Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

Sechstes Buch. Neuntes Capitel.
Ungeheuers zerstampft werden würden; allein sie hielten an
der Hoffnung fest, bald werde dasselbe nichts destominder
von dem Eckstein zertrümmert, und das Reich den Heiligen
des Allerhöchsten übergeben werden. Sie sollen die Ab-
sicht gehegt haben, wenn alles verloren sey, die Stadt an-
zuzünden, und sich den feindlichen Geschützen entgegenzu-
stürzen.

Und vielleicht wäre es in der That so weit gekom-
men, hätte sich nicht ein Verräther gefunden, der den Be-
lagerern, die noch immer den vorjährigen unglücklichen
Sturm nicht vergessen hatten, über die Gräben und Mauern
zu helfen versprach. Hatte man nur nicht mit Wall und
Geschütz zu kämpfen, so konnte der Erfolg nicht zweifelhaft
seyn. 1 Mit Denen in der Stadt konnte es nicht viel besser
stehen als mit den Ausgetretenen; nur der König und was zu
seinem Hof gehörte, Räthe, Freunde, die neuen Herzöge und
Befehlshaber, die Doppelsöldner hatten noch auf kurze Zeit
zu leben. Als der Bischof den Landsknechten seinen Plan
eröffnete, und ihnen versprach, der Oberst sammt Adel und
Hauptleuten werde vorn daran seyn, zeigten sie sich willig;
denn die Zeit währte ihnen auf ihrem Stroh in den Boll-
werken auch zu lange. Es ist kein erfreulicher Anblick: diese
abentheuerlichen gewaltsamen, zu Verbrechen fortgerissenen,
jetzt ausgehungerten, zur Verzweiflung gebrachten, noch im-

1 Corvinus ad Spalatinum: vidi ipse multos ibi libros,
quorum detracta coria victum miseris suppeditarunt -- immo scio
pueros quoque comesos ibi esse, id quod ab iis auditum mihi
est, qui in reliquias quasdam capta urbe ejus rei testes incide-
runt.

Sechstes Buch. Neuntes Capitel.
Ungeheuers zerſtampft werden würden; allein ſie hielten an
der Hoffnung feſt, bald werde daſſelbe nichts deſtominder
von dem Eckſtein zertrümmert, und das Reich den Heiligen
des Allerhöchſten übergeben werden. Sie ſollen die Ab-
ſicht gehegt haben, wenn alles verloren ſey, die Stadt an-
zuzünden, und ſich den feindlichen Geſchützen entgegenzu-
ſtürzen.

Und vielleicht wäre es in der That ſo weit gekom-
men, hätte ſich nicht ein Verräther gefunden, der den Be-
lagerern, die noch immer den vorjährigen unglücklichen
Sturm nicht vergeſſen hatten, über die Gräben und Mauern
zu helfen verſprach. Hatte man nur nicht mit Wall und
Geſchütz zu kämpfen, ſo konnte der Erfolg nicht zweifelhaft
ſeyn. 1 Mit Denen in der Stadt konnte es nicht viel beſſer
ſtehen als mit den Ausgetretenen; nur der König und was zu
ſeinem Hof gehörte, Räthe, Freunde, die neuen Herzöge und
Befehlshaber, die Doppelſöldner hatten noch auf kurze Zeit
zu leben. Als der Biſchof den Landsknechten ſeinen Plan
eröffnete, und ihnen verſprach, der Oberſt ſammt Adel und
Hauptleuten werde vorn daran ſeyn, zeigten ſie ſich willig;
denn die Zeit währte ihnen auf ihrem Stroh in den Boll-
werken auch zu lange. Es iſt kein erfreulicher Anblick: dieſe
abentheuerlichen gewaltſamen, zu Verbrechen fortgeriſſenen,
jetzt ausgehungerten, zur Verzweiflung gebrachten, noch im-

