollte ihm nur die Niederlande ein-
räumen. Allein es lag etwas in seiner Rede, als lege er
zugleich die ganze Regierung seines Reiches, die Aufgabe den
Gedanken derselben zu realisiren, in Philipps Hände nieder.
Indem er bekannte, ihm selber mit aller seiner Macht und
aller Anstrengung sey es nicht gelungen, ermahnte er noch
seinen Sohn und die Stände, an dem obersten Grundsatz
wenigstens festzuhalten, von der alten Religion nicht abzu-
weichen. Er lehnte sich, indem er sprach, mit seinem linken
Arm auf die Schultern des Prinzen Wilhelm von Oranien,
den rechten hatte er auf einen Stab gestützt. Ein Moment
voll Schicksal und Zukunft! Die Anwesenden wurden von
dem Gefühl ergriffen, das sich beim Anblick der Vergäng-
lichkeit menschlicher Größe und des irdischen Daseyns der
Gemüther unwiderstehlich bemächtigt; auch dem Kaiser sel-
ber stiegen die Thränen auf. Nicht das etwa, fügte er
noch hinzu, thue ihm Leid, daß er die Herrschaft aufgebe,
sondern es schmerze ihn, daß er das Vaterland, worin er

Abdankung des Kaiſers. (Niederlande.)
unausführbar geworden ſey; wie ſchwer es ihm gefallen,
ſelbſt nur dieſe nächſten Feindſeligkeiten zu beſtehn; welche
Reiſen und Feldzüge er dazu unternehmen müſſen, nach dem
obern Deutſchland, nach Italien, Frankreich, Spanien, Africa,
wie oft er das Mittelmeer und den Ocean durchſchifft habe:
aber noch ſehe er ſich in gefährliche und heftige Kriege ver-
wickelt; er habe gethan was er gekonnt, ſeine Kraft ſey er-
ſchöpft: er würde eine ſchwere Verantwortung vor Gott auf
ſich laden, wenn er nicht die Regierung dem kräftigeren
Manne, ſeinem Sohne überlaſſe, den er ihnen hiemit als
ihren Herrn vorſtelle. Sein Sinn war noch nicht, demſel-
ben Alles abzutreten, er wollte ihm nur die Niederlande ein-
räumen. Allein es lag etwas in ſeiner Rede, als lege er
zugleich die ganze Regierung ſeines Reiches, die Aufgabe den
Gedanken derſelben zu realiſiren, in Philipps Hände nieder.
Indem er bekannte, ihm ſelber mit aller ſeiner Macht und
aller Anſtrengung ſey es nicht gelungen, ermahnte er noch
ſeinen Sohn und die Stände, an dem oberſten Grundſatz
wenigſtens feſtzuhalten, von der alten Religion nicht abzu-
weichen. Er lehnte ſich, indem er ſprach, mit ſeinem linken
Arm auf die Schultern des Prinzen Wilhelm von Oranien,
den rechten hatte er auf einen Stab geſtützt. Ein Moment
voll Schickſal und Zukunft! Die Anweſenden wurden von
dem Gefühl ergriffen, das ſich beim Anblick der Vergäng-
lichkeit menſchlicher Größe und des irdiſchen Daſeyns der
Gemüther unwiderſtehlich bemächtigt; auch dem Kaiſer ſel-
ber ſtiegen die Thränen auf. Nicht das etwa, fügte er
noch hinzu, thue ihm Leid, daß er die Herrſchaft aufgebe,
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[407/0419] Abdankung des Kaiſers. (Niederlande.) unausführbar geworden ſey; wie ſchwer es ihm gefallen, ſelbſt nur dieſe nächſten Feindſeligkeiten zu beſtehn; welche Reiſen und Feldzüge er dazu unternehmen müſſen, nach dem obern Deutſchland, nach Italien, Frankreich, Spanien, Africa, wie oft er das Mittelmeer und den Ocean durchſchifft habe: aber noch ſehe er ſich in gefährliche und heftige Kriege ver- wickelt; er habe gethan was er gekonnt, ſeine Kraft ſey er- ſchöpft: er würde eine ſchwere Verantwortung vor Gott auf ſich laden, wenn er nicht die Regierung dem kräftigeren Manne, ſeinem Sohne überlaſſe, den er ihnen hiemit als ihren Herrn vorſtelle. Sein Sinn war noch nicht, demſel- ben Alles abzutreten, er wollte ihm nur die Niederlande ein- räumen. Allein es lag etwas in ſeiner Rede, als lege er zugleich die ganze Regierung ſeines Reiches, die Aufgabe den Gedanken derſelben zu realiſiren, in Philipps Hände nieder. Indem er bekannte, ihm ſelber mit aller ſeiner Macht und aller Anſtrengung ſey es nicht gelungen, ermahnte er noch ſeinen Sohn und die Stände, an dem oberſten Grundſatz wenigſtens feſtzuhalten, von der alten Religion nicht abzu- weichen. Er lehnte ſich, indem er ſprach, mit ſeinem linken Arm auf die Schultern des Prinzen Wilhelm von Oranien, den rechten hatte er auf einen Stab geſtützt. Ein Moment voll Schickſal und Zukunft! Die Anweſenden wurden von dem Gefühl ergriffen, das ſich beim Anblick der Vergäng- lichkeit menſchlicher Größe und des irdiſchen Daſeyns der Gemüther unwiderſtehlich bemächtigt; auch dem Kaiſer ſel- ber ſtiegen die Thränen auf. Nicht das etwa, fügte er noch hinzu, thue ihm Leid, daß er die Herrſchaft aufgebe, ſondern es ſchmerze ihn, daß er das Vaterland, worin er

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 5. Berlin, 1843, S. 407. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation05_1843/419>, abgerufen am 24.11.2024.