Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840.Mißverständnisse in Münster. Gottes zu, die sie nun auch anderwärts erwarteten, abernothwendigerweise vergebens. Unaufhörlich hatte der Pro- phet das Volk auf die Hülfe seiner Landsleute vertröstet, welche kein Schwert noch Tod, weder Wasser noch Feuer abhalten werde, durchzudringen, um ihren König zu sehen; da sich aber seine Prophezeiungen jetzt nicht bewährten, so entstand doch einiges Gemurre in dem Volke. 1 Allmäh- lig nahm der Mangel auf unerträgliche Weise überhand. Die Glaubensschwächern begannen, an dieser Sache zu ver- zweifeln, und verließen die Stadt. Das Lager wies sie anfangs zurück; wir finden Frauen mit ihren Kindern, die nicht aufgenommen werden, sich an dem Graben an das Stacket setzen, wo ihnen dann mitleidige Landsknechte etwas zu essen hinausreichen; unmöglich aber konnte man ganze Haufen wieder in die Stadt treiben. Sie boten einen An- blick dar, der die gelehrten Zeitgenossen an Sagunt und Numantia erinnerte. Ueber dem nackten Gebein gerunzelte Haut; ein Hals der den Kopf kaum tragen konnte, spitze Lippen, dünne, durchsichtige Wangen; alle voll Grauen über den ausgestandenen Hunger; mit Mühe hielten sie sich auf- recht. Allein Viele waren doch auch entschlossen, wie der Kö- nig sich ausdrückte, "nicht wieder nach Aegyptenland zurück- zufliehen." Die Aufforderungen des Feldhauptmanns wiesen sie noch im Anfang des Juni mit einer Art rechtgläubiger Entrüstung von sich. Zwar verhehlten sie sich nicht, daß sie vielleicht auch noch von den Füßen des letzten danielischen 1 Nie Tydongen an den Erzbischof tho Cöllen. Niesert p. 198.
Nach einem Schreiben des Feldhauptmanns vom 7. Mai erzählt ein ausgefallener Knecht, es sey große Armuth, die Gemeine murmurire, der König mit seinem Anhang suche nur den Aufruhr zu vermeiden. Mißverſtaͤndniſſe in Muͤnſter. Gottes zu, die ſie nun auch anderwärts erwarteten, abernothwendigerweiſe vergebens. Unaufhörlich hatte der Pro- phet das Volk auf die Hülfe ſeiner Landsleute vertröſtet, welche kein Schwert noch Tod, weder Waſſer noch Feuer abhalten werde, durchzudringen, um ihren König zu ſehen; da ſich aber ſeine Prophezeiungen jetzt nicht bewährten, ſo entſtand doch einiges Gemurre in dem Volke. 1 Allmäh- lig nahm der Mangel auf unerträgliche Weiſe überhand. Die Glaubensſchwächern begannen, an dieſer Sache zu ver- zweifeln, und verließen die Stadt. Das Lager wies ſie anfangs zurück; wir finden Frauen mit ihren Kindern, die nicht aufgenommen werden, ſich an dem Graben an das Stacket ſetzen, wo ihnen dann mitleidige Landsknechte etwas zu eſſen hinausreichen; unmöglich aber konnte man ganze Haufen wieder in die Stadt treiben. Sie boten einen An- blick dar, der die gelehrten Zeitgenoſſen an Sagunt und Numantia erinnerte. Ueber dem nackten Gebein gerunzelte Haut; ein Hals der den Kopf kaum tragen konnte, ſpitze Lippen, dünne, durchſichtige Wangen; alle voll Grauen über den ausgeſtandenen Hunger; mit Mühe hielten ſie ſich auf- recht. Allein Viele waren doch auch entſchloſſen, wie der Kö- nig ſich ausdrückte, „nicht wieder nach Aegyptenland zurück- zufliehen.“ Die Aufforderungen des Feldhauptmanns wieſen ſie noch im Anfang des Juni mit einer Art rechtgläubiger Entrüſtung von ſich. Zwar verhehlten ſie ſich nicht, daß ſie vielleicht auch noch von den Füßen des letzten danieliſchen 1 Nie Tydongen an den Erzbiſchof tho Coͤllen. Nieſert p. 198.
