schien auch die Besatzung von Pavia im Rücken der Wei- chenden: eine allgemeine Flucht erfolgte.
Noch immer tummelte der tapfere König, obwohl auch um ihn her die Hakenschützen gewaltig wirkten, sein Streitroß auf dem rechten Flügel, als er um sich sah, und seine Leute in voller Flucht erblickte. "Mein Gott, was ist das," rief er aus: er dachte wenigstens die Schweizer zum Stehen zu bringen und eilte ihnen nach. Allein wie war das bei der nunmehr entschiedenen Uberlegenheit des Feindes so ganz unmöglich. Auch er ward vielmehr in die rückgän- gige Bewegung fortgezogen. Er trug eine Stickerei an sei- nem Ärmel, die ihm in guten Tagen in Frankreich, die Dame die er liebte, gegeben, der er dagegen gelobt hatte, unter keinen Umständen vor dem Feind zurückzuweichen. 1 Ritterlich gesinnt, wie er war, wich er wenigstens so lang- sam wie möglich, nicht ohne sich unaufhörlich noch zur Wehr zu setzen: da erreichten ihn die nacheilenden Deut- schen. Nicolaus von Salm erstach ihm das Pferd unter dem Leibe: der König stürzte und mußte sich ergeben. In diesem Moment kam der Vicekönig herbei, der ihn erkannte, ihm ehrfurchtsvoll die Hand reichte, und ihn als Gefan- genen annahm.
Binnen anderthalb Stunden war das prächtigste Heer das man sehen konnte vernichtet; man rechnet 10,000 die geblieben oder auf der Flucht im Tessin ertrunken wa- ren: viele Schweizer darunter, deren alter Ruhm von den burgundischen Kriegen her nunmehr zu Grunde gieng: die
1L'heureux present, par lequel te promys point ne fuir devant mes ennemys. Epitre du roi.
Viertes Buch. Erſtes Capitel.
ſchien auch die Beſatzung von Pavia im Rücken der Wei- chenden: eine allgemeine Flucht erfolgte.
Noch immer tummelte der tapfere König, obwohl auch um ihn her die Hakenſchützen gewaltig wirkten, ſein Streitroß auf dem rechten Flügel, als er um ſich ſah, und ſeine Leute in voller Flucht erblickte. „Mein Gott, was iſt das,“ rief er aus: er dachte wenigſtens die Schweizer zum Stehen zu bringen und eilte ihnen nach. Allein wie war das bei der nunmehr entſchiedenen Uberlegenheit des Feindes ſo ganz unmöglich. Auch er ward vielmehr in die rückgän- gige Bewegung fortgezogen. Er trug eine Stickerei an ſei- nem Ärmel, die ihm in guten Tagen in Frankreich, die Dame die er liebte, gegeben, der er dagegen gelobt hatte, unter keinen Umſtänden vor dem Feind zurückzuweichen. 1 Ritterlich geſinnt, wie er war, wich er wenigſtens ſo lang- ſam wie möglich, nicht ohne ſich unaufhörlich noch zur Wehr zu ſetzen: da erreichten ihn die nacheilenden Deut- ſchen. Nicolaus von Salm erſtach ihm das Pferd unter dem Leibe: der König ſtürzte und mußte ſich ergeben. In dieſem Moment kam der Vicekönig herbei, der ihn erkannte, ihm ehrfurchtsvoll die Hand reichte, und ihn als Gefan- genen annahm.
