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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840.

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Fünftes Buch. Sechstes Capitel.

Ganz eine andre Meinung aber stellte Luther auf, als
er zurückgekehrt. Er fand, daß den Rechtssprüchen, welche
den Widerstand gut heißen, andere entgegenstehen, welche
ihn verbieten; mit diesen aber stimme die Schrift überein.
Wolle man sich gegen einen Fürsten auflehnen, der wider
Gottes Wort handle, so werde man sich am Ende heraus-
nehmen, nach eignem Ermessen alle Obrigkeit zu verwerfen.

In demselben Sinne erklärten sich auch die Theologen
von Nürnberg. Johann Brenz gab dem Markgrafen ein
ebendahin zielendes Gutachten.

Es waren im Grunde die beiden Lehren vom leiden-
den Gehorsam und vom Rechte des Widerstandes, welche
hier einander entgegentraten.

Man weiß, wie viel diese Lehren und zwar eben in
ihrer Verbindung mit geistlichen Gesichtspunkten zur Ent-
wickelung der politischen Theorien in Europa beigetragen ha-
ben; sehr merkwürdig, daß sie so früh und zunächst in
Deutschland zur Sprache kamen.

Doch konnten sie hier nicht zu ihrer völligen Ausbil-
dung gelangen. Die Frage, von der anderwärts alles aus-
gegangen ist, betrifft ganz im Allgemeinen das Verhält-
niß von Fürst und Unterthan. Diese konnte hier gar nicht
erhoben werden. Hier bewegte sich die Differenz in an-
dern Kreisen; es war ein Streit zwischen einer tiefer ge-
stellten Regierung und einer höheren, zwischen den Reichs-
fürsten und dem Kaiser.

In Deutschland hatte die Frage mehr einen reichs-
rechtlichen als einen allgemeinen staatsrechtlichen Inhalt.
Sie lag eigentlich darin, ob die höchste Gewalt im Reiche
monarchischer oder aristokratischer Natur sey.


Fuͤnftes Buch. Sechstes Capitel.

Ganz eine andre Meinung aber ſtellte Luther auf, als
er zurückgekehrt. Er fand, daß den Rechtsſprüchen, welche
den Widerſtand gut heißen, andere entgegenſtehen, welche
ihn verbieten; mit dieſen aber ſtimme die Schrift überein.
Wolle man ſich gegen einen Fürſten auflehnen, der wider
Gottes Wort handle, ſo werde man ſich am Ende heraus-
nehmen, nach eignem Ermeſſen alle Obrigkeit zu verwerfen.

In demſelben Sinne erklärten ſich auch die Theologen
von Nürnberg. Johann Brenz gab dem Markgrafen ein
ebendahin zielendes Gutachten.

Es waren im Grunde die beiden Lehren vom leiden-
den Gehorſam und vom Rechte des Widerſtandes, welche
hier einander entgegentraten.

Man weiß, wie viel dieſe Lehren und zwar eben in
ihrer Verbindung mit geiſtlichen Geſichtspunkten zur Ent-
wickelung der politiſchen Theorien in Europa beigetragen ha-
ben; ſehr merkwürdig, daß ſie ſo früh und zunächſt in
Deutſchland zur Sprache kamen.

Doch konnten ſie hier nicht zu ihrer völligen Ausbil-
dung gelangen. Die Frage, von der anderwärts alles aus-
gegangen iſt, betrifft ganz im Allgemeinen das Verhält-
niß von Fürſt und Unterthan. Dieſe konnte hier gar nicht
erhoben werden. Hier bewegte ſich die Differenz in an-
dern Kreiſen; es war ein Streit zwiſchen einer tiefer ge-
ſtellten Regierung und einer höheren, zwiſchen den Reichs-
fürſten und dem Kaiſer.

In Deutſchland hatte die Frage mehr einen reichs-
rechtlichen als einen allgemeinen ſtaatsrechtlichen Inhalt.
Sie lag eigentlich darin, ob die höchſte Gewalt im Reiche
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[182/0198] Fuͤnftes Buch. Sechstes Capitel. Ganz eine andre Meinung aber ſtellte Luther auf, als er zurückgekehrt. Er fand, daß den Rechtsſprüchen, welche den Widerſtand gut heißen, andere entgegenſtehen, welche ihn verbieten; mit dieſen aber ſtimme die Schrift überein. Wolle man ſich gegen einen Fürſten auflehnen, der wider Gottes Wort handle, ſo werde man ſich am Ende heraus- nehmen, nach eignem Ermeſſen alle Obrigkeit zu verwerfen. In demſelben Sinne erklärten ſich auch die Theologen von Nürnberg. Johann Brenz gab dem Markgrafen ein ebendahin zielendes Gutachten. Es waren im Grunde die beiden Lehren vom leiden- den Gehorſam und vom Rechte des Widerſtandes, welche hier einander entgegentraten. Man weiß, wie viel dieſe Lehren und zwar eben in ihrer Verbindung mit geiſtlichen Geſichtspunkten zur Ent- wickelung der politiſchen Theorien in Europa beigetragen ha- ben; ſehr merkwürdig, daß ſie ſo früh und zunächſt in Deutſchland zur Sprache kamen. Doch konnten ſie hier nicht zu ihrer völligen Ausbil- dung gelangen. Die Frage, von der anderwärts alles aus- gegangen iſt, betrifft ganz im Allgemeinen das Verhält- niß von Fürſt und Unterthan. Dieſe konnte hier gar nicht erhoben werden. Hier bewegte ſich die Differenz in an- dern Kreiſen; es war ein Streit zwiſchen einer tiefer ge- ſtellten Regierung und einer höheren, zwiſchen den Reichs- fürſten und dem Kaiſer. In Deutſchland hatte die Frage mehr einen reichs- rechtlichen als einen allgemeinen ſtaatsrechtlichen Inhalt. Sie lag eigentlich darin, ob die höchſte Gewalt im Reiche monarchiſcher oder ariſtokratiſcher Natur ſey.

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840, S. 182. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation03_1840/198>, abgerufen am 24.11.2024.