Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 4. Berlin, 1843.

Bild:
<< vorherige Seite

Allgemeiner Zustand.
tete, wenn auch dann und wann einmal der alte Hader in
einzelnen Zuckungen aufflammte, doch im Ganzen unter
dem Vortritt der Wittenberger Schule die beste Eintracht.
Im Allgemeinen, wissen wir, waren die ächten Grundlagen
der gewonnenen Cultur erhalten; die destructiven Kräfte, die
einst den allgemeinen Umsturz gedroht, machten sich kaum
mehr bemerklich. Die großartigen Bestrebungen in denen
man lebte, gaben dem nationalen Bewußtseyn erfüllenden
Inhalt. Jetzt hoffte man nun bei der nächsten Zusammen-
kunft die Zwistigkeiten vollends auszutragen und den großen
Kampf gegen die Osmanen zu unternehmen. In der Ferne
sah man die größte Welteinwirkung. Italien und Frank-
reich
waren mit den Analogien der deutschen Gesinnung er-
füllt. In England ließ ihnen der eigensinnige König all-
mählig wieder freieren Raum. Es erfüllte die Gemüther
mit freudigem Dank, als man hörte, daß der neuangesetzte
Pascha in Ofen sich den Evangelischgläubigen nicht ungünstig
zeige. Wir haben eine deutsche Schrift vom J. 1544, worin
der Kaiser ermahnt wird, die spanische Inquisition, welche
sich jetzt gegen alle die richte "welche Christum recht zu er-
kennen begehren", nicht länger zu dulden, er der durch so viele
Religionsgespräche besser unterrichtet sey; dieser Gabe Got-
tes möge er nun auch seine Unterthanen theilhaftig machen. 1

Zu so reinen und allgemein durchgreifenden Resulta-
ten kommt es im Laufe der Weltgeschichte nicht leicht. Es
waren noch energische Kräfte in der lateinischen Christenheit,

1 Baptista Lasdenus: Oration an kaiserliche Majest. von dem
das der jetzige Religionhandel kein menschlich, sondern Gottes Werk
und Wunderthat sey etc.

Allgemeiner Zuſtand.
tete, wenn auch dann und wann einmal der alte Hader in
einzelnen Zuckungen aufflammte, doch im Ganzen unter
dem Vortritt der Wittenberger Schule die beſte Eintracht.
Im Allgemeinen, wiſſen wir, waren die ächten Grundlagen
der gewonnenen Cultur erhalten; die deſtructiven Kräfte, die
einſt den allgemeinen Umſturz gedroht, machten ſich kaum
mehr bemerklich. Die großartigen Beſtrebungen in denen
man lebte, gaben dem nationalen Bewußtſeyn erfüllenden
Inhalt. Jetzt hoffte man nun bei der nächſten Zuſammen-
kunft die Zwiſtigkeiten vollends auszutragen und den großen
Kampf gegen die Osmanen zu unternehmen. In der Ferne
ſah man die größte Welteinwirkung. Italien und Frank-
reich
waren mit den Analogien der deutſchen Geſinnung er-
füllt. In England ließ ihnen der eigenſinnige König all-
mählig wieder freieren Raum. Es erfüllte die Gemüther
mit freudigem Dank, als man hörte, daß der neuangeſetzte
Paſcha in Ofen ſich den Evangeliſchgläubigen nicht ungünſtig
zeige. Wir haben eine deutſche Schrift vom J. 1544, worin
der Kaiſer ermahnt wird, die ſpaniſche Inquiſition, welche
ſich jetzt gegen alle die richte „welche Chriſtum recht zu er-
kennen begehren“, nicht länger zu dulden, er der durch ſo viele
Religionsgeſpräche beſſer unterrichtet ſey; dieſer Gabe Got-
tes möge er nun auch ſeine Unterthanen theilhaftig machen. 1

Zu ſo reinen und allgemein durchgreifenden Reſulta-
ten kommt es im Laufe der Weltgeſchichte nicht leicht. Es
waren noch energiſche Kräfte in der lateiniſchen Chriſtenheit,

