Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

Anfang der Vielweiberei.
sohn trug Verlangen wie nach dem Amte, so auch nach
der Frau seines Vorgängers; da er aber bereits verheira-
thet war, stellte er die Behauptung auf, daß es einem
Manne jetzt so gut wie in den Zeiten des alten Bundes
erlaubt seyn müsse mehrere Frauen zu nehmen. Anfangs
war Jedermann aus natürlichem Gefühl dagegen. Wir
erinnern uns, daß auch Luthern einst ähnliche Wünsche
vorgetragen worden; der hatte aber sie mit seinem Grundsatz,
daß die Ehegesetze eine Sache der weltlichen Ordnung
seyen, der man Gehorsam leisten müsse, zurückgewiesen.
In Münster verachtete man Argumente dieser Art: man
gedachte durchaus nach den Anweisungen der Schrift zu
leben. Auch Rottmann predigte die neue Lehre ein paar
Tage lang auf dem Domhof. 1 So weit aber war es noch
nicht gekommen, daß eine so schreiende Verhöhnung der
Sitte und des ehrbaren Herkommens nicht auch unter den
obwaltenden Umständen Widerspruch gefunden hätte. Um
einen Schmied, des Namens Mollenhök, sammelte sich al-
les, was noch von der alten Bürgerschaft übrig war und
sich den Neuerungen nicht ganz und gar ergeben hatte.
Noch einmal erscholl der Ruf des Evangeliums; man
sprach davon, die Vertriebenen zurückzurufen, die alte Ver-
fassung wiederherzustellen, und fing an, die Propheten und
Prediger gefangen zu nehmen. Jetzt aber waren sie bereits
jeder Opposition zu stark geworden. Es befanden sich zu
viel enthusiastische Fremdlinge in der Stadt, die gemeinen
Leute waren durch das Prinzip der Gleichheit gewonnen;

1 In einer gleichzeitigen Notiz in Spalatin Annales Refor-
mationis p.
302. findet sich, daß auch Rottmann 4 Eheweiber nahm.

Anfang der Vielweiberei.
ſohn trug Verlangen wie nach dem Amte, ſo auch nach
der Frau ſeines Vorgängers; da er aber bereits verheira-
thet war, ſtellte er die Behauptung auf, daß es einem
Manne jetzt ſo gut wie in den Zeiten des alten Bundes
erlaubt ſeyn müſſe mehrere Frauen zu nehmen. Anfangs
war Jedermann aus natürlichem Gefühl dagegen. Wir
erinnern uns, daß auch Luthern einſt ähnliche Wünſche
vorgetragen worden; der hatte aber ſie mit ſeinem Grundſatz,
daß die Ehegeſetze eine Sache der weltlichen Ordnung
ſeyen, der man Gehorſam leiſten müſſe, zurückgewieſen.
In Münſter verachtete man Argumente dieſer Art: man
gedachte durchaus nach den Anweiſungen der Schrift zu
leben. Auch Rottmann predigte die neue Lehre ein paar
Tage lang auf dem Domhof. 1 So weit aber war es noch
nicht gekommen, daß eine ſo ſchreiende Verhöhnung der
Sitte und des ehrbaren Herkommens nicht auch unter den
obwaltenden Umſtänden Widerſpruch gefunden hätte. Um
einen Schmied, des Namens Mollenhök, ſammelte ſich al-
les, was noch von der alten Bürgerſchaft übrig war und
ſich den Neuerungen nicht ganz und gar ergeben hatte.
Noch einmal erſcholl der Ruf des Evangeliums; man
ſprach davon, die Vertriebenen zurückzurufen, die alte Ver-
faſſung wiederherzuſtellen, und fing an, die Propheten und
Prediger gefangen zu nehmen. Jetzt aber waren ſie bereits
jeder Oppoſition zu ſtark geworden. Es befanden ſich zu
viel enthuſiaſtiſche Fremdlinge in der Stadt, die gemeinen
Leute waren durch das Prinzip der Gleichheit gewonnen;

