Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840.Fünftes Buch. Viertes Capitel. daß er die Worte der Septuaginta, ja sogar den griechi-schen Text des neuen Testamentes nach der Vulgata abge- ändert hat; eine dogmatische Hauptbeweisstelle, die sich in keiner Handschrift finden will, hat er wohl geradezu nur der Vulgata zu Ehren aufgenommen. 1 Denn an dem re- cipirten Systeme der lateinischen Kirche hätte man hier auch nicht die mindeste Aenderung verstattet. Es ist sehr merk- würdig, daß die Scholastik eben in unserer Epoche, als sie in dem übrigen Europa verfiel, in Spanien erst emporkam. Neben einander, zu Salamanca, trugen Alfonso von Cor- dova die nominalistischen, Francisco von Vittoria die rea- listischen Doctrinen, als etwas Neues, hier zu Lande erst durchzusetzendes vor; sie wollten die hohe Schule von Pa- ris den Spaniern entbehrlich machen. Namentlich hatte Franz Vittoria den größten Erfolg; den philosophisch-prak- tischen, moralischen Disciplinen gab er eine neue Ausbildung; Bellarmin nennt ihn den glücklichen Vater trefflicher Mei- ster; die vornehmsten spanischen Theologen sind aus seiner Schule hervorgegangen. Es ist ungefähr, wie ein großer Theil des allgemeinen Romanzenbuches seinen Ursprung erst dem sechszehnten Jahrhundert verdankt In Staat und Li- 2 velut inter Synagogam et orientalem ecclesiam posuimus: duos hinc et inde latrones medium autem Jesum h. e. Romanam sive latinam ecclesiam collocantes. 1 Semlers genauere Untersuchung der schlechten Beschaffenheit des zu Alcala gedruckten griech. n. Testamentes 1766. Bei der Doxo- logie Matth. 6 ließen sie weg, was, wie sie meinten, obwohl es schon Chrysostomus gelesen, doch wohl schon damals ex corruptis origina- libus hinzugekommen p. 117. Jene Stelle ist bekanntlich 1 Joh. 5, 7. Sie folgten darin der Kritik des St. Thomas. Noch Salmeron sagt: videtur plus fidei tribuendum latinis codicibus quam graecis. 2 Nic. Antonii Bibliotheca Hisp. N. I. s. v. Franciscus.
Fuͤnftes Buch. Viertes Capitel. daß er die Worte der Septuaginta, ja ſogar den griechi-ſchen Text des neuen Teſtamentes nach der Vulgata abge- ändert hat; eine dogmatiſche Hauptbeweisſtelle, die ſich in keiner Handſchrift finden will, hat er wohl geradezu nur der Vulgata zu Ehren aufgenommen. 1 Denn an dem re- cipirten Syſteme der lateiniſchen Kirche hätte man hier auch nicht die mindeſte Aenderung verſtattet. Es iſt ſehr merk- würdig, daß die Scholaſtik eben in unſerer Epoche, als ſie in dem übrigen Europa verfiel, in Spanien erſt emporkam. Neben einander, zu Salamanca, trugen Alfonſo von Cor- dova die nominaliſtiſchen, Francisco von Vittoria die rea- liſtiſchen Doctrinen, als etwas Neues, hier zu Lande erſt durchzuſetzendes vor; ſie wollten die hohe Schule von Pa- ris den Spaniern entbehrlich machen. Namentlich hatte Franz Vittoria den größten Erfolg; den philoſophiſch-prak- tiſchen, moraliſchen Disciplinen gab er eine neue Ausbildung; Bellarmin nennt ihn den glücklichen Vater trefflicher Mei- ſter; die vornehmſten ſpaniſchen Theologen ſind aus ſeiner Schule hervorgegangen. Es iſt ungefähr, wie ein großer Theil des allgemeinen Romanzenbuches ſeinen Urſprung erſt dem ſechszehnten Jahrhundert verdankt In Staat und Li- 2 velut inter Synagogam et orientalem ecclesiam posuimus: duos hinc et inde latrones medium autem Jesum h. e. Romanam sive latinam ecclesiam collocantes. 1 Semlers genauere Unterſuchung der ſchlechten Beſchaffenheit des zu Alcala gedruckten griech. n. Teſtamentes 1766. Bei der Doxo- logie Matth. 6 ließen ſie weg, was, wie ſie meinten, obwohl es ſchon Chryſoſtomus geleſen, doch wohl ſchon damals ex corruptis origina- libus hinzugekommen p. 117. Jene Stelle iſt bekanntlich 1 Joh. 5, 7. Sie folgten darin der Kritik des St. Thomas. Noch Salmeron ſagt: videtur plus fidei tribuendum latinis codicibus quam graecis. 2 Nic. Antonii Bibliotheca Hisp. N. I. s. v. Franciscus.
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Fuͤnftes Buch. Viertes Capitel.
daß er die Worte der Septuaginta, ja ſogar den griechi-
ſchen Text des neuen Teſtamentes nach der Vulgata abge-
ändert hat; eine dogmatiſche Hauptbeweisſtelle, die ſich in
keiner Handſchrift finden will, hat er wohl geradezu nur
der Vulgata zu Ehren aufgenommen. 1 Denn an dem re-
cipirten Syſteme der lateiniſchen Kirche hätte man hier auch
nicht die mindeſte Aenderung verſtattet. Es iſt ſehr merk-
würdig, daß die Scholaſtik eben in unſerer Epoche, als ſie
in dem übrigen Europa verfiel, in Spanien erſt emporkam.
Neben einander, zu Salamanca, trugen Alfonſo von Cor-
dova die nominaliſtiſchen, Francisco von Vittoria die rea-
liſtiſchen Doctrinen, als etwas Neues, hier zu Lande erſt
durchzuſetzendes vor; ſie wollten die hohe Schule von Pa-
ris den Spaniern entbehrlich machen. Namentlich hatte
Franz Vittoria den größten Erfolg; den philoſophiſch-prak-
tiſchen, moraliſchen Disciplinen gab er eine neue Ausbildung;
Bellarmin nennt ihn den glücklichen Vater trefflicher Mei-
ſter; die vornehmſten ſpaniſchen Theologen ſind aus ſeiner
Schule hervorgegangen. Es iſt ungefähr, wie ein großer
Theil des allgemeinen Romanzenbuches ſeinen Urſprung erſt
dem ſechszehnten Jahrhundert verdankt In Staat und Li-
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1 Semlers genauere Unterſuchung der ſchlechten Beſchaffenheit
des zu Alcala gedruckten griech. n. Teſtamentes 1766. Bei der Doxo-
logie Matth. 6 ließen ſie weg, was, wie ſie meinten, obwohl es ſchon
Chryſoſtomus geleſen, doch wohl ſchon damals ex corruptis origina-
libus hinzugekommen p. 117. Jene Stelle iſt bekanntlich 1 Joh. 5, 7.
Sie folgten darin der Kritik des St. Thomas. Noch Salmeron ſagt:
videtur plus fidei tribuendum latinis codicibus quam graecis.
2 velut inter Synagogam et orientalem ecclesiam posuimus: duos
hinc et inde latrones medium autem Jesum h. e. Romanam sive
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2 Nic. Antonii Bibliotheca Hisp. N. I. s. v. Franciscus.
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Zitationshilfe: | Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840, S. 112. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation03_1840/128>, abgerufen am 16.02.2025. |