Ob nun aber diese Mannschaft den an Zahl so un- endlich überlegenen Feind zu bestehen vermögen würde, war doch sehr zweifelhaft.
Suleiman ließ der Besatzung ankündigen, wolle sie ihm die Stadt übergeben, so verspreche er weder selbst hinein- zukommen, noch sein Volk hineinzulassen, sondern er werde dann weiter vorrücken und den König suchen. Wo aber nicht, so wisse er doch, daß er am dritten Tage (am Mi- chaelisfest) sein Mittagsmahl in Wien halten werde; dann wolle er das Kind im Mutterleibe nicht verschonen.
In Liedern und Erzählungen finden wir, die Antwort der Besatzung sey gewesen, er möge nur zum Mahle kom- men, man werde ihm mit Karthaunen und Hallbarden an- richten. Doch ist das nicht so ganz wahr. Man hatte nicht Unbenommenheit des Geistes genug, um eine so kecke Antwort zu geben. Die Antwort, sagt ein authentischer Be- richt der Befehlshaber, ist uns in der Feder stecken geblie- ben. Man rüstete sich alles Ernstes zur Gegenwehr, aber keineswegs etwa in der Ueberzeugung, daß man siegen werde; man sah die ganze Gefahr ein, in der man sich be- fand, aber man war entschlossen sie zu bestehen. 1
Und so mußte sich denn Suleiman anschicken, die Stadt mit Gewalt zu erobern.
Zuerst stellten sich die Janitscharen mit ihren Halb- hacken und Handrohren hinter dem Gemäuer der eben zer- störten Vorstädte auf: sie schossen noch vortrefflich; eine Anzahl geübter Bogenschützen gesellte sich ihnen zu; es hätte
1 Tagebuch der Belagerung, bei Hammer p. 66, offenbar ein officieller Bericht, wie die Nachschrift und die ganze Fassung zeigt, schon am 19. October verfaßt.
Belagerung von Wien.
Ob nun aber dieſe Mannſchaft den an Zahl ſo un- endlich überlegenen Feind zu beſtehen vermögen würde, war doch ſehr zweifelhaft.
Suleiman ließ der Beſatzung ankündigen, wolle ſie ihm die Stadt übergeben, ſo verſpreche er weder ſelbſt hinein- zukommen, noch ſein Volk hineinzulaſſen, ſondern er werde dann weiter vorrücken und den König ſuchen. Wo aber nicht, ſo wiſſe er doch, daß er am dritten Tage (am Mi- chaelisfeſt) ſein Mittagsmahl in Wien halten werde; dann wolle er das Kind im Mutterleibe nicht verſchonen.
In Liedern und Erzählungen finden wir, die Antwort der Beſatzung ſey geweſen, er möge nur zum Mahle kom- men, man werde ihm mit Karthaunen und Hallbarden an- richten. Doch iſt das nicht ſo ganz wahr. Man hatte nicht Unbenommenheit des Geiſtes genug, um eine ſo kecke Antwort zu geben. Die Antwort, ſagt ein authentiſcher Be- richt der Befehlshaber, iſt uns in der Feder ſtecken geblie- ben. Man rüſtete ſich alles Ernſtes zur Gegenwehr, aber keineswegs etwa in der Ueberzeugung, daß man ſiegen werde; man ſah die ganze Gefahr ein, in der man ſich be- fand, aber man war entſchloſſen ſie zu beſtehen. 1
Und ſo mußte ſich denn Suleiman anſchicken, die Stadt mit Gewalt zu erobern.
Zuerſt ſtellten ſich die Janitſcharen mit ihren Halb- hacken und Handrohren hinter dem Gemäuer der eben zer- ſtörten Vorſtädte auf: ſie ſchoſſen noch vortrefflich; eine Anzahl geübter Bogenſchützen geſellte ſich ihnen zu; es hätte
1 Tagebuch der Belagerung, bei Hammer p. 66, offenbar ein officieller Bericht, wie die Nachſchrift und die ganze Faſſung zeigt, ſchon am 19. October verfaßt.
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Belagerung von Wien.
Ob nun aber dieſe Mannſchaft den an Zahl ſo un-
endlich überlegenen Feind zu beſtehen vermögen würde, war
doch ſehr zweifelhaft.
Suleiman ließ der Beſatzung ankündigen, wolle ſie ihm
die Stadt übergeben, ſo verſpreche er weder ſelbſt hinein-
zukommen, noch ſein Volk hineinzulaſſen, ſondern er werde
dann weiter vorrücken und den König ſuchen. Wo aber
nicht, ſo wiſſe er doch, daß er am dritten Tage (am Mi-
chaelisfeſt) ſein Mittagsmahl in Wien halten werde; dann
wolle er das Kind im Mutterleibe nicht verſchonen.
In Liedern und Erzählungen finden wir, die Antwort
der Beſatzung ſey geweſen, er möge nur zum Mahle kom-
men, man werde ihm mit Karthaunen und Hallbarden an-
richten. Doch iſt das nicht ſo ganz wahr. Man hatte
nicht Unbenommenheit des Geiſtes genug, um eine ſo kecke
Antwort zu geben. Die Antwort, ſagt ein authentiſcher Be-
richt der Befehlshaber, iſt uns in der Feder ſtecken geblie-
ben. Man rüſtete ſich alles Ernſtes zur Gegenwehr, aber
keineswegs etwa in der Ueberzeugung, daß man ſiegen
werde; man ſah die ganze Gefahr ein, in der man ſich be-
fand, aber man war entſchloſſen ſie zu beſtehen. 1
Und ſo mußte ſich denn Suleiman anſchicken, die Stadt
mit Gewalt zu erobern.
Zuerſt ſtellten ſich die Janitſcharen mit ihren Halb-
hacken und Handrohren hinter dem Gemäuer der eben zer-
ſtörten Vorſtädte auf: ſie ſchoſſen noch vortrefflich; eine
Anzahl geübter Bogenſchützen geſellte ſich ihnen zu; es hätte
1 Tagebuch der Belagerung, bei Hammer p. 66, offenbar ein
officieller Bericht, wie die Nachſchrift und die ganze Faſſung zeigt,
ſchon am 19. October verfaßt.
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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840, S. 203. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation03_1840/219>, abgerufen am 24.11.2024.
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