1 In einer gleichzeitigen Notiz in Spalatin Annales Refor-
mationis p.
302. findet ſich, daß auch Rottmann 4 Eheweiber nahm.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0549" n="533"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Anfang der Vielweiberei</hi>.</fw><lb/>
&#x017F;ohn trug Verlangen wie nach dem Amte, &#x017F;o auch nach<lb/>
der Frau &#x017F;eines Vorgängers; da er aber bereits verheira-<lb/>
thet war, &#x017F;tellte er die Behauptung auf, daß es einem<lb/>
Manne jetzt &#x017F;o gut wie in den Zeiten des alten Bundes<lb/>
erlaubt &#x017F;eyn mü&#x017F;&#x017F;e mehrere Frauen zu nehmen. Anfangs<lb/>
war Jedermann aus natürlichem Gefühl dagegen. Wir<lb/>
erinnern uns, daß auch Luthern ein&#x017F;t ähnliche Wün&#x017F;che<lb/>
vorgetragen worden; der hatte aber &#x017F;ie mit &#x017F;einem Grund&#x017F;atz,<lb/>
daß die Ehege&#x017F;etze eine Sache der weltlichen Ordnung<lb/>
&#x017F;eyen, der man Gehor&#x017F;am lei&#x017F;ten mü&#x017F;&#x017F;e, zurückgewie&#x017F;en.<lb/>
In Mün&#x017F;ter verachtete man Argumente die&#x017F;er Art: man<lb/>
gedachte durchaus nach den Anwei&#x017F;ungen der Schrift zu<lb/>
leben. Auch Rottmann predigte die neue Lehre ein paar<lb/>
Tage lang auf dem Domhof. <note place="foot" n="1">In einer gleichzeitigen Notiz in Spalatin <hi rendition="#aq">Annales Refor-<lb/>
mationis p.</hi> 302. findet &#x017F;ich, daß auch Rottmann 4 Eheweiber nahm.</note> So weit aber war es noch<lb/>
nicht gekommen, daß eine &#x017F;o &#x017F;chreiende Verhöhnung der<lb/>
Sitte und des ehrbaren Herkommens nicht auch unter den<lb/>
obwaltenden Um&#x017F;tänden Wider&#x017F;pruch gefunden hätte. Um<lb/>
einen Schmied, des Namens Mollenhök, &#x017F;ammelte &#x017F;ich al-<lb/>
les, was noch von der alten Bürger&#x017F;chaft übrig war und<lb/>
&#x017F;ich den Neuerungen nicht ganz und gar ergeben hatte.<lb/>
Noch einmal er&#x017F;choll der Ruf des Evangeliums; man<lb/>
&#x017F;prach davon, die Vertriebenen zurückzurufen, die alte Ver-<lb/>
fa&#x017F;&#x017F;ung wiederherzu&#x017F;tellen, und fing an, die Propheten und<lb/>
Prediger gefangen zu nehmen. Jetzt aber waren &#x017F;ie bereits<lb/>
jeder Oppo&#x017F;ition zu &#x017F;tark geworden. Es befanden &#x017F;ich zu<lb/>
viel enthu&#x017F;ia&#x017F;ti&#x017F;che Fremdlinge in der Stadt, die gemeinen<lb/>
Leute waren durch das Prinzip der Gleichheit gewonnen;<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[533/0549] Anfang der Vielweiberei. ſohn trug Verlangen wie nach dem Amte, ſo auch nach der Frau ſeines Vorgängers; da er aber bereits verheira- thet war, ſtellte er die Behauptung auf, daß es einem Manne jetzt ſo gut wie in den Zeiten des alten Bundes erlaubt ſeyn müſſe mehrere Frauen zu nehmen. Anfangs war Jedermann aus natürlichem Gefühl dagegen. Wir erinnern uns, daß auch Luthern einſt ähnliche Wünſche vorgetragen worden; der hatte aber ſie mit ſeinem Grundſatz, daß die Ehegeſetze eine Sache der weltlichen Ordnung ſeyen, der man Gehorſam leiſten müſſe, zurückgewieſen. In Münſter verachtete man Argumente dieſer Art: man gedachte durchaus nach den Anweiſungen der Schrift zu leben. Auch Rottmann predigte die neue Lehre ein paar Tage lang auf dem Domhof. 1 So weit aber war es noch nicht gekommen, daß eine ſo ſchreiende Verhöhnung der Sitte und des ehrbaren Herkommens nicht auch unter den obwaltenden Umſtänden Widerſpruch gefunden hätte. Um einen Schmied, des Namens Mollenhök, ſammelte ſich al- les, was noch von der alten Bürgerſchaft übrig war und ſich den Neuerungen nicht ganz und gar ergeben hatte. Noch einmal erſcholl der Ruf des Evangeliums; man ſprach davon, die Vertriebenen zurückzurufen, die alte Ver- faſſung wiederherzuſtellen, und fing an, die Propheten und Prediger gefangen zu nehmen. Jetzt aber waren ſie bereits jeder Oppoſition zu ſtark geworden. Es befanden ſich zu viel enthuſiaſtiſche Fremdlinge in der Stadt, die gemeinen Leute waren durch das Prinzip der Gleichheit gewonnen; 1 In einer gleichzeitigen Notiz in Spalatin Annales Refor- mationis p. 302. findet ſich, daß auch Rottmann 4 Eheweiber nahm.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation03_1840
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation03_1840/549
Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840, S. 533. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation03_1840/549>, abgerufen am 18.05.2024.