1 Corvinus ad Spalatinum: vidi ipse multos ibi libros,
quorum detracta coria victum miseris suppeditarunt — immo scio
pueros quoque comesos ibi esse, id quod ab iis auditum mihi
est, qui in reliquias quasdam capta urbe ejus rei testes incide-
runt.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0572" n="556"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Sechstes Buch. Neuntes Capitel</hi>.</fw><lb/>
Ungeheuers zer&#x017F;tampft werden würden; allein &#x017F;ie hielten an<lb/>
der Hoffnung fe&#x017F;t, bald werde da&#x017F;&#x017F;elbe nichts de&#x017F;tominder<lb/>
von dem Eck&#x017F;tein zertrümmert, und das Reich den Heiligen<lb/>
des Allerhöch&#x017F;ten übergeben werden. Sie &#x017F;ollen die Ab-<lb/>
&#x017F;icht gehegt haben, wenn alles verloren &#x017F;ey, die Stadt an-<lb/>
zuzünden, und &#x017F;ich den feindlichen Ge&#x017F;chützen entgegenzu-<lb/>
&#x017F;türzen.</p><lb/>
            <p>Und vielleicht wäre es in der That &#x017F;o weit gekom-<lb/>
men, hätte &#x017F;ich nicht ein Verräther gefunden, der den Be-<lb/>
lagerern, die noch immer den vorjährigen unglücklichen<lb/>
Sturm nicht verge&#x017F;&#x017F;en hatten, über die Gräben und Mauern<lb/>
zu helfen ver&#x017F;prach. Hatte man nur nicht mit Wall und<lb/>
Ge&#x017F;chütz zu kämpfen, &#x017F;o konnte der Erfolg nicht zweifelhaft<lb/>
&#x017F;eyn. <note place="foot" n="1"><hi rendition="#aq">Corvinus ad Spalatinum: vidi ipse multos ibi libros,<lb/>
quorum detracta coria victum miseris suppeditarunt &#x2014; immo scio<lb/>
pueros quoque comesos ibi esse, id quod ab iis auditum mihi<lb/>
est, qui in reliquias quasdam capta urbe ejus rei testes incide-<lb/>
runt.</hi></note> Mit Denen in der Stadt konnte es nicht viel be&#x017F;&#x017F;er<lb/>
&#x017F;tehen als mit den Ausgetretenen; nur der König und was zu<lb/>
&#x017F;einem Hof gehörte, Räthe, Freunde, die neuen Herzöge und<lb/>
Befehlshaber, die Doppel&#x017F;öldner hatten noch auf kurze Zeit<lb/>
zu leben. Als der Bi&#x017F;chof den Landsknechten &#x017F;einen Plan<lb/>
eröffnete, und ihnen ver&#x017F;prach, der Ober&#x017F;t &#x017F;ammt Adel und<lb/>
Hauptleuten werde vorn daran &#x017F;eyn, zeigten &#x017F;ie &#x017F;ich willig;<lb/>
denn die Zeit währte ihnen auf ihrem Stroh in den Boll-<lb/>
werken auch zu lange. Es i&#x017F;t kein <choice><sic>er&#x017F;reulicher</sic><corr>erfreulicher</corr></choice> Anblick: die&#x017F;e<lb/>
abentheuerlichen gewalt&#x017F;amen, zu Verbrechen fortgeri&#x017F;&#x017F;enen,<lb/>
jetzt ausgehungerten, zur Verzweiflung gebrachten, noch im-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[556/0572] Sechstes Buch. Neuntes Capitel. Ungeheuers zerſtampft werden würden; allein ſie hielten an der Hoffnung feſt, bald werde daſſelbe nichts deſtominder von dem Eckſtein zertrümmert, und das Reich den Heiligen des Allerhöchſten übergeben werden. Sie ſollen die Ab- ſicht gehegt haben, wenn alles verloren ſey, die Stadt an- zuzünden, und ſich den feindlichen Geſchützen entgegenzu- ſtürzen. Und vielleicht wäre es in der That ſo weit gekom- men, hätte ſich nicht ein Verräther gefunden, der den Be- lagerern, die noch immer den vorjährigen unglücklichen Sturm nicht vergeſſen hatten, über die Gräben und Mauern zu helfen verſprach. Hatte man nur nicht mit Wall und Geſchütz zu kämpfen, ſo konnte der Erfolg nicht zweifelhaft ſeyn. 1 Mit Denen in der Stadt konnte es nicht viel beſſer ſtehen als mit den Ausgetretenen; nur der König und was zu ſeinem Hof gehörte, Räthe, Freunde, die neuen Herzöge und Befehlshaber, die Doppelſöldner hatten noch auf kurze Zeit zu leben. Als der Biſchof den Landsknechten ſeinen Plan eröffnete, und ihnen verſprach, der Oberſt ſammt Adel und Hauptleuten werde vorn daran ſeyn, zeigten ſie ſich willig; denn die Zeit währte ihnen auf ihrem Stroh in den Boll- werken auch zu lange. Es iſt kein erfreulicher Anblick: dieſe abentheuerlichen gewaltſamen, zu Verbrechen fortgeriſſenen, jetzt ausgehungerten, zur Verzweiflung gebrachten, noch im- 1 Corvinus ad Spalatinum: vidi ipse multos ibi libros, quorum detracta coria victum miseris suppeditarunt — immo scio pueros quoque comesos ibi esse, id quod ab iis auditum mihi est, qui in reliquias quasdam capta urbe ejus rei testes incide- runt.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation03_1840
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation03_1840/572
Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840, S. 556. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation03_1840/572>, abgerufen am 22.11.2024.