Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 2. Berlin, 1839.Drittes Buch. Drittes Capitel. ten ihren Spazirritt gern so ein, daß sie noch zur Zeitdes Gottesdienstes in Freienbach anlangten, wo ein Freund Zwinglis predigte: des Mittags blieben sie dann bei ihm zu Tisch. 1 Es macht keinen Unterschied, daß dieß zur Schweiz gehört: in das Nationalgefühl war es dort noch nicht gedrungen daß sie sich von Deutschland abgesondert: in Wallis nannte man das Gebiet der eidgenössischen Städte Deutschland. Dieselben Doctrinen zogen sich dann am Gebirg entlang nach dem Innthal, wo sie zuerst Johann Strauß vor vielen tausend Gläubigen verkündigte, nach Salzburg, wo Paul von Spretten sie im Dom erschallen ließ, nach Östreich und nach Baiern. In Alten-öttingen, eben bei einem der besuchtesten wunderthätigen Bilder, hatte der Gesellpriester Wolfgang Ruß den Muth, die Wall- fahrten anzugreifen. Es versteht sich, daß das alles nicht ohne Widerstand 1 Hottinger Geschichte der Eidgenossen I, S. 415. 2 Andreas Cnoph von Cüstrin. Er hat viel herrlicher und geist-
reicher Lieder, darin die Summa von der Lehre von der Gerechtig- Drittes Buch. Drittes Capitel. ten ihren Spazirritt gern ſo ein, daß ſie noch zur Zeitdes Gottesdienſtes in Freienbach anlangten, wo ein Freund Zwinglis predigte: des Mittags blieben ſie dann bei ihm zu Tiſch. 1 Es macht keinen Unterſchied, daß dieß zur Schweiz gehört: in das Nationalgefühl war es dort noch nicht gedrungen daß ſie ſich von Deutſchland abgeſondert: in Wallis nannte man das Gebiet der eidgenöſſiſchen Städte Deutſchland. Dieſelben Doctrinen zogen ſich dann am Gebirg entlang nach dem Innthal, wo ſie zuerſt Johann Strauß vor vielen tauſend Gläubigen verkündigte, nach Salzburg, wo Paul von Spretten ſie im Dom erſchallen ließ, nach Öſtreich und nach Baiern. In Alten-öttingen, eben bei einem der beſuchteſten wunderthätigen Bilder, hatte der Geſellprieſter Wolfgang Ruß den Muth, die Wall- fahrten anzugreifen. Es verſteht ſich, daß das alles nicht ohne Widerſtand 1 Hottinger Geſchichte der Eidgenoſſen I, S. 415. 2 Andreas Cnoph von Cuͤſtrin. Er hat viel herrlicher und geiſt-
reicher Lieder, darin die Summa von der Lehre von der Gerechtig- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0084" n="74"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Drittes Buch. Drittes Capitel</hi>.</fw><lb/> ten ihren Spazirritt gern ſo ein, daß ſie noch zur Zeit<lb/> des Gottesdienſtes in Freienbach anlangten, wo ein Freund<lb/> Zwinglis predigte: des Mittags blieben ſie dann bei ihm<lb/> zu Tiſch. <note place="foot" n="1">Hottinger Geſchichte der Eidgenoſſen <hi rendition="#aq">I,</hi> S. 415.</note> Es macht keinen Unterſchied, daß dieß zur<lb/> Schweiz gehört: in das Nationalgefühl war es dort noch<lb/> nicht gedrungen daß ſie ſich von Deutſchland abgeſondert:<lb/> in Wallis nannte man das Gebiet der eidgenöſſiſchen Städte<lb/> Deutſchland. Dieſelben Doctrinen zogen ſich dann am<lb/> Gebirg entlang nach dem Innthal, wo ſie zuerſt Johann<lb/> Strauß vor vielen tauſend Gläubigen verkündigte, nach<lb/> Salzburg, wo Paul von Spretten ſie im Dom erſchallen<lb/> ließ, nach Öſtreich und nach Baiern. In Alten-öttingen,<lb/> eben bei einem der beſuchteſten wunderthätigen Bilder, hatte<lb/> der Geſellprieſter Wolfgang Ruß den Muth, die Wall-<lb/> fahrten anzugreifen.</p><lb/> <p>Es verſteht ſich, daß das alles nicht ohne Widerſtand<lb/> und harten Kampf abgieng. Viele mußten weichen: ei-<lb/> nige hielten ſich doch, und ſelbſt die Verfolgung ſchadete<lb/> nichts. Als der noch eifrig katholiſche Bogislaw <hi rendition="#aq">X</hi> von<lb/> Pommern die neugläubige Reunion zu Belbuck zerſtörte,<lb/> und die Kloſtergüter einzog — denn von dieſer Seite fieng<lb/> man zuerſt an, ſich der Kirchengüter zu bemächtigen, —<lb/> gab er nur Gelegenheit, daß mit den jungen Liefländern<lb/> die dort ſtudirten, einer ihrer Lehrer nach Riga gieng und<lb/> den Samen des Wortes in dieſen entfernteſten deutſchen Län-<lb/> dern ausſtreute. <note xml:id="seg2pn_10_1" next="#seg2pn_10_2" place="foot" n="2">Andreas Cnoph von Cuͤſtrin. Er hat viel herrlicher und geiſt-<lb/> reicher Lieder, darin die Summa von der Lehre von der Gerechtig-</note> Paul von Spretten ward von Salzburg<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [74/0084]
Drittes Buch. Drittes Capitel.
ten ihren Spazirritt gern ſo ein, daß ſie noch zur Zeit
des Gottesdienſtes in Freienbach anlangten, wo ein Freund
Zwinglis predigte: des Mittags blieben ſie dann bei ihm
zu Tiſch. 1 Es macht keinen Unterſchied, daß dieß zur
Schweiz gehört: in das Nationalgefühl war es dort noch
nicht gedrungen daß ſie ſich von Deutſchland abgeſondert:
in Wallis nannte man das Gebiet der eidgenöſſiſchen Städte
Deutſchland. Dieſelben Doctrinen zogen ſich dann am
Gebirg entlang nach dem Innthal, wo ſie zuerſt Johann
Strauß vor vielen tauſend Gläubigen verkündigte, nach
Salzburg, wo Paul von Spretten ſie im Dom erſchallen
ließ, nach Öſtreich und nach Baiern. In Alten-öttingen,
eben bei einem der beſuchteſten wunderthätigen Bilder, hatte
der Geſellprieſter Wolfgang Ruß den Muth, die Wall-
fahrten anzugreifen.
Es verſteht ſich, daß das alles nicht ohne Widerſtand
und harten Kampf abgieng. Viele mußten weichen: ei-
nige hielten ſich doch, und ſelbſt die Verfolgung ſchadete
nichts. Als der noch eifrig katholiſche Bogislaw X von
Pommern die neugläubige Reunion zu Belbuck zerſtörte,
und die Kloſtergüter einzog — denn von dieſer Seite fieng
man zuerſt an, ſich der Kirchengüter zu bemächtigen, —
gab er nur Gelegenheit, daß mit den jungen Liefländern
die dort ſtudirten, einer ihrer Lehrer nach Riga gieng und
den Samen des Wortes in dieſen entfernteſten deutſchen Län-
dern ausſtreute. 2 Paul von Spretten ward von Salzburg
1 Hottinger Geſchichte der Eidgenoſſen I, S. 415.
2 Andreas Cnoph von Cuͤſtrin. Er hat viel herrlicher und geiſt-
reicher Lieder, darin die Summa von der Lehre von der Gerechtig-
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