Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 5. Berlin, 1843.

Bild:
<< vorherige Seite

Neuntes Buch. Fünftes Capitel.
Augen des Feindes ward ein neues Bollwerk, von seinem
Erbauer genannt der Heideck, errichtet. Alle Thürme wa-
ren mit Schlangen und Falkoneten besetzt, die man zum
Theil aus dem Metall der aus den Klöstern weggenomme-
nen Glocken gegossen: auf dem obersten Umgang an den
Domthürmen, 433 Stufen hoch, hatte man ihrer vier aufge-
pflanzt; am besten wirkten die Geschütze auf dem St. Ja-
cobi Thurm, von dem Büchsenmeister Johann Kritzmann ge-
leitet, von dem man sagt, es sey ihm selten Jemand ent-
gangen de[n] er im Felde erblickte. Die geworbenen Trup-
pen und die Bürger verpflichteten sich eidlich zu gegenseiti-
ger Hülfleistung und Treue, und auf das beste haben sie
ihren Schwur gehalten. Von welcher Art Enthusiasmus
sie erfüllt waren, zeigt die Meinung die sich unter ihnen ver-
hreitete, der Feind sehe bei ihren Ausfällen einen Helden
auf weißem Roß vor ihnen daherziehen; sie bildeten sich
nicht ein, ihn selber zu erblicken: das litt die protestantische
Wahrhaftigkeit nicht; aber sie meinten, der Feind werde durch
göttlichen Schrecken mit Zaghaftigkeit geschlagen. 1 Und ganz
glücklich gieng es ihnen mit ihren Ausfällen. Am 19ten
December überraschten sie die stiftischen Truppen bei einem
Gelage, nahmen mehrere hundert Mann gefangen, Edelleute
und Gemeine, und führten den Stiftsbanner mit dem St.
Moritz mit sich fort. Da der Churfürst eben einem Kriegs-
haufen entgegengezogen der sich im Gebiete von Verden sam-
melte, so hielt es Georg von Meklenburg für seine Pflicht
diesen Schimpf der Belagerer zu rächen. Er wagte sich aber

1 Merckel fügt sogar hinzu, sie mögen selbst wissen ob es
wahr ist.

Neuntes Buch. Fuͤnftes Capitel.
Augen des Feindes ward ein neues Bollwerk, von ſeinem
Erbauer genannt der Heideck, errichtet. Alle Thürme wa-
ren mit Schlangen und Falkoneten beſetzt, die man zum
Theil aus dem Metall der aus den Klöſtern weggenomme-
nen Glocken gegoſſen: auf dem oberſten Umgang an den
Domthürmen, 433 Stufen hoch, hatte man ihrer vier aufge-
pflanzt; am beſten wirkten die Geſchütze auf dem St. Ja-
cobi Thurm, von dem Büchſenmeiſter Johann Kritzmann ge-
leitet, von dem man ſagt, es ſey ihm ſelten Jemand ent-
gangen de[n] er im Felde erblickte. Die geworbenen Trup-
pen und die Bürger verpflichteten ſich eidlich zu gegenſeiti-
ger Hülfleiſtung und Treue, und auf das beſte haben ſie
ihren Schwur gehalten. Von welcher Art Enthuſiasmus
ſie erfüllt waren, zeigt die Meinung die ſich unter ihnen ver-
hreitete, der Feind ſehe bei ihren Ausfällen einen Helden
auf weißem Roß vor ihnen daherziehen; ſie bildeten ſich
nicht ein, ihn ſelber zu erblicken: das litt die proteſtantiſche
Wahrhaftigkeit nicht; aber ſie meinten, der Feind werde durch
göttlichen Schrecken mit Zaghaftigkeit geſchlagen. 1 Und ganz
glücklich gieng es ihnen mit ihren Ausfällen. Am 19ten
December überraſchten ſie die ſtiftiſchen Truppen bei einem
Gelage, nahmen mehrere hundert Mann gefangen, Edelleute
und Gemeine, und führten den Stiftsbanner mit dem St.
Moritz mit ſich fort. Da der Churfürſt eben einem Kriegs-
haufen entgegengezogen der ſich im Gebiete von Verden ſam-
melte, ſo hielt es Georg von Meklenburg für ſeine Pflicht
dieſen Schimpf der Belagerer zu rächen. Er wagte ſich aber

