tur, wie es anfangs scheinen mochte, auf jeden Fall aber gaben sie einem deutschen Fürstenhause eine ganz neue Stel- lung zu Deutschland und zu Europa.
Es war, wie man sieht, nicht allein der stille Gang der Dinge, die geräuschlose Fortentwickelung staatsrechtli- cher Verhältnisse, wodurch das Fürstenthum emporkam: es war hauptsächlich geschickte Politik, glücklicher Krieg, die Macht gewaltiger Persönlichkeiten.
Noch besaß jedoch das weltliche Fürstenthum keines- weges die volle Herrschaft; noch war es in unaufhörlichem Wettstreit mit den andern Reichsgewalten begriffen.
Da waren zuerst die geistlichen Fürstenthümer -- von ähnlicher Berechtigung und innerer Ausbildung, in der Hierarchie des Reiches sogar im Besitze des höhern Ran- ges -- in welchen die Herrn von hohem oder auch von nie- derem Adel die Capitel einnahmen, und die obern Stellen besetzten. In dem funfzehnten Jahrhundert fieng man zwar allenthalben an, die bischöflichen Würden auf die jüngern Söhne aus den fürstlichen Häusern zu übertragen: der rö- mische Hof selbst begünstigte dieß, indem er der Meinung war, daß nur die Autorität der Macht im Stande sey die Capitel in Ordnung zu halten; 1 allein weder war dieß allgemein geworden, noch gab das geistliche Fürsten- thum darum sein eigenes Prinzip auf.
Es blühte ferner ein zahlreicher Herrenstand, der seine Lehen mit der Fahne empfieng wie die Fürsten, mit ihnen zu Gericht sitzen konnte; ja es gab noch Geschlechter, die
1Aeneas Silvius: Si episcopum potentem sortiantur, vir- gam correctionis timent.
Ranke d. Gesch. I. 5
Lage der Dinge um die Mitte des 15 Jahrh.
tur, wie es anfangs ſcheinen mochte, auf jeden Fall aber gaben ſie einem deutſchen Fürſtenhauſe eine ganz neue Stel- lung zu Deutſchland und zu Europa.
Es war, wie man ſieht, nicht allein der ſtille Gang der Dinge, die geräuſchloſe Fortentwickelung ſtaatsrechtli- cher Verhältniſſe, wodurch das Fürſtenthum emporkam: es war hauptſächlich geſchickte Politik, glücklicher Krieg, die Macht gewaltiger Perſönlichkeiten.
Noch beſaß jedoch das weltliche Fürſtenthum keines- weges die volle Herrſchaft; noch war es in unaufhörlichem Wettſtreit mit den andern Reichsgewalten begriffen.
Da waren zuerſt die geiſtlichen Fürſtenthümer — von ähnlicher Berechtigung und innerer Ausbildung, in der Hierarchie des Reiches ſogar im Beſitze des höhern Ran- ges — in welchen die Herrn von hohem oder auch von nie- derem Adel die Capitel einnahmen, und die obern Stellen beſetzten. In dem funfzehnten Jahrhundert fieng man zwar allenthalben an, die biſchöflichen Würden auf die jüngern Söhne aus den fürſtlichen Häuſern zu übertragen: der rö- miſche Hof ſelbſt begünſtigte dieß, indem er der Meinung war, daß nur die Autorität der Macht im Stande ſey die Capitel in Ordnung zu halten; 1 allein weder war dieß allgemein geworden, noch gab das geiſtliche Fürſten- thum darum ſein eigenes Prinzip auf.
Es blühte ferner ein zahlreicher Herrenſtand, der ſeine Lehen mit der Fahne empfieng wie die Fürſten, mit ihnen zu Gericht ſitzen konnte; ja es gab noch Geſchlechter, die
1Aeneas Silvius: Si episcopum potentem sortiantur, vir- gam correctionis timent.
Ranke d. Geſch. I. 5
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[65/0083]
Lage der Dinge um die Mitte des 15 Jahrh.
tur, wie es anfangs ſcheinen mochte, auf jeden Fall aber
gaben ſie einem deutſchen Fürſtenhauſe eine ganz neue Stel-
lung zu Deutſchland und zu Europa.
Es war, wie man ſieht, nicht allein der ſtille Gang
der Dinge, die geräuſchloſe Fortentwickelung ſtaatsrechtli-
cher Verhältniſſe, wodurch das Fürſtenthum emporkam: es
war hauptſächlich geſchickte Politik, glücklicher Krieg, die
Macht gewaltiger Perſönlichkeiten.
Noch beſaß jedoch das weltliche Fürſtenthum keines-
weges die volle Herrſchaft; noch war es in unaufhörlichem
Wettſtreit mit den andern Reichsgewalten begriffen.
Da waren zuerſt die geiſtlichen Fürſtenthümer — von
ähnlicher Berechtigung und innerer Ausbildung, in der
Hierarchie des Reiches ſogar im Beſitze des höhern Ran-
ges — in welchen die Herrn von hohem oder auch von nie-
derem Adel die Capitel einnahmen, und die obern Stellen
beſetzten. In dem funfzehnten Jahrhundert fieng man zwar
allenthalben an, die biſchöflichen Würden auf die jüngern
Söhne aus den fürſtlichen Häuſern zu übertragen: der rö-
miſche Hof ſelbſt begünſtigte dieß, indem er der Meinung
war, daß nur die Autorität der Macht im Stande ſey
die Capitel in Ordnung zu halten; 1 allein weder war
dieß allgemein geworden, noch gab das geiſtliche Fürſten-
thum darum ſein eigenes Prinzip auf.
Es blühte ferner ein zahlreicher Herrenſtand, der ſeine
Lehen mit der Fahne empfieng wie die Fürſten, mit ihnen
zu Gericht ſitzen konnte; ja es gab noch Geſchlechter, die
1 Aeneas Silvius: Si episcopum potentem sortiantur, vir-
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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839, S. 65. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation01_1839/83>, abgerufen am 24.11.2024.
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