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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840.

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Fünftes Buch. Siebentes Capitel.
Schon lernten die Bauern den streifenden Reitern Wider-
stand leisten. Suleiman entging es nicht, in welche ge-
fährliche Lage er kommen könne, wenn er hier, mitten im
feindlichen Lande, ohne feste Plätze, in der schlechten Jah-
reszeit von einem Feinde angegriffen würde, dessen Tapfer-
keit er so eben kennen gelernt. Er beschloß noch einen letz-
ten Versuch auf Wien zu machen, und wenn derselbe miß-
linge, sofort aufzubrechen. Er wählte dazu einen Tag, den
er für glücklich hielt, den Moment, wo die Sonne in das
Zeichen des Scorpions tritt, 14. October. Eben in der Mit-
tagsstunde versammelte sich ein guter Theil des Heeres im An-
gesicht der Mauern; Tschausche riefen Belohnungen aus, Mi-
nen sprangen, Breschen öffneten sich, und das Zeichen zum
Sturm ward gegeben. Allein die Leute hatten kein Vertrauen
mehr, sie mußten fast mit Gewalt herbeigetrieben werden,
wo sie dann unter das Feuer des Geschützes geriethen, und
ganze Haufen erlagen, ehe sie nur den Feind erblickt hat-
ten. Gegen Abend sah man eine Schaar aus den Wein-
gärten hervorkommen, aber sich auf der Stelle wieder zu-
rückziehn. 1

Und hierauf begann nun der volle Abzug. Die Ana-
tolier hatten jetzt die Vorhut; noch in der Nacht brach der
Sultan selbst auf; auch die Janitscharen zündeten ihr La-
ger in den Vorstädten an und eilten ihren Herrn zu beglei-
ten. Nach einigen Tagen folgte ihm Ibrahim mit dem Rest
der europäischen Truppen nach.

Es war das erste Mal, daß dem siegreichen Sultan

1 Sie haben kurz den Fuxen nicht wöllen beißen, sagt der of-
ficielle Bericht bei Hammer p. 68, der überhaupt mit der guten
Laune eines siegenden Kriegsmannes abgefaßt ist.

Fuͤnftes Buch. Siebentes Capitel.
Schon lernten die Bauern den ſtreifenden Reitern Wider-
ſtand leiſten. Suleiman entging es nicht, in welche ge-
fährliche Lage er kommen könne, wenn er hier, mitten im
feindlichen Lande, ohne feſte Plätze, in der ſchlechten Jah-
reszeit von einem Feinde angegriffen würde, deſſen Tapfer-
keit er ſo eben kennen gelernt. Er beſchloß noch einen letz-
ten Verſuch auf Wien zu machen, und wenn derſelbe miß-
linge, ſofort aufzubrechen. Er wählte dazu einen Tag, den
er für glücklich hielt, den Moment, wo die Sonne in das
Zeichen des Scorpions tritt, 14. October. Eben in der Mit-
tagsſtunde verſammelte ſich ein guter Theil des Heeres im An-
geſicht der Mauern; Tſchauſche riefen Belohnungen aus, Mi-
nen ſprangen, Breſchen öffneten ſich, und das Zeichen zum
Sturm ward gegeben. Allein die Leute hatten kein Vertrauen
mehr, ſie mußten faſt mit Gewalt herbeigetrieben werden,
wo ſie dann unter das Feuer des Geſchützes geriethen, und
ganze Haufen erlagen, ehe ſie nur den Feind erblickt hat-
ten. Gegen Abend ſah man eine Schaar aus den Wein-
gärten hervorkommen, aber ſich auf der Stelle wieder zu-
rückziehn. 1

Und hierauf begann nun der volle Abzug. Die Ana-
tolier hatten jetzt die Vorhut; noch in der Nacht brach der
Sultan ſelbſt auf; auch die Janitſcharen zündeten ihr La-
ger in den Vorſtädten an und eilten ihren Herrn zu beglei-
ten. Nach einigen Tagen folgte ihm Ibrahim mit dem Reſt
der europäiſchen Truppen nach.

Es war das erſte Mal, daß dem ſiegreichen Sultan

1 Sie haben kurz den Fuxen nicht woͤllen beißen, ſagt der of-
ficielle Bericht bei Hammer p. 68, der uͤberhaupt mit der guten
Laune eines ſiegenden Kriegsmannes abgefaßt iſt.
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[208/0224] Fuͤnftes Buch. Siebentes Capitel. Schon lernten die Bauern den ſtreifenden Reitern Wider- ſtand leiſten. Suleiman entging es nicht, in welche ge- fährliche Lage er kommen könne, wenn er hier, mitten im feindlichen Lande, ohne feſte Plätze, in der ſchlechten Jah- reszeit von einem Feinde angegriffen würde, deſſen Tapfer- keit er ſo eben kennen gelernt. Er beſchloß noch einen letz- ten Verſuch auf Wien zu machen, und wenn derſelbe miß- linge, ſofort aufzubrechen. Er wählte dazu einen Tag, den er für glücklich hielt, den Moment, wo die Sonne in das Zeichen des Scorpions tritt, 14. October. Eben in der Mit- tagsſtunde verſammelte ſich ein guter Theil des Heeres im An- geſicht der Mauern; Tſchauſche riefen Belohnungen aus, Mi- nen ſprangen, Breſchen öffneten ſich, und das Zeichen zum Sturm ward gegeben. Allein die Leute hatten kein Vertrauen mehr, ſie mußten faſt mit Gewalt herbeigetrieben werden, wo ſie dann unter das Feuer des Geſchützes geriethen, und ganze Haufen erlagen, ehe ſie nur den Feind erblickt hat- ten. Gegen Abend ſah man eine Schaar aus den Wein- gärten hervorkommen, aber ſich auf der Stelle wieder zu- rückziehn. 1 Und hierauf begann nun der volle Abzug. Die Ana- tolier hatten jetzt die Vorhut; noch in der Nacht brach der Sultan ſelbſt auf; auch die Janitſcharen zündeten ihr La- ger in den Vorſtädten an und eilten ihren Herrn zu beglei- ten. Nach einigen Tagen folgte ihm Ibrahim mit dem Reſt der europäiſchen Truppen nach. Es war das erſte Mal, daß dem ſiegreichen Sultan 1 Sie haben kurz den Fuxen nicht woͤllen beißen, ſagt der of- ficielle Bericht bei Hammer p. 68, der uͤberhaupt mit der guten Laune eines ſiegenden Kriegsmannes abgefaßt iſt.

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840, S. 208. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation03_1840/224>, abgerufen am 24.11.2024.