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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 2. Berlin, 1839.

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Drittes Buch. Viertes Capitel.
Kurzem Churfürst seyn werde, ja vielleicht noch mehr als
das. Das ganze Reich wendete seine Augen dahin: der
Abgeordnete des Herzog Georg von Sachsen schrieb an
seinen Herrn, in viel hundert Jahren sey nichts so ge-
fährliches wider die Fürsten des Reiches unternommen wor-
den. 1 Es sey alles dahin gerichtet gewesen, behaupten
Andre, daß man in Kurzem nicht hätte wissen sollen, wer
König oder Kaiser, Fürst oder Herr sey.

So erhob sich noch einmal das tumultuarische Ritter-
wesen zu einer das ganze Reich bedrohenden Gewalt.

Man kann es sich nicht recht ausdenken, was daraus
werden sollte wenn es ihm gelang.

Konnte wirklich aus der ritterlichen Unabhängigkeit, die
nun zu voller Herrschaft gelangt wäre, eine einigermaaßen
geordnete Regierung hervorgehn? Würde etwa die verwil-
derte Selbsthülfe des damaligen Ritterthums durch die neue
Predigt so leicht zu bezähmen gewesen seyn? Öcolampadius
wenigstens fand auf Sickingens Burg einen harten Boden
für seine Saat. Auch waren es an sich höchst ungleich-
artige Elemente die hier vereinigt erschienen, das Ritter-
thum, die eigenthümlichste Hervorbringung der mittlern Jahr-
hunderte, die auf einer Zersetzung kräftiger Staatsgewalten
beruhte, und die neue Lehre, welche die Tendenz in sich
schloß, und sie schon ausgesprochen, eben dieser Staats-
gewalt eine neue feste Grundlage zu verschaffen. Sickin-
gen selbst hatte eine sehr anomale Stellung. Es wa-
ren keineswegs ritterliche Kräfte die er ins Feld führte.
Er stand an der Spitze eines geworbenen Heeres, das nur

1 Schreiben im Kön. Sächsischen Archiv.

Drittes Buch. Viertes Capitel.
Kurzem Churfürſt ſeyn werde, ja vielleicht noch mehr als
das. Das ganze Reich wendete ſeine Augen dahin: der
Abgeordnete des Herzog Georg von Sachſen ſchrieb an
ſeinen Herrn, in viel hundert Jahren ſey nichts ſo ge-
fährliches wider die Fürſten des Reiches unternommen wor-
den. 1 Es ſey alles dahin gerichtet geweſen, behaupten
Andre, daß man in Kurzem nicht hätte wiſſen ſollen, wer
König oder Kaiſer, Fürſt oder Herr ſey.

So erhob ſich noch einmal das tumultuariſche Ritter-
weſen zu einer das ganze Reich bedrohenden Gewalt.

Man kann es ſich nicht recht ausdenken, was daraus
werden ſollte wenn es ihm gelang.

Konnte wirklich aus der ritterlichen Unabhängigkeit, die
nun zu voller Herrſchaft gelangt wäre, eine einigermaaßen
geordnete Regierung hervorgehn? Würde etwa die verwil-
derte Selbſthülfe des damaligen Ritterthums durch die neue
Predigt ſo leicht zu bezähmen geweſen ſeyn? Öcolampadius
wenigſtens fand auf Sickingens Burg einen harten Boden
für ſeine Saat. Auch waren es an ſich höchſt ungleich-
artige Elemente die hier vereinigt erſchienen, das Ritter-
thum, die eigenthümlichſte Hervorbringung der mittlern Jahr-
hunderte, die auf einer Zerſetzung kräftiger Staatsgewalten
beruhte, und die neue Lehre, welche die Tendenz in ſich
ſchloß, und ſie ſchon ausgeſprochen, eben dieſer Staats-
gewalt eine neue feſte Grundlage zu verſchaffen. Sickin-
gen ſelbſt hatte eine ſehr anomale Stellung. Es wa-
ren keineswegs ritterliche Kräfte die er ins Feld führte.
Er ſtand an der Spitze eines geworbenen Heeres, das nur

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[108/0118] Drittes Buch. Viertes Capitel. Kurzem Churfürſt ſeyn werde, ja vielleicht noch mehr als das. Das ganze Reich wendete ſeine Augen dahin: der Abgeordnete des Herzog Georg von Sachſen ſchrieb an ſeinen Herrn, in viel hundert Jahren ſey nichts ſo ge- fährliches wider die Fürſten des Reiches unternommen wor- den. 1 Es ſey alles dahin gerichtet geweſen, behaupten Andre, daß man in Kurzem nicht hätte wiſſen ſollen, wer König oder Kaiſer, Fürſt oder Herr ſey. So erhob ſich noch einmal das tumultuariſche Ritter- weſen zu einer das ganze Reich bedrohenden Gewalt. Man kann es ſich nicht recht ausdenken, was daraus werden ſollte wenn es ihm gelang. Konnte wirklich aus der ritterlichen Unabhängigkeit, die nun zu voller Herrſchaft gelangt wäre, eine einigermaaßen geordnete Regierung hervorgehn? Würde etwa die verwil- derte Selbſthülfe des damaligen Ritterthums durch die neue Predigt ſo leicht zu bezähmen geweſen ſeyn? Öcolampadius wenigſtens fand auf Sickingens Burg einen harten Boden für ſeine Saat. Auch waren es an ſich höchſt ungleich- artige Elemente die hier vereinigt erſchienen, das Ritter- thum, die eigenthümlichſte Hervorbringung der mittlern Jahr- hunderte, die auf einer Zerſetzung kräftiger Staatsgewalten beruhte, und die neue Lehre, welche die Tendenz in ſich ſchloß, und ſie ſchon ausgeſprochen, eben dieſer Staats- gewalt eine neue feſte Grundlage zu verſchaffen. Sickin- gen ſelbſt hatte eine ſehr anomale Stellung. Es wa- ren keineswegs ritterliche Kräfte die er ins Feld führte. Er ſtand an der Spitze eines geworbenen Heeres, das nur 1 Schreiben im Koͤn. Saͤchſiſchen Archiv.

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 2. Berlin, 1839, S. 108. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation02_1839/118>, abgerufen am 23.11.2024.