Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 4. Berlin, 1843.Reichskrieg in Ungarn. jenigen daran zu seyn die von Hause nicht einmal Bescheid,geschweige denn Geld empfiengen: wie die Westphalen. An- steckende Krankheiten rissen ein, weil man keine Lebensmittel hatte und unzeitige Früchte brach. Schon sah man einzelne Knechte aus den Reihen treten, mit der Erklärung, sie wür- den ferner keine Wache thun, viel weniger denn mit dem Feinde schlagen. Bei dem Churfürsten gieng zwar dann und wann einiges Geld ein, aber bei weitem nicht in hinreichen- den Summen. Er war ganz entrüstet, als er vernahm, daß er, ohne seine Schuld in diese Rathlosigkeit versetzt, am Reichstag noch dazu getadelt werde. Vielmehr glaubte er sich beklagen zu müssen, daß man eine Sache, für die schon so viel aufgewendet worden, "so geringschätzig und unachtsam" behandle: mit beschriebenem Papier sey es nicht ausgerich- tet: von der Luft könne man nicht leben: zurückziehen möge er nicht, weil dann Ungarn vollends türkisch werde, aber vorzurücken sey auch unmöglich: auf seine Aufforderung ant- worte das Volk mit dem Geschrei nach Geld: er schäme sich vor den übrigen Nationen. 1 Wahrhaftig er hatte Grund dazu. Der venezianische Gesandte wenigstens preist seine Signoria glücklich, daß ihre Geschäfte mit so viel mehr Ernst verwaltet würden als die deutschen. Endlich, gegen Ende September, von Ferdinand aufs 1 Alle Schreiben Joachims (im Berliner Archiv) sind voll von diesen Klagen: z. B. 23sten Aug. "daß wir solch groß Volk ohn Geld Geschütz und andre nothdürftige Kriegsrüstung gegen diesen geschwin- den Feind führen sollen, finden wir nit." Er meint, es sey eine so große Lust nicht, hier spazieren zu reiten: man möge ihm nicht spitzige Worte geben. Ranke D. Gesch. IV. 16
Reichskrieg in Ungarn. jenigen daran zu ſeyn die von Hauſe nicht einmal Beſcheid,geſchweige denn Geld empfiengen: wie die Weſtphalen. An- ſteckende Krankheiten riſſen ein, weil man keine Lebensmittel hatte und unzeitige Früchte brach. Schon ſah man einzelne Knechte aus den Reihen treten, mit der Erklärung, ſie wür- den ferner keine Wache thun, viel weniger denn mit dem Feinde ſchlagen. Bei dem Churfürſten gieng zwar dann und wann einiges Geld ein, aber bei weitem nicht in hinreichen- den Summen. Er war ganz entrüſtet, als er vernahm, daß er, ohne ſeine Schuld in dieſe Rathloſigkeit verſetzt, am Reichstag noch dazu getadelt werde. Vielmehr glaubte er ſich beklagen zu müſſen, daß man eine Sache, für die ſchon ſo viel aufgewendet worden, „ſo geringſchätzig und unachtſam“ behandle: mit beſchriebenem Papier ſey es nicht ausgerich- tet: von der Luft könne man nicht leben: zurückziehen möge er nicht, weil dann Ungarn vollends türkiſch werde, aber vorzurücken ſey auch unmöglich: auf ſeine Aufforderung ant- worte das Volk mit dem Geſchrei nach Geld: er ſchäme ſich vor den übrigen Nationen. 1 Wahrhaftig er hatte Grund dazu. Der venezianiſche Geſandte wenigſtens preiſt ſeine Signoria glücklich, daß ihre Geſchäfte mit ſo viel mehr Ernſt verwaltet würden als die deutſchen. Endlich, gegen Ende September, von Ferdinand aufs 1 Alle Schreiben Joachims (im Berliner Archiv) ſind voll von dieſen Klagen: z. B. 23ſten Aug. „daß wir ſolch groß Volk ohn Geld Geſchuͤtz und andre nothduͤrftige Kriegsruͤſtung gegen dieſen geſchwin- den Feind fuͤhren ſollen, finden wir nit.“ Er meint, es ſey eine ſo große Luſt nicht, hier ſpazieren zu reiten: man moͤge ihm nicht ſpitzige Worte geben. Ranke D. Geſch. IV. 16
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Reichskrieg in Ungarn.
jenigen daran zu ſeyn die von Hauſe nicht einmal Beſcheid,
geſchweige denn Geld empfiengen: wie die Weſtphalen. An-
ſteckende Krankheiten riſſen ein, weil man keine Lebensmittel
hatte und unzeitige Früchte brach. Schon ſah man einzelne
Knechte aus den Reihen treten, mit der Erklärung, ſie wür-
den ferner keine Wache thun, viel weniger denn mit dem
Feinde ſchlagen. Bei dem Churfürſten gieng zwar dann und
wann einiges Geld ein, aber bei weitem nicht in hinreichen-
den Summen. Er war ganz entrüſtet, als er vernahm, daß
er, ohne ſeine Schuld in dieſe Rathloſigkeit verſetzt, am
Reichstag noch dazu getadelt werde. Vielmehr glaubte er ſich
beklagen zu müſſen, daß man eine Sache, für die ſchon ſo
viel aufgewendet worden, „ſo geringſchätzig und unachtſam“
behandle: mit beſchriebenem Papier ſey es nicht ausgerich-
tet: von der Luft könne man nicht leben: zurückziehen möge
er nicht, weil dann Ungarn vollends türkiſch werde, aber
vorzurücken ſey auch unmöglich: auf ſeine Aufforderung ant-
worte das Volk mit dem Geſchrei nach Geld: er ſchäme
ſich vor den übrigen Nationen. 1 Wahrhaftig er hatte Grund
dazu. Der venezianiſche Geſandte wenigſtens preiſt ſeine
Signoria glücklich, daß ihre Geſchäfte mit ſo viel mehr Ernſt
verwaltet würden als die deutſchen.
Endlich, gegen Ende September, von Ferdinand aufs
1 Alle Schreiben Joachims (im Berliner Archiv) ſind voll von
dieſen Klagen: z. B. 23ſten Aug. „daß wir ſolch groß Volk ohn Geld
Geſchuͤtz und andre nothduͤrftige Kriegsruͤſtung gegen dieſen geſchwin-
den Feind fuͤhren ſollen, finden wir nit.“ Er meint, es ſey eine ſo
große Luſt nicht, hier ſpazieren zu reiten: man moͤge ihm nicht ſpitzige
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