Binnen anderthalb Stunden war das prächtigſte Heer das man ſehen konnte vernichtet; man rechnet 10,000 die geblieben oder auf der Flucht im Teſſin ertrunken wa- ren: viele Schweizer darunter, deren alter Ruhm von den burgundiſchen Kriegen her nunmehr zu Grunde gieng: die
1L’heureux present, par lequel te promys point ne fuir devant mes ennemys. Epitre du roi.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0324"n="314"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Viertes Buch. Erſtes Capitel</hi>.</fw><lb/>ſchien auch die Beſatzung von Pavia im Rücken der Wei-<lb/>
chenden: eine allgemeine Flucht erfolgte.</p><lb/><p>Noch immer tummelte der tapfere König, obwohl auch<lb/>
um ihn her die Hakenſchützen gewaltig wirkten, ſein Streitroß<lb/>
auf dem rechten Flügel, als er um ſich ſah, und ſeine Leute<lb/>
in voller Flucht erblickte. „Mein Gott, was iſt das,“ rief<lb/>
er aus: er dachte wenigſtens die Schweizer zum Stehen<lb/>
zu bringen und eilte ihnen nach. Allein wie war das bei<lb/>
der nunmehr entſchiedenen Uberlegenheit des Feindes ſo<lb/>
ganz unmöglich. Auch er ward vielmehr in die rückgän-<lb/>
gige Bewegung fortgezogen. Er trug eine Stickerei an ſei-<lb/>
nem Ärmel, die ihm in guten Tagen in Frankreich, die<lb/>
Dame die er liebte, gegeben, der er dagegen gelobt hatte,<lb/>
unter keinen Umſtänden vor dem Feind zurückzuweichen. <noteplace="foot"n="1"><hirendition="#aq">L’heureux present, par lequel te promys<lb/>
point ne fuir devant mes ennemys. Epitre du roi.</hi></note><lb/>
Ritterlich geſinnt, wie er war, wich er wenigſtens ſo lang-<lb/>ſam wie möglich, nicht ohne ſich unaufhörlich noch zur<lb/>
Wehr zu ſetzen: da erreichten ihn die nacheilenden Deut-<lb/>ſchen. Nicolaus von Salm erſtach ihm das Pferd unter<lb/>
dem Leibe: der König ſtürzte und mußte ſich ergeben. In<lb/>
dieſem Moment kam der Vicekönig herbei, der ihn erkannte,<lb/>
ihm ehrfurchtsvoll die Hand reichte, und ihn als Gefan-<lb/>
genen annahm.</p><lb/><p>Binnen anderthalb Stunden war das prächtigſte Heer<lb/>
das man ſehen konnte vernichtet; man rechnet 10,000<lb/>
die geblieben oder auf der Flucht im Teſſin ertrunken wa-<lb/>
ren: viele Schweizer darunter, deren alter Ruhm von den<lb/>
burgundiſchen Kriegen her nunmehr zu Grunde gieng: die<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[314/0324]
Viertes Buch. Erſtes Capitel.
ſchien auch die Beſatzung von Pavia im Rücken der Wei-
chenden: eine allgemeine Flucht erfolgte.
Noch immer tummelte der tapfere König, obwohl auch
um ihn her die Hakenſchützen gewaltig wirkten, ſein Streitroß
auf dem rechten Flügel, als er um ſich ſah, und ſeine Leute
in voller Flucht erblickte. „Mein Gott, was iſt das,“ rief
er aus: er dachte wenigſtens die Schweizer zum Stehen
zu bringen und eilte ihnen nach. Allein wie war das bei
der nunmehr entſchiedenen Uberlegenheit des Feindes ſo
ganz unmöglich. Auch er ward vielmehr in die rückgän-
gige Bewegung fortgezogen. Er trug eine Stickerei an ſei-
nem Ärmel, die ihm in guten Tagen in Frankreich, die
Dame die er liebte, gegeben, der er dagegen gelobt hatte,
unter keinen Umſtänden vor dem Feind zurückzuweichen. 1
Ritterlich geſinnt, wie er war, wich er wenigſtens ſo lang-
ſam wie möglich, nicht ohne ſich unaufhörlich noch zur
Wehr zu ſetzen: da erreichten ihn die nacheilenden Deut-
ſchen. Nicolaus von Salm erſtach ihm das Pferd unter
dem Leibe: der König ſtürzte und mußte ſich ergeben. In
dieſem Moment kam der Vicekönig herbei, der ihn erkannte,
ihm ehrfurchtsvoll die Hand reichte, und ihn als Gefan-
genen annahm.
Binnen anderthalb Stunden war das prächtigſte Heer
das man ſehen konnte vernichtet; man rechnet 10,000
die geblieben oder auf der Flucht im Teſſin ertrunken wa-
ren: viele Schweizer darunter, deren alter Ruhm von den
burgundiſchen Kriegen her nunmehr zu Grunde gieng: die
1 L’heureux present, par lequel te promys
point ne fuir devant mes ennemys. Epitre du roi.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 2. Berlin, 1839, S. 314. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation02_1839/324>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.