Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840.

Bild:
<< vorherige Seite
Theologische Bedenklichkeiten.

Indem man sie faßte, hatte man die Entzweiung aus
den Augen gesetzt, welche zwischen den beiden Bekenntnissen
obwaltete, deren Anhänger man hier zu vereinigen gedachte.
Das war wohl in Speier möglich, beim Anblick einer plötz-
lich aufsteigenden unerwarteten Gefahr: den Feinden gegen-
über fühlte man seine Gemeinschaft und die Nothwendig-
keit sich politisch zusammenzuhalten. Aber so wie man
wieder allein war, jener Eindruck wieder verlosch, mußte
auch die alte Stimmung wieder aufsteigen.

Der Charakter des Jahrhunderts ist eben, daß indem
man sich von der Herrschaft der Geistlichkeit zu emancipi-
ren sucht, doch das theologische Element, durch dessen Ener-
gie dieß geschieht, hinwieder sich von keiner politischen Be-
trachtung beseitigen läßt.

Man hatte in Speier den Theologen anfangs das
neue Bündniß verborgen gehalten, und als man es ihnen
dann mittheilte, sie vermocht, es sich gefallen zu lassen

Aber sie waren auch die ersten, in denen nun Scru-
pel aufstiegen. Melanchthon, ein Mensch, der jede Schwie-
rigkeit, auf die er stieß, innerlich durcharbeitete, und sich da-
bei keine Pein ersparte, kam schon ohne die gewohnte Hei-
terkeit nach Hause. Er bildete sich ein, wenn man nur die
Anhänger Zwingli's hätte fallen lassen, so würde sich die Ma-
jorität wohl nachgiebiger gezeigt haben; er gab es sich selber
Schuld, daß dieß nicht geschehen sey, denn seine Pflicht wäre
gewesen darauf zu dringen. Er erschrak bei dem Gedan-
ken, daß eine Veränderung des Reiches und der Religion
daraus hervorgehn könne. In Wittenberg sprach er mit
Luther und man kann denken, wie der die Sache aufnahm.

Theologiſche Bedenklichkeiten.

Indem man ſie faßte, hatte man die Entzweiung aus
den Augen geſetzt, welche zwiſchen den beiden Bekenntniſſen
obwaltete, deren Anhänger man hier zu vereinigen gedachte.
Das war wohl in Speier möglich, beim Anblick einer plötz-
lich aufſteigenden unerwarteten Gefahr: den Feinden gegen-
über fühlte man ſeine Gemeinſchaft und die Nothwendig-
keit ſich politiſch zuſammenzuhalten. Aber ſo wie man
wieder allein war, jener Eindruck wieder verloſch, mußte
auch die alte Stimmung wieder aufſteigen.

Der Charakter des Jahrhunderts iſt eben, daß indem
man ſich von der Herrſchaft der Geiſtlichkeit zu emancipi-
ren ſucht, doch das theologiſche Element, durch deſſen Ener-
gie dieß geſchieht, hinwieder ſich von keiner politiſchen Be-
trachtung beſeitigen läßt.

Man hatte in Speier den Theologen anfangs das
neue Bündniß verborgen gehalten, und als man es ihnen
dann mittheilte, ſie vermocht, es ſich gefallen zu laſſen

