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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840.

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Rückblick.

Ebendarum aber ließ sich auch eine Einrichtung der-
jenigen Landschaften, wo die Neuerung durchgedrungen, im
Sinne derselben nicht länger verhindern. Konnte doch der Kai-
ser selbst des Beistandes dieser Ideen nicht entbehren. Bei dem
Versuch die Rechte des Reichs in Italien herzustellen, die er
Anfangs im Einverständniß mit der päpstlichen Gewalt un-
ternommen, gerieth er, wie wir in unserm vierten Buche er-
örterten, allmählig in die bittersten Irrungen mit derselben,
in denen er bei der Geringfügigkeit der Mittel, die er an-
wenden konnte, nie etwas ausgerichtet haben würde, wäre
ihm nicht jene populare Entrüstung wider das Papstthum,
die von Jahr zu Jahr noch gewachsen, zu Hülfe gekommen.
Um sie aber zu benutzen, mußte er ihr Zugeständnisse machen.
Es war ein feierlicher Reichstagsschluß, wodurch den Fürsten
und Ständen in ihren Gebieten eine fast unbedingte religiöse
Autonomie gewährt wurde. Hierauf ging alles Hand in Hand.
Während ein deutsches Heer in Italien vordrang, Rom er-
oberte, den Papst daselbst zum Gefangenen machte, richtete
sich diesseit der Alpen eine große Anzahl fürstlicher und städti-
scher Gebiete nach den Grundsätzen Luthers ein; sie sagten
sich auf immer von den römischen Satzungen los und grün-
deten ihre eigenen kirchlichen Organisationen.

Auf diese Weise geschah, daß der Kreis jener Hierar-
chien, welche die Welt umfaßten, durchbrochen, in der kraft-
vollsten und entwickeltsten derselben eine neue Bildung ver-
sucht ward, deren Sinn es war, die religiöse Ueberzeugung
aus den reinsten und ersten Quellen zu schöpfen und das
bürgerliche Leben von dem Uebergewicht einengender, eine
bevorzugte Frömmigkeit vorgebender geistlichen Institute zu

Ruͤckblick.

Ebendarum aber ließ ſich auch eine Einrichtung der-
jenigen Landſchaften, wo die Neuerung durchgedrungen, im
Sinne derſelben nicht länger verhindern. Konnte doch der Kai-
ſer ſelbſt des Beiſtandes dieſer Ideen nicht entbehren. Bei dem
Verſuch die Rechte des Reichs in Italien herzuſtellen, die er
Anfangs im Einverſtändniß mit der päpſtlichen Gewalt un-
ternommen, gerieth er, wie wir in unſerm vierten Buche er-
örterten, allmählig in die bitterſten Irrungen mit derſelben,
in denen er bei der Geringfügigkeit der Mittel, die er an-
wenden konnte, nie etwas ausgerichtet haben würde, wäre
ihm nicht jene populare Entrüſtung wider das Papſtthum,
die von Jahr zu Jahr noch gewachſen, zu Hülfe gekommen.
Um ſie aber zu benutzen, mußte er ihr Zugeſtändniſſe machen.
Es war ein feierlicher Reichstagsſchluß, wodurch den Fürſten
und Ständen in ihren Gebieten eine faſt unbedingte religiöſe
Autonomie gewährt wurde. Hierauf ging alles Hand in Hand.
Während ein deutſches Heer in Italien vordrang, Rom er-
oberte, den Papſt daſelbſt zum Gefangenen machte, richtete
ſich dieſſeit der Alpen eine große Anzahl fürſtlicher und ſtädti-
ſcher Gebiete nach den Grundſätzen Luthers ein; ſie ſagten
ſich auf immer von den römiſchen Satzungen los und grün-
deten ihre eigenen kirchlichen Organiſationen.

Auf dieſe Weiſe geſchah, daß der Kreis jener Hierar-
chien, welche die Welt umfaßten, durchbrochen, in der kraft-
vollſten und entwickeltſten derſelben eine neue Bildung ver-
ſucht ward, deren Sinn es war, die religiöſe Ueberzeugung
aus den reinſten und erſten Quellen zu ſchöpfen und das
bürgerliche Leben von dem Uebergewicht einengender, eine
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[7/0023] Ruͤckblick. Ebendarum aber ließ ſich auch eine Einrichtung der- jenigen Landſchaften, wo die Neuerung durchgedrungen, im Sinne derſelben nicht länger verhindern. Konnte doch der Kai- ſer ſelbſt des Beiſtandes dieſer Ideen nicht entbehren. Bei dem Verſuch die Rechte des Reichs in Italien herzuſtellen, die er Anfangs im Einverſtändniß mit der päpſtlichen Gewalt un- ternommen, gerieth er, wie wir in unſerm vierten Buche er- örterten, allmählig in die bitterſten Irrungen mit derſelben, in denen er bei der Geringfügigkeit der Mittel, die er an- wenden konnte, nie etwas ausgerichtet haben würde, wäre ihm nicht jene populare Entrüſtung wider das Papſtthum, die von Jahr zu Jahr noch gewachſen, zu Hülfe gekommen. Um ſie aber zu benutzen, mußte er ihr Zugeſtändniſſe machen. Es war ein feierlicher Reichstagsſchluß, wodurch den Fürſten und Ständen in ihren Gebieten eine faſt unbedingte religiöſe Autonomie gewährt wurde. Hierauf ging alles Hand in Hand. Während ein deutſches Heer in Italien vordrang, Rom er- oberte, den Papſt daſelbſt zum Gefangenen machte, richtete ſich dieſſeit der Alpen eine große Anzahl fürſtlicher und ſtädti- ſcher Gebiete nach den Grundſätzen Luthers ein; ſie ſagten ſich auf immer von den römiſchen Satzungen los und grün- deten ihre eigenen kirchlichen Organiſationen. Auf dieſe Weiſe geſchah, daß der Kreis jener Hierar- chien, welche die Welt umfaßten, durchbrochen, in der kraft- vollſten und entwickeltſten derſelben eine neue Bildung ver- ſucht ward, deren Sinn es war, die religiöſe Ueberzeugung aus den reinſten und erſten Quellen zu ſchöpfen und das bürgerliche Leben von dem Uebergewicht einengender, eine bevorzugte Frömmigkeit vorgebender geiſtlichen Inſtitute zu

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation03_1840/23>, abgerufen am 24.11.2024.