Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 2. Berlin, 1839.Viertes Buch. Erstes Capitel. war ein Bedürfniß dafür nur erst in den literarischen Krei-sen erwacht: die Masse der Nation war davon noch nicht ergriffen: ein militärisches Selbstgefühl welches beleidigt ge- wesen wäre, hatte sie nicht: vom verletzten Rechte war eben so wenig die Rede: das Recht des Kaisers war ur- alt und unbestreitbar. Daher zählten auch die Führer nicht auf die eigentliche Nation. Sie dachten sich vor allem der günstigen Lage der Umstände, fremder Kräfte, des unerwarteten Abfalls zn bedienen: eine glückliche Combina- tion der Politik sollte alles ausrichten. Gar bald aber zeigte sich dieß zweifelhaft. Von den Franzosen bemerkte Giberti schon im Sep- Indem man ferner auf den Abfall des kaiserlichen 1 Al Vescovo di Bajusa 4 Stt. Ibid.
Viertes Buch. Erſtes Capitel. war ein Bedürfniß dafür nur erſt in den literariſchen Krei-ſen erwacht: die Maſſe der Nation war davon noch nicht ergriffen: ein militäriſches Selbſtgefühl welches beleidigt ge- weſen wäre, hatte ſie nicht: vom verletzten Rechte war eben ſo wenig die Rede: das Recht des Kaiſers war ur- alt und unbeſtreitbar. Daher zählten auch die Führer nicht auf die eigentliche Nation. Sie dachten ſich vor allem der günſtigen Lage der Umſtände, fremder Kräfte, des unerwarteten Abfalls zn bedienen: eine glückliche Combina- tion der Politik ſollte alles ausrichten. Gar bald aber zeigte ſich dieß zweifelhaft. Von den Franzoſen bemerkte Giberti ſchon im Sep- Indem man ferner auf den Abfall des kaiſerlichen 1 Al Vescovo di Bajusa 4 Stt. Ibid.
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Viertes Buch. Erſtes Capitel.
war ein Bedürfniß dafür nur erſt in den literariſchen Krei-
ſen erwacht: die Maſſe der Nation war davon noch nicht
ergriffen: ein militäriſches Selbſtgefühl welches beleidigt ge-
weſen wäre, hatte ſie nicht: vom verletzten Rechte war
eben ſo wenig die Rede: das Recht des Kaiſers war ur-
alt und unbeſtreitbar. Daher zählten auch die Führer nicht
auf die eigentliche Nation. Sie dachten ſich vor allem
der günſtigen Lage der Umſtände, fremder Kräfte, des
unerwarteten Abfalls zn bedienen: eine glückliche Combina-
tion der Politik ſollte alles ausrichten.
Gar bald aber zeigte ſich dieß zweifelhaft.
Von den Franzoſen bemerkte Giberti ſchon im Sep-
tember 1525, 1 ihre Abſicht ſey wohl nur, ſich der Verbin-
dung mit Italien zu bedienen, um eine günſtige Abkunft
mit dem Kaiſer zu treffen.
Indem man ferner auf den Abfall des kaiſerlichen
Heerführers zählte, vernahm man daß im Mailändiſchen
an den Feſtungen gearbeitet werde: ein nach Frankreich ab-
gefertigter Courier verſchwand in dieſem Gebiete: ja vom
ſpaniſchen Hofe trafen Erklärungen ein, welche eine Andeu-
tung der Sache durchblicken ließen. Man wußte nicht,
was man denken ſollte. War Morone ein Verräther?
Aber welchen Vortheil konnte er ſich verſprechen, der den
Haß aufgewogen hätte, den er von Italien erwarten mußte?
Oder ſpielte Pescara eine doppelte Rolle? „Ich kann es
nicht glauben,“ ſagt Giberti. „Was er für den Kaiſer ge-
than könnte man ihm mit keinem Königreich vergelten: ſollte
er ſich die Gnade deſſelben bei dieſer Gelegenheit wieder er-
1 Al Vescovo di Bajusa 4 Stt. Ibid.
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