Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 2. Berlin, 1839.

Bild:
<< vorherige Seite

Drittes Buch. Drittes Capitel.
rieth auf die Studien im Allgemeinen zurückwirkte; das
Sprichwort: die Gelehrten die Verkehrten, nahm überhand,
die Eltern trugen Bedenken ihre Kinder den Studien zu
widmen, die nur eine zweifelhafte Aussicht darboten. Das
waren jedoch nur momentane Verirrungen. Wie hätte der
erwachte, nach originaler Kenntniß trachtende Geist das
Element wieder fallen lassen können, das zu seiner Ent-
stehung so wesentlich beigetragen? Im Jahr 1524 erließ
Luther ein Sendschreiben "an die Bürgermeister und Raths-
herrn aller Städte deutschen Landes, daß sie christliche
Schulen aufrichten sollen." 1 Er meint damit vor allem
Schulen für künftige Geistliche, denn nur durch das Stu-
dium der Sprachen lasse sich das Evangelium festhalten,
wie es denn auch dazu schriftlich aufgezeichnet worden,
sonst würde alles einer wilden, wüsten Unordnung, einem
Gemenge von allerlei Meinungen verfallen; jedoch bleibt
er dabei nicht stehen: er tadelt, daß die Schulen so ganz
auf den geistlichen Stand berechnet werden: sie von dieser
engen Bestimmung loszureißen, einen weltlichen Gelehrten-
stand zu gründen, ist seine vornehmste Absicht. Er stellt
die Erziehung der alten Römer seinen Deutschen zum Mu-
ster vor; vor allem zur Regierung bedürfe man der Ge-
lehrten, in Geschichte Erfahrenen; er dringt darauf daß man
Bibliotheken aufrichte, nicht allein für die Ausgaben und
Auslegungen der heiligen Bücher, sondern auch für Ora-
toren und Poeten, sie mögen Heiden seyn oder nicht, Bü-

1 Altenb. Ausg. II, p. 804. Eoban Heß ließ die Briefe die
er in diesem Sinn empfangen, von Luther, Melanchthon, Jonas,
Draco u. A. 1523 zusammendrucken: in dem Hefte De non con-
temnendis studiis humanioribus.

Drittes Buch. Drittes Capitel.
rieth auf die Studien im Allgemeinen zurückwirkte; das
Sprichwort: die Gelehrten die Verkehrten, nahm überhand,
die Eltern trugen Bedenken ihre Kinder den Studien zu
widmen, die nur eine zweifelhafte Ausſicht darboten. Das
waren jedoch nur momentane Verirrungen. Wie hätte der
erwachte, nach originaler Kenntniß trachtende Geiſt das
Element wieder fallen laſſen können, das zu ſeiner Ent-
ſtehung ſo weſentlich beigetragen? Im Jahr 1524 erließ
Luther ein Sendſchreiben „an die Bürgermeiſter und Raths-
herrn aller Städte deutſchen Landes, daß ſie chriſtliche
Schulen aufrichten ſollen.“ 1 Er meint damit vor allem
Schulen für künftige Geiſtliche, denn nur durch das Stu-
dium der Sprachen laſſe ſich das Evangelium feſthalten,
wie es denn auch dazu ſchriftlich aufgezeichnet worden,
ſonſt würde alles einer wilden, wüſten Unordnung, einem
Gemenge von allerlei Meinungen verfallen; jedoch bleibt
er dabei nicht ſtehen: er tadelt, daß die Schulen ſo ganz
auf den geiſtlichen Stand berechnet werden: ſie von dieſer
engen Beſtimmung loszureißen, einen weltlichen Gelehrten-
ſtand zu gründen, iſt ſeine vornehmſte Abſicht. Er ſtellt
die Erziehung der alten Römer ſeinen Deutſchen zum Mu-
ſter vor; vor allem zur Regierung bedürfe man der Ge-
lehrten, in Geſchichte Erfahrenen; er dringt darauf daß man
Bibliotheken aufrichte, nicht allein für die Ausgaben und
Auslegungen der heiligen Bücher, ſondern auch für Ora-
toren und Poeten, ſie mögen Heiden ſeyn oder nicht, Bü-

