Fünftes Capitel. Ursprung der Spaltung in der Nation.
Es ist schon fast herkömmlich geworden -- und wer hätte nicht einmal eine Anwandlung dazu gefühlt? -- die kirchliche Reform, wie sehr man sie auch sonst billigen mag, doch deshalb zu tadeln, weil sie die Trennung unsrer Na- tion in zwei niemals ganz einverstandene und so oft feind- selige Hälften veranlaßt habe: den Anhängern der Neue- rung giebt man Schuld, sich von der Einheit des Reiches wie der Kirche abgesondert zu haben.
So scheint es in der That, so lange man die Sachen aus der Ferne ansieht; wenn man ihnen dagegen näher tritt, und die Ereignisse ins Auge faßt welche die Spal- tung entschieden haben, so stellt sich, wenn ich nicht irre, ein ganz andres Resultat heraus.
Welcher Confession man auch heute angehören mag, kein Mensch kann leugnen, und die katholisch-eifrigsten Zeit- genossen, z. B. Emser, haben es bekannt, daß die latei- nische Kirche einer Reform bedurfte. Ihre Verweltlichung überhaupt, der immer starrer und unverstandner sich fort- bildende Particularismus ihrer Dogmen und Dienste mach-
Ranke d. Gesch. II. 10
Fuͤnftes Capitel. Urſprung der Spaltung in der Nation.
Es iſt ſchon faſt herkömmlich geworden — und wer hätte nicht einmal eine Anwandlung dazu gefühlt? — die kirchliche Reform, wie ſehr man ſie auch ſonſt billigen mag, doch deshalb zu tadeln, weil ſie die Trennung unſrer Na- tion in zwei niemals ganz einverſtandene und ſo oft feind- ſelige Hälften veranlaßt habe: den Anhängern der Neue- rung giebt man Schuld, ſich von der Einheit des Reiches wie der Kirche abgeſondert zu haben.
So ſcheint es in der That, ſo lange man die Sachen aus der Ferne anſieht; wenn man ihnen dagegen näher tritt, und die Ereigniſſe ins Auge faßt welche die Spal- tung entſchieden haben, ſo ſtellt ſich, wenn ich nicht irre, ein ganz andres Reſultat heraus.
Welcher Confeſſion man auch heute angehören mag, kein Menſch kann leugnen, und die katholiſch-eifrigſten Zeit- genoſſen, z. B. Emſer, haben es bekannt, daß die latei- niſche Kirche einer Reform bedurfte. Ihre Verweltlichung überhaupt, der immer ſtarrer und unverſtandner ſich fort- bildende Particularismus ihrer Dogmen und Dienſte mach-
Ranke d. Geſch. II. 10
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[[145]/0155]
Fuͤnftes Capitel.
Urſprung der Spaltung in der Nation.
Es iſt ſchon faſt herkömmlich geworden — und wer
hätte nicht einmal eine Anwandlung dazu gefühlt? — die
kirchliche Reform, wie ſehr man ſie auch ſonſt billigen mag,
doch deshalb zu tadeln, weil ſie die Trennung unſrer Na-
tion in zwei niemals ganz einverſtandene und ſo oft feind-
ſelige Hälften veranlaßt habe: den Anhängern der Neue-
rung giebt man Schuld, ſich von der Einheit des Reiches
wie der Kirche abgeſondert zu haben.
So ſcheint es in der That, ſo lange man die Sachen
aus der Ferne anſieht; wenn man ihnen dagegen näher
tritt, und die Ereigniſſe ins Auge faßt welche die Spal-
tung entſchieden haben, ſo ſtellt ſich, wenn ich nicht irre,
ein ganz andres Reſultat heraus.
Welcher Confeſſion man auch heute angehören mag,
kein Menſch kann leugnen, und die katholiſch-eifrigſten Zeit-
genoſſen, z. B. Emſer, haben es bekannt, daß die latei-
niſche Kirche einer Reform bedurfte. Ihre Verweltlichung
überhaupt, der immer ſtarrer und unverſtandner ſich fort-
bildende Particularismus ihrer Dogmen und Dienſte mach-
Ranke d. Geſch. II. 10
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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 2. Berlin, 1839, S. [145]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation02_1839/155>, abgerufen am 27.11.2024.
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