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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 2. Berlin, 1839.

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Drittes Buch. Sechstes Capitel.
der Fanatismus der schwärmerischen Predigt zusammen, der
die Zerstörung rechtfertigte, sich berufen glaubte, Blut zu ver-
gießen und nach der Eingebung des Momentes, die er für
göttlich erklärte, ein neues himmlisches Reich aufzurichten.
Wäre es gelungen, so wäre es mit aller ruhigen Entwicke-
lung nach den dem Geschlechte der Menschen nun einmal
vorgeschriebenen Gesetzen am Ende gewesen. Glücklicherweise
konnte es nicht gelingen. Zu seinem gigantischen Unterneh-
men war Münzer lange nicht Prophet noch Held genug.
Dazu waren auch die bestehenden Zustände doch zu gut
befestigt. In der reformatorischen Bewegung selbst war
das stärkste und in sich wahrhaftigste Element ihm entgegen.

Luther hatte sich von Sickingen und den Rittern
zu keinem politischen Unternehmen fortreißen lassen: auch
die Bewegung der Bauern konnte ihn nicht anfechten. An-
fangs, als sie noch unschuldiger aussah, redete er zum
Frieden: er hielt den Fürsten und Herrn ihre Gewaltthä-
tigkeiten vor: zugleich aber verdammte er doch den Auf-
ruhr, der wider göttliches und evangelisches Recht laufe,
den beiden Reichen, dem weltlichen und dem geistlichen,
der deutschen Nation den Untergang drohe. 1 Wie sich
nun aber diese Gefahr so rasch entwickelte, seine alten
Gegner, "die Mordpropheten und Rottengeister," in dem
Tumult so mächtig hervortraten, wie er wirklich fürchten
mußte, die Bauern möchten obsiegen, was dann nichts als
der Vorbote des jüngsten Tages seyn könne, brach sein
voller Ingrimm los. Bei dem unermeßlichen Ansehen das

hinfur nimmer stätt sonnder Dörfer sein, damit Unterschied der Men-
schen (aufhöre) -- und ain gannze gleichait im Lannd sei."
1 Ermanung zum Friede auf die 12 Artikel der Baurschaft
in Schwaben. Altenb. III, p. 114.

Drittes Buch. Sechstes Capitel.
der Fanatismus der ſchwärmeriſchen Predigt zuſammen, der
die Zerſtörung rechtfertigte, ſich berufen glaubte, Blut zu ver-
gießen und nach der Eingebung des Momentes, die er für
göttlich erklärte, ein neues himmliſches Reich aufzurichten.
Wäre es gelungen, ſo wäre es mit aller ruhigen Entwicke-
lung nach den dem Geſchlechte der Menſchen nun einmal
vorgeſchriebenen Geſetzen am Ende geweſen. Glücklicherweiſe
konnte es nicht gelingen. Zu ſeinem gigantiſchen Unterneh-
men war Münzer lange nicht Prophet noch Held genug.
Dazu waren auch die beſtehenden Zuſtände doch zu gut
befeſtigt. In der reformatoriſchen Bewegung ſelbſt war
das ſtärkſte und in ſich wahrhaftigſte Element ihm entgegen.

Luther hatte ſich von Sickingen und den Rittern
zu keinem politiſchen Unternehmen fortreißen laſſen: auch
die Bewegung der Bauern konnte ihn nicht anfechten. An-
fangs, als ſie noch unſchuldiger ausſah, redete er zum
Frieden: er hielt den Fürſten und Herrn ihre Gewaltthä-
tigkeiten vor: zugleich aber verdammte er doch den Auf-
ruhr, der wider göttliches und evangeliſches Recht laufe,
den beiden Reichen, dem weltlichen und dem geiſtlichen,
der deutſchen Nation den Untergang drohe. 1 Wie ſich
nun aber dieſe Gefahr ſo raſch entwickelte, ſeine alten
Gegner, „die Mordpropheten und Rottengeiſter,“ in dem
Tumult ſo mächtig hervortraten, wie er wirklich fürchten
mußte, die Bauern möchten obſiegen, was dann nichts als
der Vorbote des jüngſten Tages ſeyn könne, brach ſein
voller Ingrimm los. Bei dem unermeßlichen Anſehen das

hinfur nimmer ſtaͤtt ſonnder Doͤrfer ſein, damit Unterſchied der Men-
ſchen (aufhoͤre) — und ain gannze gleichait im Lannd ſei.“
1 Ermanung zum Friede auf die 12 Artikel der Baurſchaft
in Schwaben. Altenb. III, p. 114.
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[212/0222] Drittes Buch. Sechstes Capitel. der Fanatismus der ſchwärmeriſchen Predigt zuſammen, der die Zerſtörung rechtfertigte, ſich berufen glaubte, Blut zu ver- gießen und nach der Eingebung des Momentes, die er für göttlich erklärte, ein neues himmliſches Reich aufzurichten. Wäre es gelungen, ſo wäre es mit aller ruhigen Entwicke- lung nach den dem Geſchlechte der Menſchen nun einmal vorgeſchriebenen Geſetzen am Ende geweſen. Glücklicherweiſe konnte es nicht gelingen. Zu ſeinem gigantiſchen Unterneh- men war Münzer lange nicht Prophet noch Held genug. Dazu waren auch die beſtehenden Zuſtände doch zu gut befeſtigt. In der reformatoriſchen Bewegung ſelbſt war das ſtärkſte und in ſich wahrhaftigſte Element ihm entgegen. Luther hatte ſich von Sickingen und den Rittern zu keinem politiſchen Unternehmen fortreißen laſſen: auch die Bewegung der Bauern konnte ihn nicht anfechten. An- fangs, als ſie noch unſchuldiger ausſah, redete er zum Frieden: er hielt den Fürſten und Herrn ihre Gewaltthä- tigkeiten vor: zugleich aber verdammte er doch den Auf- ruhr, der wider göttliches und evangeliſches Recht laufe, den beiden Reichen, dem weltlichen und dem geiſtlichen, der deutſchen Nation den Untergang drohe. 1 Wie ſich nun aber dieſe Gefahr ſo raſch entwickelte, ſeine alten Gegner, „die Mordpropheten und Rottengeiſter,“ in dem Tumult ſo mächtig hervortraten, wie er wirklich fürchten mußte, die Bauern möchten obſiegen, was dann nichts als der Vorbote des jüngſten Tages ſeyn könne, brach ſein voller Ingrimm los. Bei dem unermeßlichen Anſehen das 1 1 Ermanung zum Friede auf die 12 Artikel der Baurſchaft in Schwaben. Altenb. III, p. 114. 1 hinfur nimmer ſtaͤtt ſonnder Doͤrfer ſein, damit Unterſchied der Men- ſchen (aufhoͤre) — und ain gannze gleichait im Lannd ſei.“

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 2. Berlin, 1839, S. 212. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation02_1839/222>, abgerufen am 01.05.2024.