1 Merckel fuͤgt ſogar hinzu, ſie moͤgen ſelbſt wiſſen ob es
wahr iſt.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0198" n="186"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Neuntes Buch. Fu&#x0364;nftes Capitel</hi>.</fw><lb/>
Augen des Feindes ward ein neues Bollwerk, von &#x017F;einem<lb/>
Erbauer genannt der Heideck, errichtet. Alle Thürme wa-<lb/>
ren mit Schlangen und Falkoneten be&#x017F;etzt, die man zum<lb/>
Theil aus dem Metall der aus den Klö&#x017F;tern weggenomme-<lb/>
nen Glocken gego&#x017F;&#x017F;en: auf dem ober&#x017F;ten Umgang an den<lb/>
Domthürmen, 433 Stufen hoch, hatte man ihrer vier aufge-<lb/>
pflanzt; am be&#x017F;ten wirkten die Ge&#x017F;chütze auf dem St. Ja-<lb/>
cobi Thurm, von dem Büch&#x017F;enmei&#x017F;ter Johann Kritzmann ge-<lb/>
leitet, von dem man &#x017F;agt, es &#x017F;ey ihm &#x017F;elten Jemand ent-<lb/>
gangen de<supplied>n</supplied> er im Felde erblickte. Die geworbenen Trup-<lb/>
pen und die Bürger verpflichteten &#x017F;ich eidlich zu gegen&#x017F;eiti-<lb/>
ger Hülflei&#x017F;tung und Treue, und auf das be&#x017F;te haben &#x017F;ie<lb/>
ihren Schwur gehalten. Von welcher Art Enthu&#x017F;iasmus<lb/>
&#x017F;ie erfüllt waren, zeigt die Meinung die &#x017F;ich unter ihnen ver-<lb/>
hreitete, der Feind &#x017F;ehe bei ihren Ausfällen einen Helden<lb/>
auf weißem Roß vor ihnen daherziehen; &#x017F;ie bildeten &#x017F;ich<lb/>
nicht ein, ihn &#x017F;elber zu erblicken: das litt die prote&#x017F;tanti&#x017F;che<lb/>
Wahrhaftigkeit nicht; aber &#x017F;ie meinten, der Feind werde durch<lb/>
göttlichen Schrecken mit Zaghaftigkeit ge&#x017F;chlagen. <note place="foot" n="1">Merckel fu&#x0364;gt &#x017F;ogar hinzu, &#x017F;ie mo&#x0364;gen &#x017F;elb&#x017F;t wi&#x017F;&#x017F;en ob es<lb/>
wahr i&#x017F;t.</note> Und ganz<lb/>
glücklich gieng es ihnen mit ihren Ausfällen. Am 19ten<lb/>
December überra&#x017F;chten &#x017F;ie die &#x017F;tifti&#x017F;chen Truppen bei einem<lb/>
Gelage, nahmen mehrere hundert Mann gefangen, Edelleute<lb/>
und Gemeine, und führten den Stiftsbanner mit dem St.<lb/>
Moritz mit &#x017F;ich fort. Da der Churfür&#x017F;t eben einem Kriegs-<lb/>
haufen entgegengezogen der &#x017F;ich im Gebiete von Verden &#x017F;am-<lb/>
melte, &#x017F;o hielt es Georg von Meklenburg für &#x017F;eine Pflicht<lb/>
die&#x017F;en Schimpf der Belagerer zu rächen. Er wagte &#x017F;ich aber<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[186/0198] Neuntes Buch. Fuͤnftes Capitel. Augen des Feindes ward ein neues Bollwerk, von ſeinem Erbauer genannt der Heideck, errichtet. Alle Thürme wa- ren mit Schlangen und Falkoneten beſetzt, die man zum Theil aus dem Metall der aus den Klöſtern weggenomme- nen Glocken gegoſſen: auf dem oberſten Umgang an den Domthürmen, 433 Stufen hoch, hatte man ihrer vier aufge- pflanzt; am beſten wirkten die Geſchütze auf dem St. Ja- cobi Thurm, von dem Büchſenmeiſter Johann Kritzmann ge- leitet, von dem man ſagt, es ſey ihm ſelten Jemand ent- gangen den er im Felde erblickte. Die geworbenen Trup- pen und die Bürger verpflichteten ſich eidlich zu gegenſeiti- ger Hülfleiſtung und Treue, und auf das beſte haben ſie ihren Schwur gehalten. Von welcher Art Enthuſiasmus ſie erfüllt waren, zeigt die Meinung die ſich unter ihnen ver- hreitete, der Feind ſehe bei ihren Ausfällen einen Helden auf weißem Roß vor ihnen daherziehen; ſie bildeten ſich nicht ein, ihn ſelber zu erblicken: das litt die proteſtantiſche Wahrhaftigkeit nicht; aber ſie meinten, der Feind werde durch göttlichen Schrecken mit Zaghaftigkeit geſchlagen. 1 Und ganz glücklich gieng es ihnen mit ihren Ausfällen. Am 19ten December überraſchten ſie die ſtiftiſchen Truppen bei einem Gelage, nahmen mehrere hundert Mann gefangen, Edelleute und Gemeine, und führten den Stiftsbanner mit dem St. Moritz mit ſich fort. Da der Churfürſt eben einem Kriegs- haufen entgegengezogen der ſich im Gebiete von Verden ſam- melte, ſo hielt es Georg von Meklenburg für ſeine Pflicht dieſen Schimpf der Belagerer zu rächen. Er wagte ſich aber 1 Merckel fuͤgt ſogar hinzu, ſie moͤgen ſelbſt wiſſen ob es wahr iſt.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation05_1843
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation05_1843/198
Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 5. Berlin, 1843, S. 186. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation05_1843/198>, abgerufen am 27.04.2024.