Nach einem Schreiben des Feldhauptmanns vom 7. Mai erzaͤhlt ein ausgefallener Knecht, es ſey große Armuth, die Gemeine murmurire, der Koͤnig mit ſeinem Anhang ſuche nur den Aufruhr zu vermeiden. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0571" n="555"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Mißverſtaͤndniſſe in Muͤnſter</hi>.</fw><lb/> Gottes zu, die ſie nun auch anderwärts erwarteten, aber<lb/> nothwendigerweiſe vergebens. Unaufhörlich hatte der Pro-<lb/> phet das Volk auf die Hülfe ſeiner Landsleute vertröſtet,<lb/> welche kein Schwert noch Tod, weder Waſſer noch Feuer<lb/> abhalten werde, durchzudringen, um ihren König zu ſehen;<lb/> da ſich aber ſeine Prophezeiungen jetzt nicht bewährten,<lb/> ſo entſtand doch einiges Gemurre in dem Volke. <note place="foot" n="1">Nie Tydongen an den Erzbiſchof tho Coͤllen. Nieſert <hi rendition="#aq">p.</hi> 198.<lb/> Nach einem Schreiben des Feldhauptmanns vom 7. Mai erzaͤhlt ein<lb/> ausgefallener Knecht, es ſey große Armuth, die Gemeine murmurire,<lb/> der Koͤnig mit ſeinem Anhang ſuche nur den Aufruhr zu vermeiden.</note> Allmäh-<lb/> lig nahm der Mangel auf unerträgliche Weiſe überhand.<lb/> Die Glaubensſchwächern begannen, an dieſer Sache zu ver-<lb/> zweifeln, und verließen die Stadt. Das Lager wies ſie<lb/> anfangs zurück; wir finden Frauen mit ihren Kindern, die<lb/> nicht aufgenommen werden, ſich an dem Graben an das<lb/> Stacket ſetzen, wo ihnen dann mitleidige Landsknechte etwas<lb/> zu eſſen hinausreichen; unmöglich aber konnte man ganze<lb/> Haufen wieder in die Stadt treiben. Sie boten einen An-<lb/> blick dar, der die gelehrten Zeitgenoſſen an Sagunt und<lb/> Numantia erinnerte. Ueber dem nackten Gebein gerunzelte<lb/> Haut; ein Hals der den Kopf kaum tragen konnte, ſpitze<lb/> Lippen, dünne, durchſichtige Wangen; alle voll Grauen über<lb/> den ausgeſtandenen Hunger; mit Mühe hielten ſie ſich auf-<lb/> recht. Allein Viele waren doch auch entſchloſſen, wie der Kö-<lb/> nig ſich ausdrückte, „nicht wieder nach Aegyptenland zurück-<lb/> zufliehen.“ Die Aufforderungen des Feldhauptmanns wieſen<lb/> ſie noch im Anfang des Juni mit einer Art rechtgläubiger<lb/> Entrüſtung von ſich. Zwar verhehlten ſie ſich nicht, daß ſie<lb/> vielleicht auch noch von den Füßen des letzten danieliſchen<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [555/0571]
Mißverſtaͤndniſſe in Muͤnſter.
Gottes zu, die ſie nun auch anderwärts erwarteten, aber
nothwendigerweiſe vergebens. Unaufhörlich hatte der Pro-
phet das Volk auf die Hülfe ſeiner Landsleute vertröſtet,
welche kein Schwert noch Tod, weder Waſſer noch Feuer
abhalten werde, durchzudringen, um ihren König zu ſehen;
da ſich aber ſeine Prophezeiungen jetzt nicht bewährten,
ſo entſtand doch einiges Gemurre in dem Volke. 1 Allmäh-
lig nahm der Mangel auf unerträgliche Weiſe überhand.
Die Glaubensſchwächern begannen, an dieſer Sache zu ver-
zweifeln, und verließen die Stadt. Das Lager wies ſie
anfangs zurück; wir finden Frauen mit ihren Kindern, die
nicht aufgenommen werden, ſich an dem Graben an das
Stacket ſetzen, wo ihnen dann mitleidige Landsknechte etwas
zu eſſen hinausreichen; unmöglich aber konnte man ganze
Haufen wieder in die Stadt treiben. Sie boten einen An-
blick dar, der die gelehrten Zeitgenoſſen an Sagunt und
Numantia erinnerte. Ueber dem nackten Gebein gerunzelte
Haut; ein Hals der den Kopf kaum tragen konnte, ſpitze
Lippen, dünne, durchſichtige Wangen; alle voll Grauen über
den ausgeſtandenen Hunger; mit Mühe hielten ſie ſich auf-
recht. Allein Viele waren doch auch entſchloſſen, wie der Kö-
nig ſich ausdrückte, „nicht wieder nach Aegyptenland zurück-
zufliehen.“ Die Aufforderungen des Feldhauptmanns wieſen
ſie noch im Anfang des Juni mit einer Art rechtgläubiger
Entrüſtung von ſich. Zwar verhehlten ſie ſich nicht, daß ſie
vielleicht auch noch von den Füßen des letzten danieliſchen
1 Nie Tydongen an den Erzbiſchof tho Coͤllen. Nieſert p. 198.
Nach einem Schreiben des Feldhauptmanns vom 7. Mai erzaͤhlt ein
ausgefallener Knecht, es ſey große Armuth, die Gemeine murmurire,
der Koͤnig mit ſeinem Anhang ſuche nur den Aufruhr zu vermeiden.
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