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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840.

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Verhandlungen der Majorität.
des Reichstags war, die Irrungen zwischen geistlichen und
weltlichen Ständen, die in den letzten Jahren so viel Lär-
men gemacht, beizulegen. Die geistlichen Stände waren
früher sehr lebhaft angeklagt worden, jetzt gaben auch sie
ihre Beschwerden ein. Früher würde das die heftigsten
Streitigkeiten veranlaßt haben: jetzt, da die gegenseitigen
Animositäten einer andern gemeinschaftlichen Antipathie ge-
wichen waren, ward ein Ausschuß aus beiden Theilen nie-
dergesetzt und wirklich ein Vergleich zu Stande gebracht,
den der Kaiser als Constitution in das Reich zu verkün-
digen Willens war. 1

Auch die hundert Gravamina wurden hiebei wieder
in Erinnerung gebracht. Die weltlichen Fürsten, gewohnt
auf ihre Beschlüsse zu bestehn, überreichten sie aufs neue.
Da der päpstliche Legat zu keiner Unterhandlung darüber
ermächtigt war, so übernahm der Kaiser sie durch seinen
Gesandten in Rom in Anregung zu bringen. 2

Es scheint fast, als habe man die Abschaffung der Be-
schwerden später als bewilligt angesehen, als habe selbst jene
Constitution eine gewisse Autorität gehabt. 3 Allein wie
sehr verschwanden jetzt diese Interessen vor den bei weitem
mächtigern der Reform.


1 Concordata der geistlichen und weltlichen Beschwerung, con-
stitutionsweis zusammengezogen bei Bucholz III, 636.
2 In Adrians Catalogus codicum bibl. Giessensis wird nr.
296 (p.
93) angeführt: consultatio et deliberatio consiliariorum
deputatorum super gravaminibus quae nationi Germanicae per se-
dem ap. inferuntur,
die hieher gehören wird.
3 Spittler Geschichte der Fundamentalgesetze der deutsch-ka-
tholischen Kirche (Werke VIII, p. 501) versichert, daß die beiden Ac-
tenstücke, die Gravamina, die man als wirklich abgeschlossen betrach-
tete, und die Concordata auf der Tafel des kaiserl. Hofraths zum täg-
chen Gebrauch gelegen.

Verhandlungen der Majoritaͤt.
des Reichstags war, die Irrungen zwiſchen geiſtlichen und
weltlichen Ständen, die in den letzten Jahren ſo viel Lär-
men gemacht, beizulegen. Die geiſtlichen Stände waren
früher ſehr lebhaft angeklagt worden, jetzt gaben auch ſie
ihre Beſchwerden ein. Früher würde das die heftigſten
Streitigkeiten veranlaßt haben: jetzt, da die gegenſeitigen
Animoſitäten einer andern gemeinſchaftlichen Antipathie ge-
wichen waren, ward ein Ausſchuß aus beiden Theilen nie-
dergeſetzt und wirklich ein Vergleich zu Stande gebracht,
den der Kaiſer als Conſtitution in das Reich zu verkün-
digen Willens war. 1

Auch die hundert Gravamina wurden hiebei wieder
in Erinnerung gebracht. Die weltlichen Fürſten, gewohnt
auf ihre Beſchlüſſe zu beſtehn, überreichten ſie aufs neue.
Da der päpſtliche Legat zu keiner Unterhandlung darüber
ermächtigt war, ſo übernahm der Kaiſer ſie durch ſeinen
Geſandten in Rom in Anregung zu bringen. 2

Es ſcheint faſt, als habe man die Abſchaffung der Be-
ſchwerden ſpäter als bewilligt angeſehen, als habe ſelbſt jene
Conſtitution eine gewiſſe Autorität gehabt. 3 Allein wie
ſehr verſchwanden jetzt dieſe Intereſſen vor den bei weitem
mächtigern der Reform.


1 Concordata der geiſtlichen und weltlichen Beſchwerung, con-
ſtitutionsweis zuſammengezogen bei Bucholz III, 636.
2 In Adrians Catalogus codicum bibl. Giessensis wird nr.
296 (p.
93) angefuͤhrt: consultatio et deliberatio consiliariorum
deputatorum super gravaminibus quae nationi Germanicae per se-
dem ap. inferuntur,
die hieher gehoͤren wird.
3 Spittler Geſchichte der Fundamentalgeſetze der deutſch-ka-
tholiſchen Kirche (Werke VIII, p. 501) verſichert, daß die beiden Ac-
tenſtuͤcke, die Gravamina, die man als wirklich abgeſchloſſen betrach-
tete, und die Concordata auf der Tafel des kaiſerl. Hofraths zum taͤg-
chen Gebrauch gelegen.
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[293/0309] Verhandlungen der Majoritaͤt. des Reichstags war, die Irrungen zwiſchen geiſtlichen und weltlichen Ständen, die in den letzten Jahren ſo viel Lär- men gemacht, beizulegen. Die geiſtlichen Stände waren früher ſehr lebhaft angeklagt worden, jetzt gaben auch ſie ihre Beſchwerden ein. Früher würde das die heftigſten Streitigkeiten veranlaßt haben: jetzt, da die gegenſeitigen Animoſitäten einer andern gemeinſchaftlichen Antipathie ge- wichen waren, ward ein Ausſchuß aus beiden Theilen nie- dergeſetzt und wirklich ein Vergleich zu Stande gebracht, den der Kaiſer als Conſtitution in das Reich zu verkün- digen Willens war. 1 Auch die hundert Gravamina wurden hiebei wieder in Erinnerung gebracht. Die weltlichen Fürſten, gewohnt auf ihre Beſchlüſſe zu beſtehn, überreichten ſie aufs neue. Da der päpſtliche Legat zu keiner Unterhandlung darüber ermächtigt war, ſo übernahm der Kaiſer ſie durch ſeinen Geſandten in Rom in Anregung zu bringen. 2 Es ſcheint faſt, als habe man die Abſchaffung der Be- ſchwerden ſpäter als bewilligt angeſehen, als habe ſelbſt jene Conſtitution eine gewiſſe Autorität gehabt. 3 Allein wie ſehr verſchwanden jetzt dieſe Intereſſen vor den bei weitem mächtigern der Reform. 1 Concordata der geiſtlichen und weltlichen Beſchwerung, con- ſtitutionsweis zuſammengezogen bei Bucholz III, 636. 2 In Adrians Catalogus codicum bibl. Giessensis wird nr. 296 (p. 93) angefuͤhrt: consultatio et deliberatio consiliariorum deputatorum super gravaminibus quae nationi Germanicae per se- dem ap. inferuntur, die hieher gehoͤren wird. 3 Spittler Geſchichte der Fundamentalgeſetze der deutſch-ka- tholiſchen Kirche (Werke VIII, p. 501) verſichert, daß die beiden Ac- tenſtuͤcke, die Gravamina, die man als wirklich abgeſchloſſen betrach- tete, und die Concordata auf der Tafel des kaiſerl. Hofraths zum taͤg- chen Gebrauch gelegen.

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840, S. 293. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation03_1840/309>, abgerufen am 17.05.2024.