Aber ſie waren auch die erſten, in denen nun Scru-
pel aufſtiegen. Melanchthon, ein Menſch, der jede Schwie-
rigkeit, auf die er ſtieß, innerlich durcharbeitete, und ſich da-
bei keine Pein erſparte, kam ſchon ohne die gewohnte Hei-
terkeit nach Hauſe. Er bildete ſich ein, wenn man nur die
Anhänger Zwingli’s hätte fallen laſſen, ſo würde ſich die Ma-
jorität wohl nachgiebiger gezeigt haben; er gab es ſich ſelber
Schuld, daß dieß nicht geſchehen ſey, denn ſeine Pflicht wäre
geweſen darauf zu dringen. Er erſchrak bei dem Gedan-
ken, daß eine Veränderung des Reiches und der Religion
daraus hervorgehn könne. In Wittenberg ſprach er mit
Luther und man kann denken, wie der die Sache aufnahm.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0181" n="165"/>
          <fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Theologi&#x017F;che Bedenklichkeiten</hi>.</fw><lb/>
          <p>Indem man &#x017F;ie faßte, hatte man die Entzweiung aus<lb/>
den Augen ge&#x017F;etzt, welche zwi&#x017F;chen den beiden Bekenntni&#x017F;&#x017F;en<lb/>
obwaltete, deren Anhänger man hier zu vereinigen gedachte.<lb/>
Das war wohl in Speier möglich, beim Anblick einer plötz-<lb/>
lich auf&#x017F;teigenden unerwarteten Gefahr: den Feinden gegen-<lb/>
über fühlte man &#x017F;eine Gemein&#x017F;chaft und die Nothwendig-<lb/>
keit &#x017F;ich politi&#x017F;ch zu&#x017F;ammenzuhalten. Aber &#x017F;o wie man<lb/>
wieder allein war, jener Eindruck wieder verlo&#x017F;ch, mußte<lb/>
auch die alte Stimmung wieder auf&#x017F;teigen.</p><lb/>
          <p>Der Charakter des Jahrhunderts i&#x017F;t eben, daß indem<lb/>
man &#x017F;ich von der Herr&#x017F;chaft der Gei&#x017F;tlichkeit zu emancipi-<lb/>
ren &#x017F;ucht, doch das theologi&#x017F;che Element, durch de&#x017F;&#x017F;en Ener-<lb/>
gie dieß ge&#x017F;chieht, hinwieder &#x017F;ich von keiner politi&#x017F;chen Be-<lb/>
trachtung be&#x017F;eitigen läßt.</p><lb/>
          <p>Man hatte in Speier den Theologen anfangs das<lb/>
neue Bündniß verborgen gehalten, und als man es ihnen<lb/>
dann mittheilte, &#x017F;ie vermocht, es &#x017F;ich gefallen zu la&#x017F;&#x017F;en</p><lb/>
          <p>Aber &#x017F;ie waren auch die er&#x017F;ten, in denen nun Scru-<lb/>
pel auf&#x017F;tiegen. Melanchthon, ein Men&#x017F;ch, der jede Schwie-<lb/>
rigkeit, auf die er &#x017F;tieß, innerlich durcharbeitete, und &#x017F;ich da-<lb/>
bei keine Pein er&#x017F;parte, kam &#x017F;chon ohne die gewohnte Hei-<lb/>
terkeit nach Hau&#x017F;e. Er bildete &#x017F;ich ein, wenn man nur die<lb/>
Anhänger Zwingli&#x2019;s hätte fallen la&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;o würde &#x017F;ich die Ma-<lb/>
jorität wohl nachgiebiger gezeigt haben; er gab es &#x017F;ich &#x017F;elber<lb/>
Schuld, daß dieß nicht ge&#x017F;chehen &#x017F;ey, denn &#x017F;eine Pflicht wäre<lb/>
gewe&#x017F;en darauf zu dringen. Er er&#x017F;chrak bei dem Gedan-<lb/>
ken, daß eine Veränderung des Reiches und der Religion<lb/>
daraus hervorgehn könne. In Wittenberg &#x017F;prach er mit<lb/>
Luther und man kann denken, wie der die Sache aufnahm.<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[165/0181] Theologiſche Bedenklichkeiten. Indem man ſie faßte, hatte man die Entzweiung aus den Augen geſetzt, welche zwiſchen den beiden Bekenntniſſen obwaltete, deren Anhänger man hier zu vereinigen gedachte. Das war wohl in Speier möglich, beim Anblick einer plötz- lich aufſteigenden unerwarteten Gefahr: den Feinden gegen- über fühlte man ſeine Gemeinſchaft und die Nothwendig- keit ſich politiſch zuſammenzuhalten. Aber ſo wie man wieder allein war, jener Eindruck wieder verloſch, mußte auch die alte Stimmung wieder aufſteigen. Der Charakter des Jahrhunderts iſt eben, daß indem man ſich von der Herrſchaft der Geiſtlichkeit zu emancipi- ren ſucht, doch das theologiſche Element, durch deſſen Ener- gie dieß geſchieht, hinwieder ſich von keiner politiſchen Be- trachtung beſeitigen läßt. Man hatte in Speier den Theologen anfangs das neue Bündniß verborgen gehalten, und als man es ihnen dann mittheilte, ſie vermocht, es ſich gefallen zu laſſen Aber ſie waren auch die erſten, in denen nun Scru- pel aufſtiegen. Melanchthon, ein Menſch, der jede Schwie- rigkeit, auf die er ſtieß, innerlich durcharbeitete, und ſich da- bei keine Pein erſparte, kam ſchon ohne die gewohnte Hei- terkeit nach Hauſe. Er bildete ſich ein, wenn man nur die Anhänger Zwingli’s hätte fallen laſſen, ſo würde ſich die Ma- jorität wohl nachgiebiger gezeigt haben; er gab es ſich ſelber Schuld, daß dieß nicht geſchehen ſey, denn ſeine Pflicht wäre geweſen darauf zu dringen. Er erſchrak bei dem Gedan- ken, daß eine Veränderung des Reiches und der Religion daraus hervorgehn könne. In Wittenberg ſprach er mit Luther und man kann denken, wie der die Sache aufnahm.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation03_1840
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation03_1840/181
Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840, S. 165. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation03_1840/181>, abgerufen am 04.05.2024.