Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 2. Berlin, 1839.

Bild:
<< vorherige Seite

Drittes Buch. Sechstes Capitel.
gesonnen waren. Über ganz Deutschland hätten dann die
Fluthen in dieser Richtung hingewogt.

So kam es endlich zu Tage, was sich schon lange
angekündigt: nachdem die Gewalten, welche den deutschen
Staat constituirten, an einander und unter sich selber irre
geworden, erhoben sich die elementaren Kräfte, auf denen
er beruhte. Aus dem Boden zuckten die Blitze auf: die
Strömungen des öffentlichen Lebens wichen aus ihrem ge-
wohnten Laufe: das Ungewitter der Tiefe, das man so
lange brausen gehört, entlud sich gegen die obern Regionen:
es schien sich alles zu einer vollkommenen Umkehr anzu-
lassen.

Treten wir diesem größten Naturereigniß des deutschen
Staates in seiner Totalität noch einmal näher, so können
wir mehrere Stufen darin unterscheiden.

Der Ursprung desselben lag ohne Zweifel in der grade
in den letzten Jahren angewachsenen Bedrückung des Bauern-
standes, der Auflegung neuer Lasten, und zugleich in der
Verfolgung der evangelischen Lehre, die den gemeinen Mann
in Deutschland mehr als früher oder später irgend ein gei-
stiges Element ergriffen, zu selbstthät[i]ger Theilnahme an-
geregt hatte. Es hätte sich denken lassen, daß die Bauern
dabei stehn geblieben wären, die willkührlichen Anforderun-
gen zu verweigern, und sich die Freiheit der Predigt zu ver-
schaffen: damit würden sie noch keineswegs alle Macht der
bestehenden Ordnung wider sich aufgerufen, sie würden sich
vielleicht eine bedeutende Zukunft gesetzlichen Fortschrittes
gesichert haben.

Ja selbst noch mehr ließ sich erreichen. An so vielen

Drittes Buch. Sechstes Capitel.
geſonnen waren. Über ganz Deutſchland hätten dann die
Fluthen in dieſer Richtung hingewogt.

So kam es endlich zu Tage, was ſich ſchon lange
angekündigt: nachdem die Gewalten, welche den deutſchen
Staat conſtituirten, an einander und unter ſich ſelber irre
geworden, erhoben ſich die elementaren Kräfte, auf denen
er beruhte. Aus dem Boden zuckten die Blitze auf: die
Strömungen des öffentlichen Lebens wichen aus ihrem ge-
wohnten Laufe: das Ungewitter der Tiefe, das man ſo
lange brauſen gehört, entlud ſich gegen die obern Regionen:
es ſchien ſich alles zu einer vollkommenen Umkehr anzu-
laſſen.

Treten wir dieſem größten Naturereigniß des deutſchen
Staates in ſeiner Totalität noch einmal näher, ſo können
wir mehrere Stufen darin unterſcheiden.

Der Urſprung deſſelben lag ohne Zweifel in der grade
in den letzten Jahren angewachſenen Bedrückung des Bauern-
ſtandes, der Auflegung neuer Laſten, und zugleich in der
Verfolgung der evangeliſchen Lehre, die den gemeinen Mann
in Deutſchland mehr als früher oder ſpäter irgend ein gei-
ſtiges Element ergriffen, zu ſelbſtthät[i]ger Theilnahme an-
geregt hatte. Es hätte ſich denken laſſen, daß die Bauern
dabei ſtehn geblieben wären, die willkührlichen Anforderun-
gen zu verweigern, und ſich die Freiheit der Predigt zu ver-
ſchaffen: damit würden ſie noch keineswegs alle Macht der
beſtehenden Ordnung wider ſich aufgerufen, ſie würden ſich
vielleicht eine bedeutende Zukunft geſetzlichen Fortſchrittes
geſichert haben.