1 Altenb. Ausg. II, p. 804. Eoban Heß ließ die Briefe die
er in dieſem Sinn empfangen, von Luther, Melanchthon, Jonas,
Draco u. A. 1523 zuſammendrucken: in dem Hefte De non con-
temnendis studiis humanioribus.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0098" n="88"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Drittes Buch. Drittes Capitel</hi>.</fw><lb/>
rieth auf die Studien im Allgemeinen zurückwirkte; das<lb/>
Sprichwort: die Gelehrten die Verkehrten, nahm überhand,<lb/>
die Eltern trugen Bedenken ihre Kinder den Studien zu<lb/>
widmen, die nur eine zweifelhafte Aus&#x017F;icht darboten. Das<lb/>
waren jedoch nur momentane Verirrungen. Wie hätte der<lb/>
erwachte, nach originaler Kenntniß trachtende Gei&#x017F;t das<lb/>
Element wieder fallen la&#x017F;&#x017F;en können, das zu &#x017F;einer Ent-<lb/>
&#x017F;tehung &#x017F;o we&#x017F;entlich beigetragen? Im Jahr 1524 erließ<lb/>
Luther ein Send&#x017F;chreiben &#x201E;an die Bürgermei&#x017F;ter und Raths-<lb/>
herrn aller Städte deut&#x017F;chen Landes, daß &#x017F;ie chri&#x017F;tliche<lb/>
Schulen aufrichten &#x017F;ollen.&#x201C; <note place="foot" n="1">Altenb. Ausg. <hi rendition="#aq">II, p.</hi> 804. Eoban Heß ließ die Briefe die<lb/>
er in die&#x017F;em Sinn empfangen, von Luther, Melanchthon, Jonas,<lb/>
Draco u. A. 1523 zu&#x017F;ammendrucken: in dem Hefte <hi rendition="#aq">De non con-<lb/>
temnendis studiis humanioribus.</hi></note> Er meint damit vor allem<lb/>
Schulen für künftige Gei&#x017F;tliche, denn nur durch das Stu-<lb/>
dium der Sprachen la&#x017F;&#x017F;e &#x017F;ich das Evangelium fe&#x017F;thalten,<lb/>
wie es denn auch dazu &#x017F;chriftlich aufgezeichnet worden,<lb/>
&#x017F;on&#x017F;t würde alles einer wilden, wü&#x017F;ten Unordnung, einem<lb/>
Gemenge von allerlei Meinungen verfallen; jedoch bleibt<lb/>
er dabei nicht &#x017F;tehen: er tadelt, daß die Schulen &#x017F;o ganz<lb/>
auf den gei&#x017F;tlichen Stand berechnet werden: &#x017F;ie von die&#x017F;er<lb/>
engen Be&#x017F;timmung loszureißen, einen weltlichen Gelehrten-<lb/>
&#x017F;tand zu gründen, i&#x017F;t &#x017F;eine vornehm&#x017F;te Ab&#x017F;icht. Er &#x017F;tellt<lb/>
die Erziehung der alten Römer &#x017F;einen Deut&#x017F;chen zum Mu-<lb/>
&#x017F;ter vor; vor allem zur Regierung bedürfe man der Ge-<lb/>
lehrten, in Ge&#x017F;chichte Erfahrenen; er dringt darauf daß man<lb/>
Bibliotheken aufrichte, nicht allein für die Ausgaben und<lb/>
Auslegungen der heiligen Bücher, &#x017F;ondern auch für Ora-<lb/>
toren und Poeten, &#x017F;ie mögen Heiden &#x017F;eyn oder nicht, Bü-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[88/0098] Drittes Buch. Drittes Capitel. rieth auf die Studien im Allgemeinen zurückwirkte; das Sprichwort: die Gelehrten die Verkehrten, nahm überhand, die Eltern trugen Bedenken ihre Kinder den Studien zu widmen, die nur eine zweifelhafte Ausſicht darboten. Das waren jedoch nur momentane Verirrungen. Wie hätte der erwachte, nach originaler Kenntniß trachtende Geiſt das Element wieder fallen laſſen können, das zu ſeiner Ent- ſtehung ſo weſentlich beigetragen? Im Jahr 1524 erließ Luther ein Sendſchreiben „an die Bürgermeiſter und Raths- herrn aller Städte deutſchen Landes, daß ſie chriſtliche Schulen aufrichten ſollen.“ 1 Er meint damit vor allem Schulen für künftige Geiſtliche, denn nur durch das Stu- dium der Sprachen laſſe ſich das Evangelium feſthalten, wie es denn auch dazu ſchriftlich aufgezeichnet worden, ſonſt würde alles einer wilden, wüſten Unordnung, einem Gemenge von allerlei Meinungen verfallen; jedoch bleibt er dabei nicht ſtehen: er tadelt, daß die Schulen ſo ganz auf den geiſtlichen Stand berechnet werden: ſie von dieſer engen Beſtimmung loszureißen, einen weltlichen Gelehrten- ſtand zu gründen, iſt ſeine vornehmſte Abſicht. Er ſtellt die Erziehung der alten Römer ſeinen Deutſchen zum Mu- ſter vor; vor allem zur Regierung bedürfe man der Ge- lehrten, in Geſchichte Erfahrenen; er dringt darauf daß man Bibliotheken aufrichte, nicht allein für die Ausgaben und Auslegungen der heiligen Bücher, ſondern auch für Ora- toren und Poeten, ſie mögen Heiden ſeyn oder nicht, Bü- 1 Altenb. Ausg. II, p. 804. Eoban Heß ließ die Briefe die er in dieſem Sinn empfangen, von Luther, Melanchthon, Jonas, Draco u. A. 1523 zuſammendrucken: in dem Hefte De non con- temnendis studiis humanioribus.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation02_1839
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation02_1839/98
Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 2. Berlin, 1839, S. 88. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation02_1839/98>, abgerufen am 07.05.2024.