Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

Sechstes Buch. Fünftes Capitel.
suchte, ihre bisherigen Grundlagen, Tafel und Buch um-
stürzte, überhaupt auf das gewaltsamste verfuhr und end-
lich nur durch die entschlossene Entwickelung einer bewaff-
neten Macht beseitigt werden konnte. 1

Und noch viel weitaussehender waren die Bewegungen
in Lübek.

Hier hatten sich die vornehmen Geschlechter auf das
engste mit der Geistlichkeit vereinigt; Capitel, Rath, Jun-
ker und große Kaufleute bildeten nur Eine Partei. 2 Da-
gegen regte sich das religiöse Begehren hier eben so gut
wie anderwärts in der Bürgerschaft; es ward aber mit un-
nachsichtigem Eifer zurückgedrängt; es wurden Familien ge-
straft, wo nur das Gesinde einen deutschen Psalm gesun-
gen: Luthers Postille ward 1528 auf öffentlichem Markt
verbrannt.

Das Unglück der regierenden Herren war nur, daß
sie die Finanzen der Stadt in Unordnung hatten gerathen
lassen, und sich genöthigt sahen, die Bürgerschaft zu ver-
sammeln und ihre außerordentliche Beihülfe in Anspruch
zu nehmen.

Wohl ging die Bürgerschaft hierauf ein; sie ernannte
1529 einen Ausschuß, der nach und nach auf 64 Mit-

1 Roller Geschichte von Bremen II, p. 380 u. f.
2 Die Priesterschaft war besonders durch die Stiftung der
Vicarien sehr zahlreich geworden. In der Mitte des funfzehnten
Jahrhunderts gab es in Lübek am Dom 59, an Marien 51, an
Petri 22, an Jacobi 16, an Aegidien 13 und an den Nebenkirchen
noch 8 Vicare. Es waren meistens Verwandte Derjenigen, welche
das Capital zur Lesung einiger Seelmessen gestiftet. Vgl. Grautoff
Schriften I, 266. Die Verschreibung über das Capital blieb in den
Händen der Provisoren.

Sechstes Buch. Fuͤnftes Capitel.
ſuchte, ihre bisherigen Grundlagen, Tafel und Buch um-
ſtürzte, überhaupt auf das gewaltſamſte verfuhr und end-
lich nur durch die entſchloſſene Entwickelung einer bewaff-
neten Macht beſeitigt werden konnte. 1

Und noch viel weitausſehender waren die Bewegungen
in Lübek.

Hier hatten ſich die vornehmen Geſchlechter auf das
engſte mit der Geiſtlichkeit vereinigt; Capitel, Rath, Jun-
ker und große Kaufleute bildeten nur Eine Partei. 2 Da-
gegen regte ſich das religiöſe Begehren hier eben ſo gut
wie anderwärts in der Bürgerſchaft; es ward aber mit un-
nachſichtigem Eifer zurückgedrängt; es wurden Familien ge-
ſtraft, wo nur das Geſinde einen deutſchen Pſalm geſun-
gen: Luthers Poſtille ward 1528 auf öffentlichem Markt
verbrannt.

Das Unglück der regierenden Herren war nur, daß
ſie die Finanzen der Stadt in Unordnung hatten gerathen
laſſen, und ſich genöthigt ſahen, die Bürgerſchaft zu ver-
ſammeln und ihre außerordentliche Beihülfe in Anſpruch
zu nehmen.

Wohl ging die Bürgerſchaft hierauf ein; ſie ernannte
1529 einen Ausſchuß, der nach und nach auf 64 Mit-

