Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

Fünftes Buch. Drittes Capitel.
war erschüttert, aber noch nicht völlig gebrochen. Bis jetzt
wollte er weder die Cerimonien fallen lassen noch die Für-
bitte der Heiligen aufgeben: in dem Chor des Fraumün-
sters, am Frohnaltar sitzend, hielt er einige lateinische Pre-
digten in diesem Sinn. Einmal fiel ihm Zwingli ins Wort
mit dem Ausruf, "Bruder du irrst." Die Altgläubigen mein-
ten noch eine Stütze an Lambert zu finden, und da er sich
gelehrt und sprachfertig zeigte, so veranstalteten sie eine Dis-
putation zwischen ihm und Zwingli. Am 17. Juli, eines
Donnerstags, in der Trinkstube der Chorherrn ging dieselbe
vor sich. Sie fiel aber anders aus, als man hoffen mochte.
Dieser Franciscaner war ein Mensch, der die Wahrheit wirk-
lich liebte und suchte. Er sah sehr bald ein, daß Zwingli's
Gründe die seinen überwogen: durch die Stellen der Schrift,
die Zwingli ihm vorlegte, ward er vollkommen überzeugt.
Er erhob die Hände, dankte Gott und gelobte, ihn allein
anzurufen, allen Rosenkränzen zu entsagen. 1 Hierauf ver-
ließ er Zürich auf seinem Thiere; wir finden ihn nach eini-
ger Zeit in Eisenach, in Wittenberg, später wie gesagt in
Homberg und endlich in Marburg wieder. Sein Versuch,
der Kirchenverfassung in Deutschland eine andre Form zu ge-
ben, als die lutherische, wird ihn für alle Zeiten unvergeß-
lich machen.

Diese Disputation hatte nun den größten Erfolg in
Zürich. Des Donnerstags war sie gehalten worden: Mon-
tags darauf, am 21. Juli, rief der Rath die Lesemeister
der Orden, die Chorherrn und die Weltpriester noch ein-
mal in der Propstei zusammen. Zwingli fühlte sich jetzt
stark genug, mit Vorwürfen über die ungegründeten Pre-

1 Bernhard Weiß in Füßli's Beiträgen IV, 42.

Fuͤnftes Buch. Drittes Capitel.
war erſchüttert, aber noch nicht völlig gebrochen. Bis jetzt
wollte er weder die Cerimonien fallen laſſen noch die Für-
bitte der Heiligen aufgeben: in dem Chor des Fraumün-
ſters, am Frohnaltar ſitzend, hielt er einige lateiniſche Pre-
digten in dieſem Sinn. Einmal fiel ihm Zwingli ins Wort
mit dem Ausruf, „Bruder du irrſt.“ Die Altgläubigen mein-
ten noch eine Stütze an Lambert zu finden, und da er ſich
gelehrt und ſprachfertig zeigte, ſo veranſtalteten ſie eine Dis-
putation zwiſchen ihm und Zwingli. Am 17. Juli, eines
Donnerſtags, in der Trinkſtube der Chorherrn ging dieſelbe
vor ſich. Sie fiel aber anders aus, als man hoffen mochte.
Dieſer Franciscaner war ein Menſch, der die Wahrheit wirk-
lich liebte und ſuchte. Er ſah ſehr bald ein, daß Zwingli’s
Gründe die ſeinen überwogen: durch die Stellen der Schrift,
die Zwingli ihm vorlegte, ward er vollkommen überzeugt.
Er erhob die Hände, dankte Gott und gelobte, ihn allein
anzurufen, allen Roſenkränzen zu entſagen. 1 Hierauf ver-
ließ er Zürich auf ſeinem Thiere; wir finden ihn nach eini-
ger Zeit in Eiſenach, in Wittenberg, ſpäter wie geſagt in
Homberg und endlich in Marburg wieder. Sein Verſuch,
der Kirchenverfaſſung in Deutſchland eine andre Form zu ge-
ben, als die lutheriſche, wird ihn für alle Zeiten unvergeß-
lich machen.

Dieſe Disputation hatte nun den größten Erfolg in
Zürich. Des Donnerſtags war ſie gehalten worden: Mon-
tags darauf, am 21. Juli, rief der Rath die Leſemeiſter
der Orden, die Chorherrn und die Weltprieſter noch ein-
mal in der Propſtei zuſammen. Zwingli fühlte ſich jetzt
ſtark genug, mit Vorwürfen über die ungegründeten Pre-

