Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 2. Berlin, 1839.

Bild:
<< vorherige Seite
nächste Seite >>

Drittes Buch. Drittes Capitel.
in der Nation fühlte, womit man beschäftigt war: der
deutsche Geist war sich bewußt, daß die Zeit seiner Reife
gekommen: er widersetzte sich der unbedingten Alleingültig-
keit zufälliger Formen, die man ihm auferlegt, wie sie
denn die ganze Welt beherrschten, und kehrte zurück zu den
einzigen ächten Quellen religiöser Belehrung. 1

Bei dieser großen Bewegung, diesem starken Gefühl
des Kampfes ist es doppelt merkwürdig wie sehr man
doch zugleich an sich hielt, wie behutsam man in vielen
Stücken zu Werke gieng.

Heinrich von Kettenbach nimmt noch an, daß die
Kirche, in der er schon eine unsichtbare Gemeinschaft sieht,
den Schatz der Verdienste Jesu Christi, Mariä und aller
Auserwählten besitze.

Indem Eberlin von Günzburg von Wittenberg her
seine Augsburger Freunde ermahnt, sich das neue Testa-
ment anzuschaffen, selbst wenn sie sich den Preis an Klei-
dung oder Nahrung absparen müßten, erinnert er sie
doch zugleich, sich nicht zu rasch zur Verwerfung der her-
kömmlichen Meinungen fortreißen zu lassen: es sey vieles
was Gott in seinem Geheimniß sich vorbehalten, wonach
man nicht zu fragen brauche, z. B. das Fegefeuer oder
die Fürbitte der Heiligen. Auch Luther verwerfe nur das,
was einen klaren Spruch der Schrift gegen sich habe.

Es war von einem jungen böhmischen Gelehrten mit
einer ganzen Reihe von Gründen in Zweifel gezogen wor-
den, ob Petrus je in Rom gewesen; und auf der katholi-

schen
1 Sermon von der Kirche; gleich im Anfang.

Drittes Buch. Drittes Capitel.
in der Nation fühlte, womit man beſchäftigt war: der
deutſche Geiſt war ſich bewußt, daß die Zeit ſeiner Reife
gekommen: er widerſetzte ſich der unbedingten Alleingültig-
keit zufälliger Formen, die man ihm auferlegt, wie ſie
denn die ganze Welt beherrſchten, und kehrte zurück zu den
einzigen ächten Quellen religiöſer Belehrung. 1

Bei dieſer großen Bewegung, dieſem ſtarken Gefühl
des Kampfes iſt es doppelt merkwürdig wie ſehr man
doch zugleich an ſich hielt, wie behutſam man in vielen
Stücken zu Werke gieng.

Heinrich von Kettenbach nimmt noch an, daß die
Kirche, in der er ſchon eine unſichtbare Gemeinſchaft ſieht,
den Schatz der Verdienſte Jeſu Chriſti, Mariä und aller
Auserwählten beſitze.

Indem Eberlin von Günzburg von Wittenberg her
ſeine Augsburger Freunde ermahnt, ſich das neue Teſta-
ment anzuſchaffen, ſelbſt wenn ſie ſich den Preis an Klei-
dung oder Nahrung abſparen müßten, erinnert er ſie
doch zugleich, ſich nicht zu raſch zur Verwerfung der her-
kömmlichen Meinungen fortreißen zu laſſen: es ſey vieles
was Gott in ſeinem Geheimniß ſich vorbehalten, wonach
man nicht zu fragen brauche, z. B. das Fegefeuer oder
die Fürbitte der Heiligen. Auch Luther verwerfe nur das,
was einen klaren Spruch der Schrift gegen ſich habe.

Es war von einem jungen böhmiſchen Gelehrten mit
einer ganzen Reihe von Gründen in Zweifel gezogen wor-
den, ob Petrus je in Rom geweſen; und auf der katholi-