Ja ſelbſt noch mehr ließ ſich erreichen. An ſo vielen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0220" n="210"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Drittes Buch. Sechstes Capitel</hi>.</fw><lb/>
ge&#x017F;onnen waren. Über ganz Deut&#x017F;chland hätten dann die<lb/>
Fluthen in die&#x017F;er Richtung hingewogt.</p><lb/>
          <p>So kam es endlich zu Tage, was &#x017F;ich &#x017F;chon lange<lb/>
angekündigt: nachdem die Gewalten, welche den deut&#x017F;chen<lb/>
Staat con&#x017F;tituirten, an einander und unter &#x017F;ich &#x017F;elber irre<lb/>
geworden, erhoben &#x017F;ich die elementaren Kräfte, auf denen<lb/>
er beruhte. Aus dem Boden zuckten die Blitze auf: die<lb/>
Strömungen des öffentlichen Lebens wichen aus ihrem ge-<lb/>
wohnten Laufe: das Ungewitter der Tiefe, das man &#x017F;o<lb/>
lange brau&#x017F;en gehört, entlud &#x017F;ich gegen die obern Regionen:<lb/>
es &#x017F;chien &#x017F;ich alles zu einer vollkommenen Umkehr anzu-<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en.</p><lb/>
          <p>Treten wir die&#x017F;em größten Naturereigniß des deut&#x017F;chen<lb/>
Staates in &#x017F;einer Totalität noch einmal näher, &#x017F;o können<lb/>
wir mehrere Stufen darin unter&#x017F;cheiden.</p><lb/>
          <p>Der Ur&#x017F;prung de&#x017F;&#x017F;elben lag ohne Zweifel in der grade<lb/>
in den letzten Jahren angewach&#x017F;enen Bedrückung des Bauern-<lb/>
&#x017F;tandes, der Auflegung neuer La&#x017F;ten, und zugleich in der<lb/>
Verfolgung der evangeli&#x017F;chen Lehre, die den gemeinen Mann<lb/>
in Deut&#x017F;chland mehr als früher oder &#x017F;päter irgend ein gei-<lb/>
&#x017F;tiges Element ergriffen, zu &#x017F;elb&#x017F;tthät<supplied>i</supplied>ger Theilnahme an-<lb/>
geregt hatte. Es hätte &#x017F;ich denken la&#x017F;&#x017F;en, daß die Bauern<lb/>
dabei &#x017F;tehn geblieben wären, die willkührlichen Anforderun-<lb/>
gen zu verweigern, und &#x017F;ich die Freiheit der Predigt zu ver-<lb/>
&#x017F;chaffen: damit würden &#x017F;ie noch keineswegs alle Macht der<lb/>
be&#x017F;tehenden Ordnung wider &#x017F;ich aufgerufen, &#x017F;ie würden &#x017F;ich<lb/>
vielleicht eine bedeutende Zukunft ge&#x017F;etzlichen Fort&#x017F;chrittes<lb/>
ge&#x017F;ichert haben.</p><lb/>
          <p>Ja &#x017F;elb&#x017F;t noch mehr ließ &#x017F;ich erreichen. An &#x017F;o vielen<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[210/0220] Drittes Buch. Sechstes Capitel. geſonnen waren. Über ganz Deutſchland hätten dann die Fluthen in dieſer Richtung hingewogt. So kam es endlich zu Tage, was ſich ſchon lange angekündigt: nachdem die Gewalten, welche den deutſchen Staat conſtituirten, an einander und unter ſich ſelber irre geworden, erhoben ſich die elementaren Kräfte, auf denen er beruhte. Aus dem Boden zuckten die Blitze auf: die Strömungen des öffentlichen Lebens wichen aus ihrem ge- wohnten Laufe: das Ungewitter der Tiefe, das man ſo lange brauſen gehört, entlud ſich gegen die obern Regionen: es ſchien ſich alles zu einer vollkommenen Umkehr anzu- laſſen. Treten wir dieſem größten Naturereigniß des deutſchen Staates in ſeiner Totalität noch einmal näher, ſo können wir mehrere Stufen darin unterſcheiden. Der Urſprung deſſelben lag ohne Zweifel in der grade in den letzten Jahren angewachſenen Bedrückung des Bauern- ſtandes, der Auflegung neuer Laſten, und zugleich in der Verfolgung der evangeliſchen Lehre, die den gemeinen Mann in Deutſchland mehr als früher oder ſpäter irgend ein gei- ſtiges Element ergriffen, zu ſelbſtthätiger Theilnahme an- geregt hatte. Es hätte ſich denken laſſen, daß die Bauern dabei ſtehn geblieben wären, die willkührlichen Anforderun- gen zu verweigern, und ſich die Freiheit der Predigt zu ver- ſchaffen: damit würden ſie noch keineswegs alle Macht der beſtehenden Ordnung wider ſich aufgerufen, ſie würden ſich vielleicht eine bedeutende Zukunft geſetzlichen Fortſchrittes geſichert haben. Ja ſelbſt noch mehr ließ ſich erreichen. An ſo vielen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation02_1839
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation02_1839/220
Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 2. Berlin, 1839, S. 210. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation02_1839/220>, abgerufen am 01.05.2024.