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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840.

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Sechstes Buch. Neuntes Capitel.
tung, ihrem verwegenen und doch die Landesart anmu-
thenden Wesen machten in Münster einen großen Eindruck.
Noch war die religiöse Meinung in lebhaften Schwingun-
gen begriffen, sie sah noch nach neuen Dingen aus. Es
ist sehr begreiflich, daß Frauen, zuerst Klosterfrauen, von
Lehren fortgerissen wurden, die ein heilig-sinnliches Leben
in naher Zukunft erwarten ließen. Sieben Nonnen aus
dem Aegidienkloster ließen sich auf einmal taufen; die Non-
nen von Overrat folgten ihnen nach; dann schlichen sich
auch bürgerliche Frauen in die Versammlungen der Täu-
fer, und brachten wohl als das erste Pfand ihrer Erge-
benheit dem Propheten ihr Geschmeide mit. Anfangs wa-
ren die Männer entrüstet, später wurden sie selber nachge-
zogen. Nachdem die Prediger der Stadt die Taufe zuerst
empfangen, vollzogen sie sie selbst. Besonders warf sich
Rottmann mit alle dem Talent, und alle dem Eifer, die
er früher der Reformation gewidmet, in diese neuen Doc-
trinen. War es nicht dieselbe Stimme, die einst zuerst
von der römischen Kirche abgeführt hatte? Niemand konnte
ihr widerstehen. Man erzählte sich, er führe einen Zau-
bertrank bei sich, mit welchem er einen Jeden, den er taufe,
auf immer dafür festbanne.

Und hiedurch ward er nun bald so stark, dem Ra-
the, der ihn zu beherrschen, in Schranken zu halten ge-
dacht, Trotz bieten zu können. Frauen stellten den Bür-
germeister zur Rede, daß er einen hessischen Prediger be-
günstige, der nicht einmal münsterisch sprechen könne; Non-
nen schalten auf öffentlichem Markt auf den hessischen
Gott, den man esse. Sechszehnjährige Mädchen riefen

Sechstes Buch. Neuntes Capitel.
tung, ihrem verwegenen und doch die Landesart anmu-
thenden Weſen machten in Münſter einen großen Eindruck.
Noch war die religiöſe Meinung in lebhaften Schwingun-
gen begriffen, ſie ſah noch nach neuen Dingen aus. Es
iſt ſehr begreiflich, daß Frauen, zuerſt Kloſterfrauen, von
Lehren fortgeriſſen wurden, die ein heilig-ſinnliches Leben
in naher Zukunft erwarten ließen. Sieben Nonnen aus
dem Aegidienkloſter ließen ſich auf einmal taufen; die Non-
nen von Overrat folgten ihnen nach; dann ſchlichen ſich
auch bürgerliche Frauen in die Verſammlungen der Täu-
fer, und brachten wohl als das erſte Pfand ihrer Erge-
benheit dem Propheten ihr Geſchmeide mit. Anfangs wa-
ren die Männer entrüſtet, ſpäter wurden ſie ſelber nachge-
zogen. Nachdem die Prediger der Stadt die Taufe zuerſt
empfangen, vollzogen ſie ſie ſelbſt. Beſonders warf ſich
Rottmann mit alle dem Talent, und alle dem Eifer, die
er früher der Reformation gewidmet, in dieſe neuen Doc-
trinen. War es nicht dieſelbe Stimme, die einſt zuerſt
von der römiſchen Kirche abgeführt hatte? Niemand konnte
ihr widerſtehen. Man erzählte ſich, er führe einen Zau-
bertrank bei ſich, mit welchem er einen Jeden, den er taufe,
auf immer dafür feſtbanne.

Und hiedurch ward er nun bald ſo ſtark, dem Ra-
the, der ihn zu beherrſchen, in Schranken zu halten ge-
dacht, Trotz bieten zu können. Frauen ſtellten den Bür-
germeiſter zur Rede, daß er einen heſſiſchen Prediger be-
günſtige, der nicht einmal münſteriſch ſprechen könne; Non-
nen ſchalten auf öffentlichem Markt auf den heſſiſchen
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[522/0538] Sechstes Buch. Neuntes Capitel. tung, ihrem verwegenen und doch die Landesart anmu- thenden Weſen machten in Münſter einen großen Eindruck. Noch war die religiöſe Meinung in lebhaften Schwingun- gen begriffen, ſie ſah noch nach neuen Dingen aus. Es iſt ſehr begreiflich, daß Frauen, zuerſt Kloſterfrauen, von Lehren fortgeriſſen wurden, die ein heilig-ſinnliches Leben in naher Zukunft erwarten ließen. Sieben Nonnen aus dem Aegidienkloſter ließen ſich auf einmal taufen; die Non- nen von Overrat folgten ihnen nach; dann ſchlichen ſich auch bürgerliche Frauen in die Verſammlungen der Täu- fer, und brachten wohl als das erſte Pfand ihrer Erge- benheit dem Propheten ihr Geſchmeide mit. Anfangs wa- ren die Männer entrüſtet, ſpäter wurden ſie ſelber nachge- zogen. Nachdem die Prediger der Stadt die Taufe zuerſt empfangen, vollzogen ſie ſie ſelbſt. Beſonders warf ſich Rottmann mit alle dem Talent, und alle dem Eifer, die er früher der Reformation gewidmet, in dieſe neuen Doc- trinen. War es nicht dieſelbe Stimme, die einſt zuerſt von der römiſchen Kirche abgeführt hatte? Niemand konnte ihr widerſtehen. Man erzählte ſich, er führe einen Zau- bertrank bei ſich, mit welchem er einen Jeden, den er taufe, auf immer dafür feſtbanne. Und hiedurch ward er nun bald ſo ſtark, dem Ra- the, der ihn zu beherrſchen, in Schranken zu halten ge- dacht, Trotz bieten zu können. Frauen ſtellten den Bür- germeiſter zur Rede, daß er einen heſſiſchen Prediger be- günſtige, der nicht einmal münſteriſch ſprechen könne; Non- nen ſchalten auf öffentlichem Markt auf den heſſiſchen Gott, den man eſſe. Sechszehnjährige Mädchen riefen

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840, S. 522. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation03_1840/538>, abgerufen am 22.11.2024.