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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840.

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Sechstes Buch. Viertes Capitel.
sah wohl, daß Verzögerung alles verderben werde. Schon
fühlte er aufs neue seine einheimischen Gegner sich regen und
zuweilen klagte er auf der Kanzel über den Rückhalt, den Zü-
rich selbst dem Feinde gewähre: alles Ernstes wollte er ein-
mal abdanken. Da er, wiewohl nur mit Mühe daran ver-
hindert worden, machte er noch einmal den Versuch, die
Berner von der Nothwendigkeit eines andern Verfahrens zu
überzeugen. In tiefem Geheimniß finden wir ihn zu Brem-
garten eine Zusammenkunft mit einem paar Berner Abgeord-
neten halten, bei Nacht, im Hause des Prädicanten Bullinger;
Bremgartner Rathsherren hielten Wache. Aber viel Hoffnung
kann er auch hier nicht empfangen haben. Ehe der Tag graute,
brachte Bullinger seinen Meister durch eine Pforte beim Schü-
tzenhaus auf den Weg. Ueber Zwingli lag eine schmerzliche
Stimmung. Er weinte als er von Bullinger Abschied nahm:
"Gott behüte dich Heinrich," sagte er, "und bleib nur treu
am Herrn Christo und seiner Kirche." 1 Im August war ein
Comet erschienen: der Abt Georg Müller von Wettingen
fragte eines Tags auf dem Kirchhof zum großen Münster
Zwingli'n, was der wohl bedeuten möge. "Mein Georg,"
antwortete Zwingli, "mich und manchen Ehrenmann wird
es kosten; die Kirche wird Noth leiden, doch werdet ihr
darum von Christo nicht verlassen werden." 2


1 Erzählung Bullingers III, 49.
2 In einer Note sey mir erlaubt an den anmuthigen Bericht
eines Zeitgenossen zu erinnern, der im Schw. Mus. II, 535 abge-
druckt ist. Er schildert da, wie er in diesen Tagen in St. Gallen
mit dem Freunde Zwingli's Vadianus, dem Dr. Joachim von Watt
und einigen Andern einst zu Nacht auf die Bernegh stieg und dann
noch weiter hinauf auf die Höhe, wo sich der Doctor unter sie setzte,
auf den Boden in den Thau, ihnen die Namen der Gestirne, die
entgegengesetzte Bewegung des Zodiacus und des übrigen Firmaments

Sechstes Buch. Viertes Capitel.
ſah wohl, daß Verzögerung alles verderben werde. Schon
fühlte er aufs neue ſeine einheimiſchen Gegner ſich regen und
zuweilen klagte er auf der Kanzel über den Rückhalt, den Zü-
rich ſelbſt dem Feinde gewähre: alles Ernſtes wollte er ein-
mal abdanken. Da er, wiewohl nur mit Mühe daran ver-
hindert worden, machte er noch einmal den Verſuch, die
Berner von der Nothwendigkeit eines andern Verfahrens zu
überzeugen. In tiefem Geheimniß finden wir ihn zu Brem-
garten eine Zuſammenkunft mit einem paar Berner Abgeord-
neten halten, bei Nacht, im Hauſe des Prädicanten Bullinger;
Bremgartner Rathsherren hielten Wache. Aber viel Hoffnung
kann er auch hier nicht empfangen haben. Ehe der Tag graute,
brachte Bullinger ſeinen Meiſter durch eine Pforte beim Schü-
tzenhaus auf den Weg. Ueber Zwingli lag eine ſchmerzliche
Stimmung. Er weinte als er von Bullinger Abſchied nahm:
„Gott behüte dich Heinrich,“ ſagte er, „und bleib nur treu
am Herrn Chriſto und ſeiner Kirche.“ 1 Im Auguſt war ein
Comet erſchienen: der Abt Georg Müller von Wettingen
fragte eines Tags auf dem Kirchhof zum großen Münſter
Zwingli’n, was der wohl bedeuten möge. „Mein Georg,“
antwortete Zwingli, „mich und manchen Ehrenmann wird
es koſten; die Kirche wird Noth leiden, doch werdet ihr
darum von Chriſto nicht verlaſſen werden.“ 2


1 Erzaͤhlung Bullingers III, 49.
2 In einer Note ſey mir erlaubt an den anmuthigen Bericht
eines Zeitgenoſſen zu erinnern, der im Schw. Muſ. II, 535 abge-
druckt iſt. Er ſchildert da, wie er in dieſen Tagen in St. Gallen
mit dem Freunde Zwingli’s Vadianus, dem Dr. Joachim von Watt
und einigen Andern einſt zu Nacht auf die Bernegh ſtieg und dann
noch weiter hinauf auf die Hoͤhe, wo ſich der Doctor unter ſie ſetzte,
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[358/0374] Sechstes Buch. Viertes Capitel. ſah wohl, daß Verzögerung alles verderben werde. Schon fühlte er aufs neue ſeine einheimiſchen Gegner ſich regen und zuweilen klagte er auf der Kanzel über den Rückhalt, den Zü- rich ſelbſt dem Feinde gewähre: alles Ernſtes wollte er ein- mal abdanken. Da er, wiewohl nur mit Mühe daran ver- hindert worden, machte er noch einmal den Verſuch, die Berner von der Nothwendigkeit eines andern Verfahrens zu überzeugen. In tiefem Geheimniß finden wir ihn zu Brem- garten eine Zuſammenkunft mit einem paar Berner Abgeord- neten halten, bei Nacht, im Hauſe des Prädicanten Bullinger; Bremgartner Rathsherren hielten Wache. Aber viel Hoffnung kann er auch hier nicht empfangen haben. Ehe der Tag graute, brachte Bullinger ſeinen Meiſter durch eine Pforte beim Schü- tzenhaus auf den Weg. Ueber Zwingli lag eine ſchmerzliche Stimmung. Er weinte als er von Bullinger Abſchied nahm: „Gott behüte dich Heinrich,“ ſagte er, „und bleib nur treu am Herrn Chriſto und ſeiner Kirche.“ 1 Im Auguſt war ein Comet erſchienen: der Abt Georg Müller von Wettingen fragte eines Tags auf dem Kirchhof zum großen Münſter Zwingli’n, was der wohl bedeuten möge. „Mein Georg,“ antwortete Zwingli, „mich und manchen Ehrenmann wird es koſten; die Kirche wird Noth leiden, doch werdet ihr darum von Chriſto nicht verlaſſen werden.“ 2 1 Erzaͤhlung Bullingers III, 49. 2 In einer Note ſey mir erlaubt an den anmuthigen Bericht eines Zeitgenoſſen zu erinnern, der im Schw. Muſ. II, 535 abge- druckt iſt. Er ſchildert da, wie er in dieſen Tagen in St. Gallen mit dem Freunde Zwingli’s Vadianus, dem Dr. Joachim von Watt und einigen Andern einſt zu Nacht auf die Bernegh ſtieg und dann noch weiter hinauf auf die Hoͤhe, wo ſich der Doctor unter ſie ſetzte, auf den Boden in den Thau, ihnen die Namen der Geſtirne, die entgegengeſetzte Bewegung des Zodiacus und des uͤbrigen Firmaments

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840, S. 358. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation03_1840/374>, abgerufen am 17.05.2024.