seiner Stadt, wenn er seine Absicht kund gethan hätte, zu- rückgehalten zu werden; man hätte ihn schwerlich auf eine so weite Reise durch so manches zweifelhafte oder feindse- lige Gebiet ziehen lassen; nur im Einverständniß mit eini- gen Mitgliedern des geheimen Raths, ohne daß er auch nur seiner Frau seine Absicht mitgetheilt hätte, ehe er auch nur einmal ein hessisches sicheres Geleit erhalten, machte er sich auf den Weg. Dagegen hätte Melanchthon lieber gesehen, sein Fürst hätte ihnen die Reise verboten. Luther erklärte unaufhörlich, die Zusammenkunft werde zu nichts helfen. Als Luther an der Werra angekommen, wäre er nicht zu bewegen gewesen, weiter zu gehn, ehe er nicht das sichere Geleit des Landgrafen in aller Form in Em- pfang genommen hatte. 1
Die Schweizer waren erfüllt von großen Hoffnungen; wußten sie doch, daß der Fürst, bei dem sie mit ihren Geg- nern zusammentreffen sollten, politisch ohne Frage, und bei- nahe auch religiös auf ihrer Seite war. Die Wittenberger fühlten wohl, daß sie sich im Widerspruch mit den Wünschen Philipps befanden; sie waren entschlossen, nicht zu weichen, sondern ihre Stelle um jeden Preis zu behaupten.
So kam man in sehr entgegengesetzter Stimmung zu- sammen. Denn das ist nun einmal die Natur des Men- schen, daß er in alle seinem Thun unter den Einflüssen des Momentes zu Werke geht.
Erhob man sich aber einmal darüber, so hatte die Versammlung etwas Erhabenes, Weltbedeutendes.
1 Nach Bullinger, der für dieses Gespräch überhaupt sehr merk- würdig ist, p. 214 bemerkte der Landgraf selbst diesen Unterschied.
Fuͤnftes Buch. Sechstes Capitel.
ſeiner Stadt, wenn er ſeine Abſicht kund gethan hätte, zu- rückgehalten zu werden; man hätte ihn ſchwerlich auf eine ſo weite Reiſe durch ſo manches zweifelhafte oder feindſe- lige Gebiet ziehen laſſen; nur im Einverſtändniß mit eini- gen Mitgliedern des geheimen Raths, ohne daß er auch nur ſeiner Frau ſeine Abſicht mitgetheilt hätte, ehe er auch nur einmal ein heſſiſches ſicheres Geleit erhalten, machte er ſich auf den Weg. Dagegen hätte Melanchthon lieber geſehen, ſein Fürſt hätte ihnen die Reiſe verboten. Luther erklärte unaufhörlich, die Zuſammenkunft werde zu nichts helfen. Als Luther an der Werra angekommen, wäre er nicht zu bewegen geweſen, weiter zu gehn, ehe er nicht das ſichere Geleit des Landgrafen in aller Form in Em- pfang genommen hatte. 1
Die Schweizer waren erfüllt von großen Hoffnungen; wußten ſie doch, daß der Fürſt, bei dem ſie mit ihren Geg- nern zuſammentreffen ſollten, politiſch ohne Frage, und bei- nahe auch religiös auf ihrer Seite war. Die Wittenberger fühlten wohl, daß ſie ſich im Widerſpruch mit den Wünſchen Philipps befanden; ſie waren entſchloſſen, nicht zu weichen, ſondern ihre Stelle um jeden Preis zu behaupten.
So kam man in ſehr entgegengeſetzter Stimmung zu- ſammen. Denn das iſt nun einmal die Natur des Men- ſchen, daß er in alle ſeinem Thun unter den Einflüſſen des Momentes zu Werke geht.
Erhob man ſich aber einmal darüber, ſo hatte die Verſammlung etwas Erhabenes, Weltbedeutendes.
1 Nach Bullinger, der fuͤr dieſes Geſpraͤch uͤberhaupt ſehr merk- wuͤrdig iſt, p. 214 bemerkte der Landgraf ſelbſt dieſen Unterſchied.
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Fuͤnftes Buch. Sechstes Capitel.
ſeiner Stadt, wenn er ſeine Abſicht kund gethan hätte, zu-
rückgehalten zu werden; man hätte ihn ſchwerlich auf eine
ſo weite Reiſe durch ſo manches zweifelhafte oder feindſe-
lige Gebiet ziehen laſſen; nur im Einverſtändniß mit eini-
gen Mitgliedern des geheimen Raths, ohne daß er auch
nur ſeiner Frau ſeine Abſicht mitgetheilt hätte, ehe er auch
nur einmal ein heſſiſches ſicheres Geleit erhalten, machte
er ſich auf den Weg. Dagegen hätte Melanchthon lieber
geſehen, ſein Fürſt hätte ihnen die Reiſe verboten. Luther
erklärte unaufhörlich, die Zuſammenkunft werde zu nichts
helfen. Als Luther an der Werra angekommen, wäre er
nicht zu bewegen geweſen, weiter zu gehn, ehe er nicht
das ſichere Geleit des Landgrafen in aller Form in Em-
pfang genommen hatte. 1
Die Schweizer waren erfüllt von großen Hoffnungen;
wußten ſie doch, daß der Fürſt, bei dem ſie mit ihren Geg-
nern zuſammentreffen ſollten, politiſch ohne Frage, und bei-
nahe auch religiös auf ihrer Seite war. Die Wittenberger
fühlten wohl, daß ſie ſich im Widerſpruch mit den Wünſchen
Philipps befanden; ſie waren entſchloſſen, nicht zu weichen,
ſondern ihre Stelle um jeden Preis zu behaupten.
So kam man in ſehr entgegengeſetzter Stimmung zu-
ſammen. Denn das iſt nun einmal die Natur des Men-
ſchen, daß er in alle ſeinem Thun unter den Einflüſſen des
Momentes zu Werke geht.
Erhob man ſich aber einmal darüber, ſo hatte die
Verſammlung etwas Erhabenes, Weltbedeutendes.
1 Nach Bullinger, der fuͤr dieſes Geſpraͤch uͤberhaupt ſehr merk-
wuͤrdig iſt, p. 214 bemerkte der Landgraf ſelbſt dieſen Unterſchied.
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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840, S. 170. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation03_1840/186>, abgerufen am 23.07.2024.
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