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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840.

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und der gewaltsamsten Handhabung derselben begriffen, so
regten sich doch auch innerhalb seines Kreises Tendenzen
der Wissenschaft, die sich dem herrschenden System der
Schulen entgegensetzten, und Bedürfnisse des religiösen Gei-
stes, welche in der Werkthätigkeit der gebotenen Dienste
keine Befriedigung fanden. Das wunderbare Geschick war,
daß eben als der Mißbrauch am ärgsten geworden, dage-
gen auch die reine Idee des Christenthums, in Folge eines
neuen Studiums der heiligen Bücher in ihrer Ursprache
auf das hellste hervorleuchtete. Alle diese Momente wirkten
zusammen. Ein Mann trat auf, der zwar nur die Rein-
heit der religiösen Idee, die ihm zu Theil geworden, auf
die er lebte und starb, zu verfechten unternahm, der aber, da
man sie ihm zu entreißen suchte, auch die andern Elemente
der Opposition an sich zog, wissenschaftliche und nationale,
und ihnen einen Ausdruck gab, der von seiner Stelle aus die
ganze Nation ergriff; niemals hat ein anderer Mensch eine
ähnliche Theilnahme bei ihr gefunden. War doch das Papst-
thum ohnehin nicht durch Verfassungsformen zu beschränken.
Wollte man der Uebergriffe desselben sich entledigen, so mußte
man den geistigen Grund bestreiten, aus dem sie hervorgingen.

Die vornehmste Frage war dann, welche Stellung die
Reichsgewalten in diesem Kampfe ergreifen würden. Der
junge Kaiser blieb dem alten System treu; da er aber
Deutschland nach kurzer Anwesenheit verließ, und jene stän-
dische Regierung nun zur Ausführung kam, welche man
früher beabsichtigt, so hing zunächst alles von der Hal-
tung ab, welche diese nehmen würde. Wir sahen in un-
serm dritten Buche, wie das Reichsregiment nach kur-

Ruͤckblick.
und der gewaltſamſten Handhabung derſelben begriffen, ſo
regten ſich doch auch innerhalb ſeines Kreiſes Tendenzen
der Wiſſenſchaft, die ſich dem herrſchenden Syſtem der
Schulen entgegenſetzten, und Bedürfniſſe des religiöſen Gei-
ſtes, welche in der Werkthätigkeit der gebotenen Dienſte
keine Befriedigung fanden. Das wunderbare Geſchick war,
daß eben als der Mißbrauch am ärgſten geworden, dage-
gen auch die reine Idee des Chriſtenthums, in Folge eines
neuen Studiums der heiligen Bücher in ihrer Urſprache
auf das hellſte hervorleuchtete. Alle dieſe Momente wirkten
zuſammen. Ein Mann trat auf, der zwar nur die Rein-
heit der religiöſen Idee, die ihm zu Theil geworden, auf
die er lebte und ſtarb, zu verfechten unternahm, der aber, da
man ſie ihm zu entreißen ſuchte, auch die andern Elemente
der Oppoſition an ſich zog, wiſſenſchaftliche und nationale,
und ihnen einen Ausdruck gab, der von ſeiner Stelle aus die
ganze Nation ergriff; niemals hat ein anderer Menſch eine
ähnliche Theilnahme bei ihr gefunden. War doch das Papſt-
thum ohnehin nicht durch Verfaſſungsformen zu beſchränken.
Wollte man der Uebergriffe deſſelben ſich entledigen, ſo mußte
man den geiſtigen Grund beſtreiten, aus dem ſie hervorgingen.

Die vornehmſte Frage war dann, welche Stellung die
Reichsgewalten in dieſem Kampfe ergreifen würden. Der
junge Kaiſer blieb dem alten Syſtem treu; da er aber
Deutſchland nach kurzer Anweſenheit verließ, und jene ſtän-
diſche Regierung nun zur Ausführung kam, welche man
früher beabſichtigt, ſo hing zunächſt alles von der Hal-
tung ab, welche dieſe nehmen würde. Wir ſahen in un-
ſerm dritten Buche, wie das Reichsregiment nach kur-

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[5/0021] Ruͤckblick. und der gewaltſamſten Handhabung derſelben begriffen, ſo regten ſich doch auch innerhalb ſeines Kreiſes Tendenzen der Wiſſenſchaft, die ſich dem herrſchenden Syſtem der Schulen entgegenſetzten, und Bedürfniſſe des religiöſen Gei- ſtes, welche in der Werkthätigkeit der gebotenen Dienſte keine Befriedigung fanden. Das wunderbare Geſchick war, daß eben als der Mißbrauch am ärgſten geworden, dage- gen auch die reine Idee des Chriſtenthums, in Folge eines neuen Studiums der heiligen Bücher in ihrer Urſprache auf das hellſte hervorleuchtete. Alle dieſe Momente wirkten zuſammen. Ein Mann trat auf, der zwar nur die Rein- heit der religiöſen Idee, die ihm zu Theil geworden, auf die er lebte und ſtarb, zu verfechten unternahm, der aber, da man ſie ihm zu entreißen ſuchte, auch die andern Elemente der Oppoſition an ſich zog, wiſſenſchaftliche und nationale, und ihnen einen Ausdruck gab, der von ſeiner Stelle aus die ganze Nation ergriff; niemals hat ein anderer Menſch eine ähnliche Theilnahme bei ihr gefunden. War doch das Papſt- thum ohnehin nicht durch Verfaſſungsformen zu beſchränken. Wollte man der Uebergriffe deſſelben ſich entledigen, ſo mußte man den geiſtigen Grund beſtreiten, aus dem ſie hervorgingen. Die vornehmſte Frage war dann, welche Stellung die Reichsgewalten in dieſem Kampfe ergreifen würden. Der junge Kaiſer blieb dem alten Syſtem treu; da er aber Deutſchland nach kurzer Anweſenheit verließ, und jene ſtän- diſche Regierung nun zur Ausführung kam, welche man früher beabſichtigt, ſo hing zunächſt alles von der Hal- tung ab, welche dieſe nehmen würde. Wir ſahen in un- ſerm dritten Buche, wie das Reichsregiment nach kur-

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation03_1840/21>, abgerufen am 21.11.2024.