ſchen
1 Sermon von der Kirche; gleich im Anfang.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0106" n="96"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Drittes Buch. Drittes Capitel</hi>.</fw><lb/>
in der Nation fühlte, womit man be&#x017F;chäftigt war: der<lb/>
deut&#x017F;che Gei&#x017F;t war &#x017F;ich bewußt, daß die Zeit &#x017F;einer Reife<lb/>
gekommen: er wider&#x017F;etzte &#x017F;ich der unbedingten Alleingültig-<lb/>
keit zufälliger Formen, die man ihm auferlegt, wie &#x017F;ie<lb/>
denn die ganze Welt beherr&#x017F;chten, und kehrte zurück zu den<lb/>
einzigen ächten Quellen religiö&#x017F;er Belehrung. <note place="foot" n="1">Sermon von der Kirche; gleich im Anfang.</note></p><lb/>
          <p>Bei die&#x017F;er großen Bewegung, die&#x017F;em &#x017F;tarken Gefühl<lb/>
des Kampfes i&#x017F;t es doppelt merkwürdig wie &#x017F;ehr man<lb/>
doch zugleich an &#x017F;ich hielt, wie behut&#x017F;am man in vielen<lb/>
Stücken zu Werke gieng.</p><lb/>
          <p>Heinrich von Kettenbach nimmt noch an, daß die<lb/>
Kirche, in der er &#x017F;chon eine un&#x017F;ichtbare Gemein&#x017F;chaft &#x017F;ieht,<lb/>
den Schatz der Verdien&#x017F;te Je&#x017F;u Chri&#x017F;ti, Mariä und aller<lb/>
Auserwählten be&#x017F;itze.</p><lb/>
          <p>Indem Eberlin von Günzburg von Wittenberg her<lb/>
&#x017F;eine Augsburger Freunde ermahnt, &#x017F;ich das neue Te&#x017F;ta-<lb/>
ment anzu&#x017F;chaffen, &#x017F;elb&#x017F;t wenn &#x017F;ie &#x017F;ich den Preis an Klei-<lb/>
dung oder Nahrung ab&#x017F;paren müßten, erinnert er &#x017F;ie<lb/>
doch zugleich, &#x017F;ich nicht zu ra&#x017F;ch zur Verwerfung der her-<lb/>
kömmlichen Meinungen fortreißen zu la&#x017F;&#x017F;en: es &#x017F;ey vieles<lb/>
was Gott in &#x017F;einem Geheimniß &#x017F;ich vorbehalten, wonach<lb/>
man nicht zu fragen brauche, z. B. das Fegefeuer oder<lb/>
die Fürbitte der Heiligen. Auch Luther verwerfe nur das,<lb/>
was einen klaren Spruch der Schrift gegen &#x017F;ich habe.</p><lb/>
          <p>Es war von einem jungen böhmi&#x017F;chen Gelehrten mit<lb/>
einer ganzen Reihe von Gründen in Zweifel gezogen wor-<lb/>
den, ob Petrus je in Rom gewe&#x017F;en; und auf der katholi-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x017F;chen</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[96/0106] Drittes Buch. Drittes Capitel. in der Nation fühlte, womit man beſchäftigt war: der deutſche Geiſt war ſich bewußt, daß die Zeit ſeiner Reife gekommen: er widerſetzte ſich der unbedingten Alleingültig- keit zufälliger Formen, die man ihm auferlegt, wie ſie denn die ganze Welt beherrſchten, und kehrte zurück zu den einzigen ächten Quellen religiöſer Belehrung. 1 Bei dieſer großen Bewegung, dieſem ſtarken Gefühl des Kampfes iſt es doppelt merkwürdig wie ſehr man doch zugleich an ſich hielt, wie behutſam man in vielen Stücken zu Werke gieng. Heinrich von Kettenbach nimmt noch an, daß die Kirche, in der er ſchon eine unſichtbare Gemeinſchaft ſieht, den Schatz der Verdienſte Jeſu Chriſti, Mariä und aller Auserwählten beſitze. Indem Eberlin von Günzburg von Wittenberg her ſeine Augsburger Freunde ermahnt, ſich das neue Teſta- ment anzuſchaffen, ſelbſt wenn ſie ſich den Preis an Klei- dung oder Nahrung abſparen müßten, erinnert er ſie doch zugleich, ſich nicht zu raſch zur Verwerfung der her- kömmlichen Meinungen fortreißen zu laſſen: es ſey vieles was Gott in ſeinem Geheimniß ſich vorbehalten, wonach man nicht zu fragen brauche, z. B. das Fegefeuer oder die Fürbitte der Heiligen. Auch Luther verwerfe nur das, was einen klaren Spruch der Schrift gegen ſich habe. Es war von einem jungen böhmiſchen Gelehrten mit einer ganzen Reihe von Gründen in Zweifel gezogen wor- den, ob Petrus je in Rom geweſen; und auf der katholi- ſchen 1 Sermon von der Kirche; gleich im Anfang.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation02_1839
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation02_1839/106
Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 2. Berlin, 1839, S. 96. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation02_1839/106>, abgerufen am 23.11.2024.