1 Roller Geſchichte von Bremen II, p. 380 u. f.
2 Die Prieſterſchaft war beſonders durch die Stiftung der
Vicarien ſehr zahlreich geworden. In der Mitte des funfzehnten
Jahrhunderts gab es in Luͤbek am Dom 59, an Marien 51, an
Petri 22, an Jacobi 16, an Aegidien 13 und an den Nebenkirchen
noch 8 Vicare. Es waren meiſtens Verwandte Derjenigen, welche
das Capital zur Leſung einiger Seelmeſſen geſtiftet. Vgl. Grautoff
Schriften I, 266. Die Verſchreibung uͤber das Capital blieb in den
Haͤnden der Proviſoren.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0400" n="384"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Sechstes Buch. Fu&#x0364;nftes Capitel</hi>.</fw><lb/>
&#x017F;uchte, ihre bisherigen Grundlagen, Tafel und Buch um-<lb/>
&#x017F;türzte, überhaupt auf das gewalt&#x017F;am&#x017F;te verfuhr und end-<lb/>
lich nur durch die ent&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;ene Entwickelung einer bewaff-<lb/>
neten Macht be&#x017F;eitigt werden konnte. <note place="foot" n="1">Roller Ge&#x017F;chichte von Bremen <hi rendition="#aq">II, p.</hi> 380 u. f.</note></p><lb/>
            <p>Und noch viel weitaus&#x017F;ehender waren die Bewegungen<lb/>
in Lübek.</p><lb/>
            <p>Hier hatten &#x017F;ich die vornehmen Ge&#x017F;chlechter auf das<lb/>
eng&#x017F;te mit der Gei&#x017F;tlichkeit vereinigt; Capitel, Rath, Jun-<lb/>
ker und große Kaufleute bildeten nur Eine Partei. <note place="foot" n="2">Die Prie&#x017F;ter&#x017F;chaft war be&#x017F;onders durch die Stiftung der<lb/>
Vicarien &#x017F;ehr zahlreich geworden. In der Mitte des funfzehnten<lb/>
Jahrhunderts gab es in Lu&#x0364;bek am Dom 59, an Marien 51, an<lb/>
Petri 22, an Jacobi 16, an Aegidien 13 und an den Nebenkirchen<lb/>
noch 8 Vicare. Es waren mei&#x017F;tens Verwandte Derjenigen, welche<lb/>
das Capital zur Le&#x017F;ung einiger Seelme&#x017F;&#x017F;en ge&#x017F;tiftet. Vgl. Grautoff<lb/>
Schriften <hi rendition="#aq">I,</hi> 266. Die Ver&#x017F;chreibung u&#x0364;ber das Capital blieb in den<lb/>
Ha&#x0364;nden der Provi&#x017F;oren.</note> Da-<lb/>
gegen regte &#x017F;ich das religiö&#x017F;e Begehren hier eben &#x017F;o gut<lb/>
wie anderwärts in der Bürger&#x017F;chaft; es ward aber mit un-<lb/>
nach&#x017F;ichtigem Eifer zurückgedrängt; es wurden Familien ge-<lb/>
&#x017F;traft, wo nur das Ge&#x017F;inde einen deut&#x017F;chen P&#x017F;alm ge&#x017F;un-<lb/>
gen: Luthers Po&#x017F;tille ward 1528 auf öffentlichem Markt<lb/>
verbrannt.</p><lb/>
            <p>Das Unglück der regierenden Herren war nur, daß<lb/>
&#x017F;ie die Finanzen der Stadt in Unordnung hatten gerathen<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en, und &#x017F;ich genöthigt &#x017F;ahen, die Bürger&#x017F;chaft zu ver-<lb/>
&#x017F;ammeln und ihre außerordentliche Beihülfe in An&#x017F;pruch<lb/>
zu nehmen.</p><lb/>
            <p>Wohl ging die Bürger&#x017F;chaft hierauf ein; &#x017F;ie ernannte<lb/>
1529 einen Aus&#x017F;chuß, der nach und nach auf 64 Mit-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[384/0400] Sechstes Buch. Fuͤnftes Capitel. ſuchte, ihre bisherigen Grundlagen, Tafel und Buch um- ſtürzte, überhaupt auf das gewaltſamſte verfuhr und end- lich nur durch die entſchloſſene Entwickelung einer bewaff- neten Macht beſeitigt werden konnte. 1 Und noch viel weitausſehender waren die Bewegungen in Lübek. Hier hatten ſich die vornehmen Geſchlechter auf das engſte mit der Geiſtlichkeit vereinigt; Capitel, Rath, Jun- ker und große Kaufleute bildeten nur Eine Partei. 2 Da- gegen regte ſich das religiöſe Begehren hier eben ſo gut wie anderwärts in der Bürgerſchaft; es ward aber mit un- nachſichtigem Eifer zurückgedrängt; es wurden Familien ge- ſtraft, wo nur das Geſinde einen deutſchen Pſalm geſun- gen: Luthers Poſtille ward 1528 auf öffentlichem Markt verbrannt. Das Unglück der regierenden Herren war nur, daß ſie die Finanzen der Stadt in Unordnung hatten gerathen laſſen, und ſich genöthigt ſahen, die Bürgerſchaft zu ver- ſammeln und ihre außerordentliche Beihülfe in Anſpruch zu nehmen. Wohl ging die Bürgerſchaft hierauf ein; ſie ernannte 1529 einen Ausſchuß, der nach und nach auf 64 Mit- 1 Roller Geſchichte von Bremen II, p. 380 u. f. 2 Die Prieſterſchaft war beſonders durch die Stiftung der Vicarien ſehr zahlreich geworden. In der Mitte des funfzehnten Jahrhunderts gab es in Luͤbek am Dom 59, an Marien 51, an Petri 22, an Jacobi 16, an Aegidien 13 und an den Nebenkirchen noch 8 Vicare. Es waren meiſtens Verwandte Derjenigen, welche das Capital zur Leſung einiger Seelmeſſen geſtiftet. Vgl. Grautoff Schriften I, 266. Die Verſchreibung uͤber das Capital blieb in den Haͤnden der Proviſoren.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation03_1840
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation03_1840/400
Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840, S. 384. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation03_1840/400>, abgerufen am 17.05.2024.