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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 2. Berlin, 1839.

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Drittes Buch. Zweites Capitel.

Es ist, wie wir sehen, ein Kampf wo sich der Sieg
bald auf die eine, bald auf die andre Seite neigt. Bei
dem letzten Punct, der vielleicht noch wichtiger war, bei
den Bestimmungen über die Predigt, welche die große Masse
unmittelbar berührte, nahmen die beiden Parteien ihre
Kräfte noch einmal zusammen. Die Geistlichen wollten
sich mit der allgemeinen Anweisung der Prediger auf Evan-
gelium und bewährte Schriften nicht begnügen, sie forder-
ten eine nähere Bezeichnung der letztern und brachten die
Nahmhaftmachung der vier großen lateinischen Kirchenvä-
ter, Hieronymus, Augustin, Ambrosius und Gregor, de-
nen man ein canonisches Ansehen beimaß, in Vorschlag.
Es ist das um so bezeichnender, wenn man sich erinnert,
daß hundert Jahr früher auch die entwickeltern hussitischen
Doctrinen zunächst als eine Abweichung von diesen vier
Begründern der lateinischen Kirche betrachtet worden wa-
ren. Aber so tief waren schon die Ideen Luthers in die
Nation gedrungen, daß sie sich auf die particularen Bil-
dungen des Latinismus nicht mehr verpflichten lassen wollte.
Der gemeine Menschenverstand sperrte sich dagegen, daß
St. Paulus weniger gelten sollte als Ambrosius. Dieß-
mal konnten die Geistlichen nicht durchdringen. Nach
mancherlei Hin und Widerreden gerieth man vielmehr auf
eine Fassung welche die Bedeutung des ursprünglichen Vor-
schlags in Wahrheit nur noch ausdrücklicher sicherte. Man
beschloß, es solle nichts gelehrt werden als das rechte reine
lautere Evangelium, gütig sanftmüthig und christlich, nach
der Lehre und Auslegung der bewährten und von der christ-
lichen Kirche angenommenen Schriften. 1 Vielleicht fühl-

1 quod nihil praeter verum purum sincerum et sanctum
Drittes Buch. Zweites Capitel.

Es iſt, wie wir ſehen, ein Kampf wo ſich der Sieg
bald auf die eine, bald auf die andre Seite neigt. Bei
dem letzten Punct, der vielleicht noch wichtiger war, bei
den Beſtimmungen über die Predigt, welche die große Maſſe
unmittelbar berührte, nahmen die beiden Parteien ihre
Kräfte noch einmal zuſammen. Die Geiſtlichen wollten
ſich mit der allgemeinen Anweiſung der Prediger auf Evan-
gelium und bewährte Schriften nicht begnügen, ſie forder-
ten eine nähere Bezeichnung der letztern und brachten die
Nahmhaftmachung der vier großen lateiniſchen Kirchenvä-
ter, Hieronymus, Auguſtin, Ambroſius und Gregor, de-
nen man ein canoniſches Anſehen beimaß, in Vorſchlag.
Es iſt das um ſo bezeichnender, wenn man ſich erinnert,
daß hundert Jahr früher auch die entwickeltern huſſitiſchen
Doctrinen zunächſt als eine Abweichung von dieſen vier
Begründern der lateiniſchen Kirche betrachtet worden wa-
ren. Aber ſo tief waren ſchon die Ideen Luthers in die
Nation gedrungen, daß ſie ſich auf die particularen Bil-
dungen des Latinismus nicht mehr verpflichten laſſen wollte.
Der gemeine Menſchenverſtand ſperrte ſich dagegen, daß
St. Paulus weniger gelten ſollte als Ambroſius. Dieß-
mal konnten die Geiſtlichen nicht durchdringen. Nach
mancherlei Hin und Widerreden gerieth man vielmehr auf
eine Faſſung welche die Bedeutung des urſprünglichen Vor-
ſchlags in Wahrheit nur noch ausdrücklicher ſicherte. Man
beſchloß, es ſolle nichts gelehrt werden als das rechte reine
lautere Evangelium, gütig ſanftmüthig und chriſtlich, nach
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lichen Kirche angenommenen Schriften. 1 Vielleicht fühl-

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[62/0072] Drittes Buch. Zweites Capitel. Es iſt, wie wir ſehen, ein Kampf wo ſich der Sieg bald auf die eine, bald auf die andre Seite neigt. Bei dem letzten Punct, der vielleicht noch wichtiger war, bei den Beſtimmungen über die Predigt, welche die große Maſſe unmittelbar berührte, nahmen die beiden Parteien ihre Kräfte noch einmal zuſammen. Die Geiſtlichen wollten ſich mit der allgemeinen Anweiſung der Prediger auf Evan- gelium und bewährte Schriften nicht begnügen, ſie forder- ten eine nähere Bezeichnung der letztern und brachten die Nahmhaftmachung der vier großen lateiniſchen Kirchenvä- ter, Hieronymus, Auguſtin, Ambroſius und Gregor, de- nen man ein canoniſches Anſehen beimaß, in Vorſchlag. Es iſt das um ſo bezeichnender, wenn man ſich erinnert, daß hundert Jahr früher auch die entwickeltern huſſitiſchen Doctrinen zunächſt als eine Abweichung von dieſen vier Begründern der lateiniſchen Kirche betrachtet worden wa- ren. Aber ſo tief waren ſchon die Ideen Luthers in die Nation gedrungen, daß ſie ſich auf die particularen Bil- dungen des Latinismus nicht mehr verpflichten laſſen wollte. Der gemeine Menſchenverſtand ſperrte ſich dagegen, daß St. Paulus weniger gelten ſollte als Ambroſius. Dieß- mal konnten die Geiſtlichen nicht durchdringen. Nach mancherlei Hin und Widerreden gerieth man vielmehr auf eine Faſſung welche die Bedeutung des urſprünglichen Vor- ſchlags in Wahrheit nur noch ausdrücklicher ſicherte. Man beſchloß, es ſolle nichts gelehrt werden als das rechte reine lautere Evangelium, gütig ſanftmüthig und chriſtlich, nach der Lehre und Auslegung der bewährten und von der chriſt- lichen Kirche angenommenen Schriften. 1 Vielleicht fühl- 1 quod nihil praeter verum purum sincerum et sanctum

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 2. Berlin, 1839, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation02_1839/72>, abgerufen am 25.11.2024.