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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 2. Berlin, 1839.

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Ausbreitung der Lehre.
Inhalt hat, Bibliotheken und Archive zu durchsuchen, um
mit ächten Urkunden wenigstens hie und da über die seichte
und unglaubwürdige Tradition hinauszukommen; vor allem
opponirte er sich den Vorstellungen der Unberufenen, "die nie
unter Leuten gewesen, nicht wissen wie es in Städten und
Ländern zugeht, menschlicher und himmlischer Dinge uner-
fahren sind, und doch über alles urtheilen;" er dagegen
sucht die Historie in ihrer Wahrheit zu begreifen, "wie
das seyn muß." Der Geist der nationalen Opposition
gegen das Papstthum arbeitet gewaltig in ihm. Wie er
die Einfachheit der christlichen Lehre zu vergegenwärtigen
sucht, wo er ihres Ursprungs gedenkt, so hebt er den Ge-
gensatz der geistlichen Macht in ihrer Entstehung Ent-
wickelung und Wirksamkeit an jeder Stelle hervor: die Ge-
schichte Gregors VII muß man noch heute bei ihm lesen:
von den Wirkungen, welche die Herrschaft des hierarchi-
schen Prinzipes hervorgebracht, hat er einen großartigen
Begriff, den er freilich nicht zu vollkommener Evidenz zu
erheben vermochte. Überhaupt vollendete er nicht. Aber
er begann die Arbeit der gründlichen Erforschung und le-
bendigen Durchdringung der allgemeinen Geschichte, in der
wir noch heute begriffen sind.

Es schien wohl einen Augenblick als würde die theo-
logische Richtung alle andern verschlingen. Erasmus klagt,
man wolle nichts mehr lesen und kaufe nichts mehr als
die Schriften für oder wider Luther: er fürchtete schon die
kaum gegründeten humanistischen Studien einer neuen
Scholastik unterliegen zu sehen. In Chroniken hat man
verzeichnet, daß die Mißachtung in welche der Clerus ge-

Ausbreitung der Lehre.
Inhalt hat, Bibliotheken und Archive zu durchſuchen, um
mit ächten Urkunden wenigſtens hie und da über die ſeichte
und unglaubwürdige Tradition hinauszukommen; vor allem
opponirte er ſich den Vorſtellungen der Unberufenen, „die nie
unter Leuten geweſen, nicht wiſſen wie es in Städten und
Ländern zugeht, menſchlicher und himmliſcher Dinge uner-
fahren ſind, und doch über alles urtheilen;“ er dagegen
ſucht die Hiſtorie in ihrer Wahrheit zu begreifen, „wie
das ſeyn muß.“ Der Geiſt der nationalen Oppoſition
gegen das Papſtthum arbeitet gewaltig in ihm. Wie er
die Einfachheit der chriſtlichen Lehre zu vergegenwärtigen
ſucht, wo er ihres Urſprungs gedenkt, ſo hebt er den Ge-
genſatz der geiſtlichen Macht in ihrer Entſtehung Ent-
wickelung und Wirkſamkeit an jeder Stelle hervor: die Ge-
ſchichte Gregors VII muß man noch heute bei ihm leſen:
von den Wirkungen, welche die Herrſchaft des hierarchi-
ſchen Prinzipes hervorgebracht, hat er einen großartigen
Begriff, den er freilich nicht zu vollkommener Evidenz zu
erheben vermochte. Überhaupt vollendete er nicht. Aber
er begann die Arbeit der gründlichen Erforſchung und le-
bendigen Durchdringung der allgemeinen Geſchichte, in der
wir noch heute begriffen ſind.

Es ſchien wohl einen Augenblick als würde die theo-
logiſche Richtung alle andern verſchlingen. Erasmus klagt,
man wolle nichts mehr leſen und kaufe nichts mehr als
die Schriften für oder wider Luther: er fürchtete ſchon die
kaum gegründeten humaniſtiſchen Studien einer neuen
Scholaſtik unterliegen zu ſehen. In Chroniken hat man
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[87/0097] Ausbreitung der Lehre. Inhalt hat, Bibliotheken und Archive zu durchſuchen, um mit ächten Urkunden wenigſtens hie und da über die ſeichte und unglaubwürdige Tradition hinauszukommen; vor allem opponirte er ſich den Vorſtellungen der Unberufenen, „die nie unter Leuten geweſen, nicht wiſſen wie es in Städten und Ländern zugeht, menſchlicher und himmliſcher Dinge uner- fahren ſind, und doch über alles urtheilen;“ er dagegen ſucht die Hiſtorie in ihrer Wahrheit zu begreifen, „wie das ſeyn muß.“ Der Geiſt der nationalen Oppoſition gegen das Papſtthum arbeitet gewaltig in ihm. Wie er die Einfachheit der chriſtlichen Lehre zu vergegenwärtigen ſucht, wo er ihres Urſprungs gedenkt, ſo hebt er den Ge- genſatz der geiſtlichen Macht in ihrer Entſtehung Ent- wickelung und Wirkſamkeit an jeder Stelle hervor: die Ge- ſchichte Gregors VII muß man noch heute bei ihm leſen: von den Wirkungen, welche die Herrſchaft des hierarchi- ſchen Prinzipes hervorgebracht, hat er einen großartigen Begriff, den er freilich nicht zu vollkommener Evidenz zu erheben vermochte. Überhaupt vollendete er nicht. Aber er begann die Arbeit der gründlichen Erforſchung und le- bendigen Durchdringung der allgemeinen Geſchichte, in der wir noch heute begriffen ſind. Es ſchien wohl einen Augenblick als würde die theo- logiſche Richtung alle andern verſchlingen. Erasmus klagt, man wolle nichts mehr leſen und kaufe nichts mehr als die Schriften für oder wider Luther: er fürchtete ſchon die kaum gegründeten humaniſtiſchen Studien einer neuen Scholaſtik unterliegen zu ſehen. In Chroniken hat man verzeichnet, daß die Mißachtung in welche der Clerus ge-

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 2. Berlin, 1839, S. 87. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation02_1839/97>, abgerufen am 22.11.2024.