und die natürliche Kraft des politisch-religiösen Interesses trug ihn bis auf eine Stelle empor, wo er sich vermessen durfte, selbständig unter die Mächte der Welt einzugreifen. Er kannte keine Mäßigung; Unfälle hatten ihn nie vorsich- tig gemacht; noch einmal rief er den Geist der alten Hanse auf, überredete deutsche Fürsten zu seinen Kriegen, trat mit fremden Königen in Bündniß. Demokratische, religiöse, mer- cantile und rein-politische Motive durchdrangen sich in ihm; er faßte die Absicht, das reformirte Lübeck zum Oberhaupt des demokratisirten Nordens zu machen; er selbst wäre an das Ruder dieser umgestalteten Welt getreten. Damit über- schritt er aber zugleich den Kreis der Ideen, durch welche die deutsche Reformation gediehen war; die Kräfte die er an- griff, waren ihm doch zuletzt zu stark; die Niederlagen, welche die Demokratie überall erlitten, wirkten auch auf seine Vaterstadt ein; so verlor er den Boden unter seinen Fü- ßen; er gerieth seinen Feinden in die Hände. Da er den Norden nicht erobern konnte, so geschah ihm, daß er auf dem Schaffot umkam.
Es ist überhaupt eine merkwürdige Generation, die wir hier in Kampf verwickelt finden. Kühne Demagogen, die sich selber eingesetzt, und zähe Patricier, die ihre Sache keinen Augenblick aufgeben: Fürsten und Herren, die den Krieg im Kriege suchen; andere dagegen, welche ein sehr bestimmtes Ziel fest ins Auge fassen und mit beharrlichem Entschluß verfolgen; alles kräftige gewaltsame, ein allge- meines Interesse mit dem besondern Vortheil verknüpfende, hoch strebende Naturen. Zwischen ihnen, keinem andern an Fähigkeiten nachstehend, der alte König, dem von
Sechstes Buch. Zehntes Capitel.
und die natürliche Kraft des politiſch-religiöſen Intereſſes trug ihn bis auf eine Stelle empor, wo er ſich vermeſſen durfte, ſelbſtändig unter die Mächte der Welt einzugreifen. Er kannte keine Mäßigung; Unfälle hatten ihn nie vorſich- tig gemacht; noch einmal rief er den Geiſt der alten Hanſe auf, überredete deutſche Fürſten zu ſeinen Kriegen, trat mit fremden Königen in Bündniß. Demokratiſche, religiöſe, mer- cantile und rein-politiſche Motive durchdrangen ſich in ihm; er faßte die Abſicht, das reformirte Lübeck zum Oberhaupt des demokratiſirten Nordens zu machen; er ſelbſt wäre an das Ruder dieſer umgeſtalteten Welt getreten. Damit über- ſchritt er aber zugleich den Kreis der Ideen, durch welche die deutſche Reformation gediehen war; die Kräfte die er an- griff, waren ihm doch zuletzt zu ſtark; die Niederlagen, welche die Demokratie überall erlitten, wirkten auch auf ſeine Vaterſtadt ein; ſo verlor er den Boden unter ſeinen Fü- ßen; er gerieth ſeinen Feinden in die Hände. Da er den Norden nicht erobern konnte, ſo geſchah ihm, daß er auf dem Schaffot umkam.
Es iſt überhaupt eine merkwürdige Generation, die wir hier in Kampf verwickelt finden. Kühne Demagogen, die ſich ſelber eingeſetzt, und zähe Patricier, die ihre Sache keinen Augenblick aufgeben: Fürſten und Herren, die den Krieg im Kriege ſuchen; andere dagegen, welche ein ſehr beſtimmtes Ziel feſt ins Auge faſſen und mit beharrlichem Entſchluß verfolgen; alles kräftige gewaltſame, ein allge- meines Intereſſe mit dem beſondern Vortheil verknüpfende, hoch ſtrebende Naturen. Zwiſchen ihnen, keinem andern an Fähigkeiten nachſtehend, der alte König, dem von
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Sechstes Buch. Zehntes Capitel.
und die natürliche Kraft des politiſch-religiöſen Intereſſes
trug ihn bis auf eine Stelle empor, wo er ſich vermeſſen
durfte, ſelbſtändig unter die Mächte der Welt einzugreifen.
Er kannte keine Mäßigung; Unfälle hatten ihn nie vorſich-
tig gemacht; noch einmal rief er den Geiſt der alten Hanſe
auf, überredete deutſche Fürſten zu ſeinen Kriegen, trat mit
fremden Königen in Bündniß. Demokratiſche, religiöſe, mer-
cantile und rein-politiſche Motive durchdrangen ſich in ihm;
er faßte die Abſicht, das reformirte Lübeck zum Oberhaupt
des demokratiſirten Nordens zu machen; er ſelbſt wäre an
das Ruder dieſer umgeſtalteten Welt getreten. Damit über-
ſchritt er aber zugleich den Kreis der Ideen, durch welche
die deutſche Reformation gediehen war; die Kräfte die er an-
griff, waren ihm doch zuletzt zu ſtark; die Niederlagen, welche
die Demokratie überall erlitten, wirkten auch auf ſeine
Vaterſtadt ein; ſo verlor er den Boden unter ſeinen Fü-
ßen; er gerieth ſeinen Feinden in die Hände. Da er den
Norden nicht erobern konnte, ſo geſchah ihm, daß er auf
dem Schaffot umkam.
Es iſt überhaupt eine merkwürdige Generation, die
wir hier in Kampf verwickelt finden. Kühne Demagogen,
die ſich ſelber eingeſetzt, und zähe Patricier, die ihre Sache
keinen Augenblick aufgeben: Fürſten und Herren, die den
Krieg im Kriege ſuchen; andere dagegen, welche ein ſehr
beſtimmtes Ziel feſt ins Auge faſſen und mit beharrlichem
Entſchluß verfolgen; alles kräftige gewaltſame, ein allge-
meines Intereſſe mit dem beſondern Vortheil verknüpfende,
hoch ſtrebende Naturen. Zwiſchen ihnen, keinem andern
an Fähigkeiten nachſtehend, der alte König, dem von
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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840, S. 598. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation03_1840/614>, abgerufen am 16.02.2025.
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