1 Baptiſta Lasdenus: Oration an kaiſerliche Majeſt. von dem
das der jetzige Religionhandel kein menſchlich, ſondern Gottes Werk
und Wunderthat ſey ꝛc.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0357" n="345"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Allgemeiner Zu&#x017F;tand</hi>.</fw><lb/>
tete, wenn auch dann und wann einmal der alte Hader in<lb/>
einzelnen Zuckungen aufflammte, doch im Ganzen unter<lb/>
dem Vortritt der Wittenberger Schule die be&#x017F;te Eintracht.<lb/>
Im Allgemeinen, wi&#x017F;&#x017F;en wir, waren die ächten Grundlagen<lb/>
der gewonnenen Cultur erhalten; die de&#x017F;tructiven Kräfte, die<lb/>
ein&#x017F;t den allgemeinen Um&#x017F;turz gedroht, machten &#x017F;ich kaum<lb/>
mehr bemerklich. Die großartigen Be&#x017F;trebungen in denen<lb/>
man lebte, gaben dem nationalen Bewußt&#x017F;eyn erfüllenden<lb/>
Inhalt. Jetzt hoffte man nun bei der näch&#x017F;ten Zu&#x017F;ammen-<lb/>
kunft die Zwi&#x017F;tigkeiten vollends auszutragen und den großen<lb/>
Kampf gegen die Osmanen zu unternehmen. In der Ferne<lb/>
&#x017F;ah man die größte Welteinwirkung. <placeName>Italien</placeName> und <placeName>Frank-<lb/>
reich</placeName> waren mit den Analogien der deut&#x017F;chen Ge&#x017F;innung er-<lb/>
füllt. In <placeName>England</placeName> ließ ihnen der eigen&#x017F;innige König all-<lb/>
mählig wieder freieren Raum. Es erfüllte die Gemüther<lb/>
mit freudigem Dank, als man hörte, daß der neuange&#x017F;etzte<lb/>
Pa&#x017F;cha in <placeName>Ofen</placeName> &#x017F;ich den Evangeli&#x017F;chgläubigen nicht ungün&#x017F;tig<lb/>
zeige. Wir haben eine deut&#x017F;che Schrift vom J. 1544, worin<lb/>
der Kai&#x017F;er ermahnt wird, die &#x017F;pani&#x017F;che Inqui&#x017F;ition, welche<lb/>
&#x017F;ich jetzt gegen alle die richte &#x201E;welche Chri&#x017F;tum recht zu er-<lb/>
kennen begehren&#x201C;, nicht länger zu dulden, er der durch &#x017F;o viele<lb/>
Religionsge&#x017F;präche be&#x017F;&#x017F;er unterrichtet &#x017F;ey; die&#x017F;er Gabe Got-<lb/>
tes möge er nun auch &#x017F;eine Unterthanen theilhaftig machen. <note place="foot" n="1"><persName ref="http://d-nb.info/gnd/118748440">Bapti&#x017F;ta Lasdenus</persName>: Oration an kai&#x017F;erliche Maje&#x017F;t. von dem<lb/>
das der jetzige Religionhandel kein men&#x017F;chlich, &#x017F;ondern Gottes Werk<lb/>
und Wunderthat &#x017F;ey &#xA75B;c.</note></p><lb/>
          <p>Zu &#x017F;o reinen und allgemein durchgreifenden Re&#x017F;ulta-<lb/>
ten kommt es im Laufe der Weltge&#x017F;chichte nicht leicht. Es<lb/>
waren noch energi&#x017F;che Kräfte in der lateini&#x017F;chen Chri&#x017F;tenheit,<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[345/0357] Allgemeiner Zuſtand. tete, wenn auch dann und wann einmal der alte Hader in einzelnen Zuckungen aufflammte, doch im Ganzen unter dem Vortritt der Wittenberger Schule die beſte Eintracht. Im Allgemeinen, wiſſen wir, waren die ächten Grundlagen der gewonnenen Cultur erhalten; die deſtructiven Kräfte, die einſt den allgemeinen Umſturz gedroht, machten ſich kaum mehr bemerklich. Die großartigen Beſtrebungen in denen man lebte, gaben dem nationalen Bewußtſeyn erfüllenden Inhalt. Jetzt hoffte man nun bei der nächſten Zuſammen- kunft die Zwiſtigkeiten vollends auszutragen und den großen Kampf gegen die Osmanen zu unternehmen. In der Ferne ſah man die größte Welteinwirkung. Italien und Frank- reich waren mit den Analogien der deutſchen Geſinnung er- füllt. In England ließ ihnen der eigenſinnige König all- mählig wieder freieren Raum. Es erfüllte die Gemüther mit freudigem Dank, als man hörte, daß der neuangeſetzte Paſcha in Ofen ſich den Evangeliſchgläubigen nicht ungünſtig zeige. Wir haben eine deutſche Schrift vom J. 1544, worin der Kaiſer ermahnt wird, die ſpaniſche Inquiſition, welche ſich jetzt gegen alle die richte „welche Chriſtum recht zu er- kennen begehren“, nicht länger zu dulden, er der durch ſo viele Religionsgeſpräche beſſer unterrichtet ſey; dieſer Gabe Got- tes möge er nun auch ſeine Unterthanen theilhaftig machen. 1 Zu ſo reinen und allgemein durchgreifenden Reſulta- ten kommt es im Laufe der Weltgeſchichte nicht leicht. Es waren noch energiſche Kräfte in der lateiniſchen Chriſtenheit, 1 Baptiſta Lasdenus: Oration an kaiſerliche Majeſt. von dem das der jetzige Religionhandel kein menſchlich, ſondern Gottes Werk und Wunderthat ſey ꝛc.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation04_1843
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation04_1843/357
Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 4. Berlin, 1843, S. 345. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation04_1843/357>, abgerufen am 26.05.2024.