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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 5. Berlin, 1843.

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Kriegszug gegen Carl V.
nach dem Tode des ältern Granvella nicht geschickt genug
nach den friedlichen Gesichtspuncten hin geleitet. In dem-
selben Augenblicke erhob sich die wetteifernde Macht von
Frankreich, die man unbekümmert ihrer andern Gegner hatte
Herr werden lassen, zu den alten Bestrebungen. Und indeß
war doch das Ziel der innern Politik mit nichten erreicht,
weder die Kirchenversammlung in die erwünschte Bahn ge-
leitet, noch die Succession befestigt worden: vielmehr erwachte
in Folge dieser Versuche ein allgemeiner Widerwille in bei-
den religiösen Parteien, über Italien und Deutschland hin,
und strömte nun in plötzlichem Ausbruch mit den äußern
Feindseligkeiten zusammen. In Ungarn verjagte der Pascha
von Ofen die Haiducken und Spanier Ferdinands aus Sze-
gedin, noch ehe sie sich daselbst befestigt, und bezeichnete den
Anfang des April mit der Eroberung von Vesprim. Zugleich
näherten sich noch zwei andre Heere unter dem Beglerbeg von
Rumili und dem zweiten Wesir der Pforte den ungarischen
Grenzen. In Wahrheit, Ferdinand hatte ganz Recht, wenn
er darin eine Gefahr erkannte die alle seine Kräfte in An-
spruch nehme. Auch zur See regten sich die Feinde: in den
Gewässern von Malta erschien Sala Rais in denselben Ta-
gen, in welchen der König von Frankreich durch Lothringen
nach dem Elsaß und dem Oberrhein zog und die protestan-
tischen Fürsten Augsburg bedrohten.

Der Kaiser selbst, ohne Truppen, noch Geld, entfernt
von den eigenen Landschaften, aus denen er beides hätte zie-
hen können, sah sich überrascht in dem wenig verwahrten
Insbruck, und so gut wie hülflos.

Er dachte sich anfangs zu seinem Bruder zurückzuziehen:

Ranke D. Gesch. V. 16

Kriegszug gegen Carl V.
nach dem Tode des ältern Granvella nicht geſchickt genug
nach den friedlichen Geſichtspuncten hin geleitet. In dem-
ſelben Augenblicke erhob ſich die wetteifernde Macht von
Frankreich, die man unbekümmert ihrer andern Gegner hatte
Herr werden laſſen, zu den alten Beſtrebungen. Und indeß
war doch das Ziel der innern Politik mit nichten erreicht,
weder die Kirchenverſammlung in die erwünſchte Bahn ge-
leitet, noch die Succeſſion befeſtigt worden: vielmehr erwachte
in Folge dieſer Verſuche ein allgemeiner Widerwille in bei-
den religiöſen Parteien, über Italien und Deutſchland hin,
und ſtrömte nun in plötzlichem Ausbruch mit den äußern
Feindſeligkeiten zuſammen. In Ungarn verjagte der Paſcha
von Ofen die Haiducken und Spanier Ferdinands aus Sze-
gedin, noch ehe ſie ſich daſelbſt befeſtigt, und bezeichnete den
Anfang des April mit der Eroberung von Veſprim. Zugleich
näherten ſich noch zwei andre Heere unter dem Beglerbeg von
Rumili und dem zweiten Weſir der Pforte den ungariſchen
Grenzen. In Wahrheit, Ferdinand hatte ganz Recht, wenn
er darin eine Gefahr erkannte die alle ſeine Kräfte in An-
ſpruch nehme. Auch zur See regten ſich die Feinde: in den
Gewäſſern von Malta erſchien Sala Rais in denſelben Ta-
gen, in welchen der König von Frankreich durch Lothringen
nach dem Elſaß und dem Oberrhein zog und die proteſtan-
tiſchen Fürſten Augsburg bedrohten.

Der Kaiſer ſelbſt, ohne Truppen, noch Geld, entfernt
von den eigenen Landſchaften, aus denen er beides hätte zie-
hen können, ſah ſich überraſcht in dem wenig verwahrten
Insbruck, und ſo gut wie hülflos.

Er dachte ſich anfangs zu ſeinem Bruder zurückzuziehen:

Ranke D. Geſch. V. 16
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[241/0253] Kriegszug gegen Carl V. nach dem Tode des ältern Granvella nicht geſchickt genug nach den friedlichen Geſichtspuncten hin geleitet. In dem- ſelben Augenblicke erhob ſich die wetteifernde Macht von Frankreich, die man unbekümmert ihrer andern Gegner hatte Herr werden laſſen, zu den alten Beſtrebungen. Und indeß war doch das Ziel der innern Politik mit nichten erreicht, weder die Kirchenverſammlung in die erwünſchte Bahn ge- leitet, noch die Succeſſion befeſtigt worden: vielmehr erwachte in Folge dieſer Verſuche ein allgemeiner Widerwille in bei- den religiöſen Parteien, über Italien und Deutſchland hin, und ſtrömte nun in plötzlichem Ausbruch mit den äußern Feindſeligkeiten zuſammen. In Ungarn verjagte der Paſcha von Ofen die Haiducken und Spanier Ferdinands aus Sze- gedin, noch ehe ſie ſich daſelbſt befeſtigt, und bezeichnete den Anfang des April mit der Eroberung von Veſprim. Zugleich näherten ſich noch zwei andre Heere unter dem Beglerbeg von Rumili und dem zweiten Weſir der Pforte den ungariſchen Grenzen. In Wahrheit, Ferdinand hatte ganz Recht, wenn er darin eine Gefahr erkannte die alle ſeine Kräfte in An- ſpruch nehme. Auch zur See regten ſich die Feinde: in den Gewäſſern von Malta erſchien Sala Rais in denſelben Ta- gen, in welchen der König von Frankreich durch Lothringen nach dem Elſaß und dem Oberrhein zog und die proteſtan- tiſchen Fürſten Augsburg bedrohten. Der Kaiſer ſelbſt, ohne Truppen, noch Geld, entfernt von den eigenen Landſchaften, aus denen er beides hätte zie- hen können, ſah ſich überraſcht in dem wenig verwahrten Insbruck, und ſo gut wie hülflos. Er dachte ſich anfangs zu ſeinem Bruder zurückzuziehen: Ranke D. Geſch. V. 16

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 5. Berlin, 1843, S. 241. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation05_1843/253>, abgerufen am 09.05.2024.