Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 2. Berlin, 1839.Viertes Buch. Fünftes Capitel. auflegen lassen. Ferner fand Luther, er habe keine Leutezu einer Einrichtung dieser Art. Er war oft über die un- gelehrige Hartnäckigkeit der Bauern, welche nicht einmal dahin zu bringen seyen ihre Geistlichen zu ernähren, höch- lich entrüstet; er meinte, mit den Ordnungen der Kirche verhalte es sich noch als wenn sie unter Türken und Hei- den auf einem freien Platz ausgeübt werden sollten: der größte Theil stehe und gaffe, als sehe er etwas Neues. 1 Endlich die ganze Lage der Dinge war dazu nicht ange- than. Wenn jene Ideen die wir als kirchlich demokratisch bezeichnen können, später wirklich in andern Ländern zur Herrschaft gelangten, so geschah das auch deshalb, weil die neue Kirche sich in Widerspruch mit den Staatsgewal- ten festsetzte: sie bildete sich wirklich von unten her, sie hatte einen demokratischen Ursprung. Durchaus anders aber war es in Deutschland. Die neuen Kirchen wurden unter dem Schutz, dem unmittelbarsten Einfluß der zunächst re- gierenden Gewalten gegründet. Es ist natürlich, daß davon auch ihre Gestaltung bestimmt ward. Denn nicht in völliger Unbedingtheit treten die Ideen Es ist wohl der Mühe werth, an der Stelle wo wir 1 Vorrede zu dem Buch über die deutsche Messe. Altenb. III.
Viertes Buch. Fuͤnftes Capitel. auflegen laſſen. Ferner fand Luther, er habe keine Leutezu einer Einrichtung dieſer Art. Er war oft über die un- gelehrige Hartnäckigkeit der Bauern, welche nicht einmal dahin zu bringen ſeyen ihre Geiſtlichen zu ernähren, höch- lich entrüſtet; er meinte, mit den Ordnungen der Kirche verhalte es ſich noch als wenn ſie unter Türken und Hei- den auf einem freien Platz ausgeübt werden ſollten: der größte Theil ſtehe und gaffe, als ſehe er etwas Neues. 1 Endlich die ganze Lage der Dinge war dazu nicht ange- than. Wenn jene Ideen die wir als kirchlich demokratiſch bezeichnen können, ſpäter wirklich in andern Ländern zur Herrſchaft gelangten, ſo geſchah das auch deshalb, weil die neue Kirche ſich in Widerſpruch mit den Staatsgewal- ten feſtſetzte: ſie bildete ſich wirklich von unten her, ſie hatte einen demokratiſchen Urſprung. Durchaus anders aber war es in Deutſchland. Die neuen Kirchen wurden unter dem Schutz, dem unmittelbarſten Einfluß der zunächſt re- gierenden Gewalten gegründet. Es iſt natürlich, daß davon auch ihre Geſtaltung beſtimmt ward. Denn nicht in völliger Unbedingtheit treten die Ideen Es iſt wohl der Mühe werth, an der Stelle wo wir 1 Vorrede zu dem Buch uͤber die deutſche Meſſe. Altenb. III.
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Viertes Buch. Fuͤnftes Capitel.
auflegen laſſen. Ferner fand Luther, er habe keine Leute
zu einer Einrichtung dieſer Art. Er war oft über die un-
gelehrige Hartnäckigkeit der Bauern, welche nicht einmal
dahin zu bringen ſeyen ihre Geiſtlichen zu ernähren, höch-
lich entrüſtet; er meinte, mit den Ordnungen der Kirche
verhalte es ſich noch als wenn ſie unter Türken und Hei-
den auf einem freien Platz ausgeübt werden ſollten: der
größte Theil ſtehe und gaffe, als ſehe er etwas Neues. 1
Endlich die ganze Lage der Dinge war dazu nicht ange-
than. Wenn jene Ideen die wir als kirchlich demokratiſch
bezeichnen können, ſpäter wirklich in andern Ländern zur
Herrſchaft gelangten, ſo geſchah das auch deshalb, weil
die neue Kirche ſich in Widerſpruch mit den Staatsgewal-
ten feſtſetzte: ſie bildete ſich wirklich von unten her, ſie
hatte einen demokratiſchen Urſprung. Durchaus anders aber
war es in Deutſchland. Die neuen Kirchen wurden unter
dem Schutz, dem unmittelbarſten Einfluß der zunächſt re-
gierenden Gewalten gegründet. Es iſt natürlich, daß davon
auch ihre Geſtaltung beſtimmt ward.
Denn nicht in völliger Unbedingtheit treten die Ideen
in der Welt ein. Der Moment ihres Hervortretens be-
herrſcht ihr Daſeyn auf immer: ſo leben ſie fort, wie ſie
zum Leben gelangten.
Es iſt wohl der Mühe werth, an der Stelle wo wir
angekommen, wo wir nun die Gründung der evangeliſchen
Kirche näher zu betrachten haben, die Umſtände zuſammen-
faſſend uns zu vergegenwärtigen unter denen ſie geſchah.
Wir werden die Rechtmäßigkeit des dabei eingeſchlagenen
1 Vorrede zu dem Buch uͤber die deutſche Meſſe. Altenb. III.
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