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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840.

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Sechstes Buch. Neuntes Capitel.
bart, Johann von Leiden solle König seyn. Die Prädi-
canten, welche hier immer die extremsten Ideen verfochten,
sprechen sich sofort dafür aus; Johann selbst versichert, ohne
ihre Hülfe würde er weder die Vielweiberei eingeführt, noch
die Errichtung des Königthums durchgesetzt haben. Auch
ließ er sie an seiner Gewalt theilnehmen. Nachdem das
Volk seine neue Würde gebilligt (Jedermann ließ sich auf-
schreiben), erklärte er, nicht allein könne er in dem Aller-
heiligsten verharren; die Gemeinde möge Gott mit ihm bit-
ten um ein gutes Hausgesinde. Nachdem alles Volk ge-
betet, erschien Rottmann und las von einem Zettel die
Namen derer, die durch göttliche Eingebung zu den höhe-
ren Würden bestimmt worden. Einer der Vornehmsten
war er selber. Er war Worthalter, wie jene worthalten-
den Bürgermeister in den freien Städten; Knipperdolling,
der selbst oft prophetische Entzückungen hatte, wurde Statt-
halter; so war auch der geheime Rath des Königs aus
Prädicanten und den namhaftesten Fanatikern zusammen-
gesetzt; das geistlich-fanatische Prinzip kam nun erst in dieser
monarchisch-theokratischen Regierung zur vollen Herrschaft.

Da trat nun auch die mystische Weltansicht, welche
allen diesem wiedertäuferischen Treiben zum Grunde lag,
ausgebildeter hervor. Die Hoffnungen, die sonst nebelhaft
in weiter Ferne erschienen, zeigten sich jetzt ihrer Verwirk-
lichung näher, ergreifbarer.

Die Wiedertäufer fanden den Sinn der Schrift darin, daß
Gott durch das Wort im Anfang alle Dinge gut geschaffen;
aber sie seyen nicht gut geblieben; die Ordnung Gottes
fordere ihre Wiederherstellung durch das Wort. Alles aber

Sechstes Buch. Neuntes Capitel.
bart, Johann von Leiden ſolle König ſeyn. Die Prädi-
canten, welche hier immer die extremſten Ideen verfochten,
ſprechen ſich ſofort dafür aus; Johann ſelbſt verſichert, ohne
ihre Hülfe würde er weder die Vielweiberei eingeführt, noch
die Errichtung des Königthums durchgeſetzt haben. Auch
ließ er ſie an ſeiner Gewalt theilnehmen. Nachdem das
Volk ſeine neue Würde gebilligt (Jedermann ließ ſich auf-
ſchreiben), erklärte er, nicht allein könne er in dem Aller-
heiligſten verharren; die Gemeinde möge Gott mit ihm bit-
ten um ein gutes Hausgeſinde. Nachdem alles Volk ge-
betet, erſchien Rottmann und las von einem Zettel die
Namen derer, die durch göttliche Eingebung zu den höhe-
ren Würden beſtimmt worden. Einer der Vornehmſten
war er ſelber. Er war Worthalter, wie jene worthalten-
den Bürgermeiſter in den freien Städten; Knipperdolling,
der ſelbſt oft prophetiſche Entzückungen hatte, wurde Statt-
halter; ſo war auch der geheime Rath des Königs aus
Prädicanten und den namhafteſten Fanatikern zuſammen-
geſetzt; das geiſtlich-fanatiſche Prinzip kam nun erſt in dieſer
monarchiſch-theokratiſchen Regierung zur vollen Herrſchaft.

Da trat nun auch die myſtiſche Weltanſicht, welche
allen dieſem wiedertäuferiſchen Treiben zum Grunde lag,
ausgebildeter hervor. Die Hoffnungen, die ſonſt nebelhaft
in weiter Ferne erſchienen, zeigten ſich jetzt ihrer Verwirk-
lichung näher, ergreifbarer.

Die Wiedertäufer fanden den Sinn der Schrift darin, daß
Gott durch das Wort im Anfang alle Dinge gut geſchaffen;
aber ſie ſeyen nicht gut geblieben; die Ordnung Gottes
fordere ihre Wiederherſtellung durch das Wort. Alles aber

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[536/0552] Sechstes Buch. Neuntes Capitel. bart, Johann von Leiden ſolle König ſeyn. Die Prädi- canten, welche hier immer die extremſten Ideen verfochten, ſprechen ſich ſofort dafür aus; Johann ſelbſt verſichert, ohne ihre Hülfe würde er weder die Vielweiberei eingeführt, noch die Errichtung des Königthums durchgeſetzt haben. Auch ließ er ſie an ſeiner Gewalt theilnehmen. Nachdem das Volk ſeine neue Würde gebilligt (Jedermann ließ ſich auf- ſchreiben), erklärte er, nicht allein könne er in dem Aller- heiligſten verharren; die Gemeinde möge Gott mit ihm bit- ten um ein gutes Hausgeſinde. Nachdem alles Volk ge- betet, erſchien Rottmann und las von einem Zettel die Namen derer, die durch göttliche Eingebung zu den höhe- ren Würden beſtimmt worden. Einer der Vornehmſten war er ſelber. Er war Worthalter, wie jene worthalten- den Bürgermeiſter in den freien Städten; Knipperdolling, der ſelbſt oft prophetiſche Entzückungen hatte, wurde Statt- halter; ſo war auch der geheime Rath des Königs aus Prädicanten und den namhafteſten Fanatikern zuſammen- geſetzt; das geiſtlich-fanatiſche Prinzip kam nun erſt in dieſer monarchiſch-theokratiſchen Regierung zur vollen Herrſchaft. Da trat nun auch die myſtiſche Weltanſicht, welche allen dieſem wiedertäuferiſchen Treiben zum Grunde lag, ausgebildeter hervor. Die Hoffnungen, die ſonſt nebelhaft in weiter Ferne erſchienen, zeigten ſich jetzt ihrer Verwirk- lichung näher, ergreifbarer. Die Wiedertäufer fanden den Sinn der Schrift darin, daß Gott durch das Wort im Anfang alle Dinge gut geſchaffen; aber ſie ſeyen nicht gut geblieben; die Ordnung Gottes fordere ihre Wiederherſtellung durch das Wort. Alles aber

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840, S. 536. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation03_1840/552>, abgerufen am 18.05.2024.