1 Bernhard Weiß in Fuͤßli’s Beitraͤgen IV, 42.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0086" n="70"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Fu&#x0364;nftes Buch. Drittes Capitel</hi>.</fw><lb/>
war er&#x017F;chüttert, aber noch nicht völlig gebrochen. Bis jetzt<lb/>
wollte er weder die Cerimonien fallen la&#x017F;&#x017F;en noch die Für-<lb/>
bitte der Heiligen aufgeben: in dem Chor des Fraumün-<lb/>
&#x017F;ters, am Frohnaltar &#x017F;itzend, hielt er einige lateini&#x017F;che Pre-<lb/>
digten in die&#x017F;em Sinn. Einmal fiel ihm Zwingli ins Wort<lb/>
mit dem Ausruf, &#x201E;Bruder du irr&#x017F;t.&#x201C; Die Altgläubigen mein-<lb/>
ten noch eine Stütze an Lambert zu finden, und da er &#x017F;ich<lb/>
gelehrt und &#x017F;prachfertig zeigte, &#x017F;o veran&#x017F;talteten &#x017F;ie eine Dis-<lb/>
putation zwi&#x017F;chen ihm und Zwingli. Am 17. Juli, eines<lb/>
Donner&#x017F;tags, in der Trink&#x017F;tube der Chorherrn ging die&#x017F;elbe<lb/>
vor &#x017F;ich. Sie fiel aber anders aus, als man hoffen mochte.<lb/>
Die&#x017F;er Franciscaner war ein Men&#x017F;ch, der die Wahrheit wirk-<lb/>
lich liebte und &#x017F;uchte. Er &#x017F;ah &#x017F;ehr bald ein, daß Zwingli&#x2019;s<lb/>
Gründe die &#x017F;einen überwogen: durch die Stellen der Schrift,<lb/>
die Zwingli ihm vorlegte, ward er vollkommen überzeugt.<lb/>
Er erhob die Hände, dankte Gott und gelobte, ihn allein<lb/>
anzurufen, allen Ro&#x017F;enkränzen zu ent&#x017F;agen. <note place="foot" n="1">Bernhard Weiß in Fu&#x0364;ßli&#x2019;s Beitra&#x0364;gen <hi rendition="#aq">IV,</hi> 42.</note> Hierauf ver-<lb/>
ließ er Zürich auf &#x017F;einem Thiere; wir finden ihn nach eini-<lb/>
ger Zeit in Ei&#x017F;enach, in Wittenberg, &#x017F;päter wie ge&#x017F;agt in<lb/>
Homberg und endlich in Marburg wieder. Sein Ver&#x017F;uch,<lb/>
der Kirchenverfa&#x017F;&#x017F;ung in Deut&#x017F;chland eine andre Form zu ge-<lb/>
ben, als die lutheri&#x017F;che, wird ihn für alle Zeiten unvergeß-<lb/>
lich machen.</p><lb/>
            <p>Die&#x017F;e Disputation hatte nun den größten Erfolg in<lb/>
Zürich. Des Donner&#x017F;tags war &#x017F;ie gehalten worden: Mon-<lb/>
tags darauf, am 21. Juli, rief der Rath die Le&#x017F;emei&#x017F;ter<lb/>
der Orden, die Chorherrn und die Weltprie&#x017F;ter noch ein-<lb/>
mal in der Prop&#x017F;tei zu&#x017F;ammen. Zwingli fühlte &#x017F;ich jetzt<lb/>
&#x017F;tark genug, mit Vorwürfen über die ungegründeten Pre-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[70/0086] Fuͤnftes Buch. Drittes Capitel. war erſchüttert, aber noch nicht völlig gebrochen. Bis jetzt wollte er weder die Cerimonien fallen laſſen noch die Für- bitte der Heiligen aufgeben: in dem Chor des Fraumün- ſters, am Frohnaltar ſitzend, hielt er einige lateiniſche Pre- digten in dieſem Sinn. Einmal fiel ihm Zwingli ins Wort mit dem Ausruf, „Bruder du irrſt.“ Die Altgläubigen mein- ten noch eine Stütze an Lambert zu finden, und da er ſich gelehrt und ſprachfertig zeigte, ſo veranſtalteten ſie eine Dis- putation zwiſchen ihm und Zwingli. Am 17. Juli, eines Donnerſtags, in der Trinkſtube der Chorherrn ging dieſelbe vor ſich. Sie fiel aber anders aus, als man hoffen mochte. Dieſer Franciscaner war ein Menſch, der die Wahrheit wirk- lich liebte und ſuchte. Er ſah ſehr bald ein, daß Zwingli’s Gründe die ſeinen überwogen: durch die Stellen der Schrift, die Zwingli ihm vorlegte, ward er vollkommen überzeugt. Er erhob die Hände, dankte Gott und gelobte, ihn allein anzurufen, allen Roſenkränzen zu entſagen. 1 Hierauf ver- ließ er Zürich auf ſeinem Thiere; wir finden ihn nach eini- ger Zeit in Eiſenach, in Wittenberg, ſpäter wie geſagt in Homberg und endlich in Marburg wieder. Sein Verſuch, der Kirchenverfaſſung in Deutſchland eine andre Form zu ge- ben, als die lutheriſche, wird ihn für alle Zeiten unvergeß- lich machen. Dieſe Disputation hatte nun den größten Erfolg in Zürich. Des Donnerſtags war ſie gehalten worden: Mon- tags darauf, am 21. Juli, rief der Rath die Leſemeiſter der Orden, die Chorherrn und die Weltprieſter noch ein- mal in der Propſtei zuſammen. Zwingli fühlte ſich jetzt ſtark genug, mit Vorwürfen über die ungegründeten Pre- 1 Bernhard Weiß in Fuͤßli’s Beitraͤgen IV, 42.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation03_1840
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation03_1840/86
Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840, S. 70. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation03_1840/86>, abgerufen am 07.05.2024.