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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 5. Berlin, 1843.

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Berathungen über den Religionsfrieden.
die deutsche Nation eine religiöse Wiedervereinigung wäre;
aber sie wollten dieselbe nicht mehr von einem Concilium
erwarten: schon in Bezug auf den Glauben nicht, für den
sie eine festere Grundlage gewonnen, als die in der leicht
von zufälligen Einflüssen zu bestimmenden Entscheidung ho-
her Prälaten lag, eben so wenig aber für die äußeren Ver-
hältnisse der Kirche, wo die Abweichungen, die sie getroffen,
das ganze Wesen ihres Staates bedingten.

Von allgemeinem Standpunct angesehen, war die Frage
die: ob es in der abendländischen Christenheit noch ein als
unfehlbar betrachtetes höchstes Tribunal geben sollte, dessen
Entscheidungen für Jedermann verpflichtend seyen und mit
Gewalt durchgeführt werden müßten. Nicht allein die All-
gemeingültigkeit dogmatischer Festsetzungen hieng davon ab,
sondern auch, und darin liegt noch mehr ihre welthistorische
Bedeutung, alle freie Staatenbildung, zunächst das Bestehn
der bereits in der germanischen Welt begonnenen minder
kirchlichen Gründungen.

Gewährte das Reich einen von keiner conciliaren Ent-
scheidung bedingten Frieden, ward dieser zu einem Reichs-
gesetz erhoben, so bedurfte es keiner weitern Concession der
bisherigen obersten Kirche [ - 4 Zeichen fehlen]t, die sich auf ihre Ortho-
doxie zurückziehen mochte, aber doch niemals weiter auf
legale Unterstützung der Reichsgewalt rechnen konnte. Viel-
mehr wäre diese sogar zum Widerstand gegen jeden einsei-
tigen Versuch der Gewalt verpflichtet gewesen.

Über diese Frage waren die Protestanten im Jahr 1545
mit dem Kaiser zerfallen: sie gab, wie wir sahen, den ei-
gentlichen Anlaß zum schmalkaldischen Kriege; nachdem aber

Berathungen uͤber den Religionsfrieden.
die deutſche Nation eine religiöſe Wiedervereinigung wäre;
aber ſie wollten dieſelbe nicht mehr von einem Concilium
erwarten: ſchon in Bezug auf den Glauben nicht, für den
ſie eine feſtere Grundlage gewonnen, als die in der leicht
von zufälligen Einflüſſen zu beſtimmenden Entſcheidung ho-
her Prälaten lag, eben ſo wenig aber für die äußeren Ver-
hältniſſe der Kirche, wo die Abweichungen, die ſie getroffen,
das ganze Weſen ihres Staates bedingten.

Von allgemeinem Standpunct angeſehen, war die Frage
die: ob es in der abendländiſchen Chriſtenheit noch ein als
unfehlbar betrachtetes höchſtes Tribunal geben ſollte, deſſen
Entſcheidungen für Jedermann verpflichtend ſeyen und mit
Gewalt durchgeführt werden müßten. Nicht allein die All-
gemeingültigkeit dogmatiſcher Feſtſetzungen hieng davon ab,
ſondern auch, und darin liegt noch mehr ihre welthiſtoriſche
Bedeutung, alle freie Staatenbildung, zunächſt das Beſtehn
der bereits in der germaniſchen Welt begonnenen minder
kirchlichen Gründungen.

Gewährte das Reich einen von keiner conciliaren Ent-
ſcheidung bedingten Frieden, ward dieſer zu einem Reichs-
geſetz erhoben, ſo bedurfte es keiner weitern Conceſſion der
bisherigen oberſten Kirche [ – 4 Zeichen fehlen]t, die ſich auf ihre Ortho-
doxie zurückziehen mochte, aber doch niemals weiter auf
legale Unterſtützung der Reichsgewalt rechnen konnte. Viel-
mehr wäre dieſe ſogar zum Widerſtand gegen jeden einſei-
tigen Verſuch der Gewalt verpflichtet geweſen.

Über dieſe Frage waren die Proteſtanten im Jahr 1545
mit dem Kaiſer zerfallen: ſie gab, wie wir ſahen, den ei-
gentlichen Anlaß zum ſchmalkaldiſchen Kriege; nachdem aber

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[357/0369] Berathungen uͤber den Religionsfrieden. die deutſche Nation eine religiöſe Wiedervereinigung wäre; aber ſie wollten dieſelbe nicht mehr von einem Concilium erwarten: ſchon in Bezug auf den Glauben nicht, für den ſie eine feſtere Grundlage gewonnen, als die in der leicht von zufälligen Einflüſſen zu beſtimmenden Entſcheidung ho- her Prälaten lag, eben ſo wenig aber für die äußeren Ver- hältniſſe der Kirche, wo die Abweichungen, die ſie getroffen, das ganze Weſen ihres Staates bedingten. Von allgemeinem Standpunct angeſehen, war die Frage die: ob es in der abendländiſchen Chriſtenheit noch ein als unfehlbar betrachtetes höchſtes Tribunal geben ſollte, deſſen Entſcheidungen für Jedermann verpflichtend ſeyen und mit Gewalt durchgeführt werden müßten. Nicht allein die All- gemeingültigkeit dogmatiſcher Feſtſetzungen hieng davon ab, ſondern auch, und darin liegt noch mehr ihre welthiſtoriſche Bedeutung, alle freie Staatenbildung, zunächſt das Beſtehn der bereits in der germaniſchen Welt begonnenen minder kirchlichen Gründungen. Gewährte das Reich einen von keiner conciliaren Ent- ſcheidung bedingten Frieden, ward dieſer zu einem Reichs- geſetz erhoben, ſo bedurfte es keiner weitern Conceſſion der bisherigen oberſten Kirche ____t, die ſich auf ihre Ortho- doxie zurückziehen mochte, aber doch niemals weiter auf legale Unterſtützung der Reichsgewalt rechnen konnte. Viel- mehr wäre dieſe ſogar zum Widerſtand gegen jeden einſei- tigen Verſuch der Gewalt verpflichtet geweſen. Über dieſe Frage waren die Proteſtanten im Jahr 1545 mit dem Kaiſer zerfallen: ſie gab, wie wir ſahen, den ei- gentlichen Anlaß zum ſchmalkaldiſchen Kriege; nachdem aber

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 5. Berlin, 1843, S. 357. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation05_1843/369>, abgerufen am 09.05.2024.