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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 4. Berlin, 1843.

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Siebentes Buch. Neuntes Capitel.
augenscheinlich, daß die politische Stellung ihrer Partei auf
der einen und der religiöse Fortschritt ihrer Meinung auf der
andern Seite ihnen Hofnung geben konnte, es auch noch
weiter zu bringen und ihr System zum allgemeinen zu machen.

Auch abgesehen von aller doctrinellen Vorliebe, auf dem
blos historischen Standpunct, scheint mir, für die nationale
Entwickelung von Deutschland wäre dieß das Beste gewesen.

Die reformatorische Bewegung war nun einmal aus den
tiefsten und eigensten geistigen Trieben der Nation hervor-
gegangen; sie umfaßte jetzt die weltlichen Fürstenthümer bei
weitem zum größten Theile, mit wenigen Ausnahmen alle
Städte, und machte so eben einen Versuch, auch das geist-
liche Fürstenthum zu durchdringen ohne es umzustürzen. Sie
verband die äußersten Grenzen: Riga und Metz, die Aus-
flüsse des Rheins, wo sie sich gewaltig regte, und die mitt-
lere Donau; sie verknüpfte wieder auch die getrennten Glie-
der mit den alten Mittelpuncten, Böhmen, wo unter der
Einwirkung der deutschen Ideen die einheimische, nationale
Literatur in das Stadium ihrer höchsten Vollendung trat,
Schlesien, dessen Fürsten sich nichts Besseres wünschten als
in den schmalkaldischen Bund zu treten, Preußen, wo Her-
zog Albrecht einen deutsch-protestantischen Hof eingerichtet,
und sich angelegen seyn ließ sein Land immer mit allen Ele-
menten deutscher Bildung in Verbindung zu halten. Hätte
sich wohl Holland jemals von Deutschland getrennt, wenn
es einen protestantischen Erzbischof in Cölln gegeben hätte?
Auch in der Schweiz ward der Gegensatz der noch in ei-
nem Lehrartikel obwaltete in immer engere Grenzen einge-
schränkt. In den deutschen protestantischen Kirchen wal-

Siebentes Buch. Neuntes Capitel.
augenſcheinlich, daß die politiſche Stellung ihrer Partei auf
der einen und der religiöſe Fortſchritt ihrer Meinung auf der
andern Seite ihnen Hofnung geben konnte, es auch noch
weiter zu bringen und ihr Syſtem zum allgemeinen zu machen.

Auch abgeſehen von aller doctrinellen Vorliebe, auf dem
blos hiſtoriſchen Standpunct, ſcheint mir, für die nationale
Entwickelung von Deutſchland wäre dieß das Beſte geweſen.

Die reformatoriſche Bewegung war nun einmal aus den
tiefſten und eigenſten geiſtigen Trieben der Nation hervor-
gegangen; ſie umfaßte jetzt die weltlichen Fürſtenthümer bei
weitem zum größten Theile, mit wenigen Ausnahmen alle
Städte, und machte ſo eben einen Verſuch, auch das geiſt-
liche Fürſtenthum zu durchdringen ohne es umzuſtürzen. Sie
verband die äußerſten Grenzen: Riga und Metz, die Aus-
flüſſe des Rheins, wo ſie ſich gewaltig regte, und die mitt-
lere Donau; ſie verknüpfte wieder auch die getrennten Glie-
der mit den alten Mittelpuncten, Böhmen, wo unter der
Einwirkung der deutſchen Ideen die einheimiſche, nationale
Literatur in das Stadium ihrer höchſten Vollendung trat,
Schleſien, deſſen Fürſten ſich nichts Beſſeres wünſchten als
in den ſchmalkaldiſchen Bund zu treten, Preußen, wo Her-
zog Albrecht einen deutſch-proteſtantiſchen Hof eingerichtet,
und ſich angelegen ſeyn ließ ſein Land immer mit allen Ele-
menten deutſcher Bildung in Verbindung zu halten. Hätte
ſich wohl Holland jemals von Deutſchland getrennt, wenn
es einen proteſtantiſchen Erzbiſchof in Cölln gegeben hätte?
Auch in der Schweiz ward der Gegenſatz der noch in ei-
nem Lehrartikel obwaltete in immer engere Grenzen einge-
ſchränkt. In den deutſchen proteſtantiſchen Kirchen wal-

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[344/0356] Siebentes Buch. Neuntes Capitel. augenſcheinlich, daß die politiſche Stellung ihrer Partei auf der einen und der religiöſe Fortſchritt ihrer Meinung auf der andern Seite ihnen Hofnung geben konnte, es auch noch weiter zu bringen und ihr Syſtem zum allgemeinen zu machen. Auch abgeſehen von aller doctrinellen Vorliebe, auf dem blos hiſtoriſchen Standpunct, ſcheint mir, für die nationale Entwickelung von Deutſchland wäre dieß das Beſte geweſen. Die reformatoriſche Bewegung war nun einmal aus den tiefſten und eigenſten geiſtigen Trieben der Nation hervor- gegangen; ſie umfaßte jetzt die weltlichen Fürſtenthümer bei weitem zum größten Theile, mit wenigen Ausnahmen alle Städte, und machte ſo eben einen Verſuch, auch das geiſt- liche Fürſtenthum zu durchdringen ohne es umzuſtürzen. Sie verband die äußerſten Grenzen: Riga und Metz, die Aus- flüſſe des Rheins, wo ſie ſich gewaltig regte, und die mitt- lere Donau; ſie verknüpfte wieder auch die getrennten Glie- der mit den alten Mittelpuncten, Böhmen, wo unter der Einwirkung der deutſchen Ideen die einheimiſche, nationale Literatur in das Stadium ihrer höchſten Vollendung trat, Schleſien, deſſen Fürſten ſich nichts Beſſeres wünſchten als in den ſchmalkaldiſchen Bund zu treten, Preußen, wo Her- zog Albrecht einen deutſch-proteſtantiſchen Hof eingerichtet, und ſich angelegen ſeyn ließ ſein Land immer mit allen Ele- menten deutſcher Bildung in Verbindung zu halten. Hätte ſich wohl Holland jemals von Deutſchland getrennt, wenn es einen proteſtantiſchen Erzbiſchof in Cölln gegeben hätte? Auch in der Schweiz ward der Gegenſatz der noch in ei- nem Lehrartikel obwaltete in immer engere Grenzen einge- ſchränkt. In den deutſchen proteſtantiſchen Kirchen wal-

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 4. Berlin, 1843, S. 344. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation04_1843/356>, abgerufen am 19.05.2024.